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PARTEIEN/224: Tony Blair will im Herbst EU-Präsident werden (SB)


Tony Blair will im Herbst EU-Präsident werden

Blair-Freundin Herzogin Kinnock lüftet das "große Geheimnis"


Was seit Monaten, wenn nicht sogar zwei Jahren als offenes Geheimnis gehandelt wird, steht nun offiziell fest: Tony Blair will und soll Präsident der Europäischen Union werden. Das hat seine sozialdemokratische Parteikollegin Baroness Kinnock am 15. Juli zum Beginn der neuen Legislaturperiode des Europäischen Parlaments in Strasbourg mehr oder weniger offiziell bekanntgegeben. Doch es gibt noch ein großes Problem. Der Vertrag von Lissabon, der das Amt des EU-Präsidenten erst schafft, ist noch nicht von allen 27 Mitgliedstaaten ratifiziert worden. Deutschland muß noch ein neues Begleitgesetz verabschieden, das Bundestag und Bundesrat mehr Mitbestimmungsrechte einräumt, bevor Präsident Horst Köhler die Ratifizierung des EU-Reformvertrags unterzeichnen kann, während in Polen und Tschechien die Präsidenten Lech Kaczinski und Václav Klaus das Ergebnis der zweiten Abstimmung der Iren am 2. Oktober erst einmal abwarten wollen, bevor sie ihre Unterschrift unter das umstrittene Abkommen setzen.

Auf einer Pressekonferenz in Strasbourg überraschte die britische Europa-Ministerin die anwesenden Journalisten mit der Erklärung: "Die Regierung des Vereinigten Königreichs unterstützt die Kandidatur Tony Blairs für das Amt des Präsidenten des Rats [der EU-Regierungschefs]". Auf die Frage eines Reporters, ob London das Thema mit Blair selbst, der von 1997 bis 2007 Premierminister war und derzeit als Sonderbotschafter des Nahost-Quartetts eher schlecht als recht versucht den sogenannten Friedensprozeß zwischen Israelis und Palästinensern wieder in Gang zu bekommen, diskutiert habe, antwortete die Herzogin: "Das ist die Position der Regierung. Ich bin mir sicher, daß man sie nicht eingenommen hätte, ohne ihn vorher zu fragen." Die Ehefrau von Neil Kinnock, Blairs Vorgänger als Chef der britischen Labour-Partei, setzte dann zu einer Lobpreisung jenes Mannes an, der sie selbst in den Adelsstand erhoben hatte. Demnach verfügt Blair über "Status" und "Charakterstärke" in ausreichendem Maße, um als erste Person das Amt des EU-Präsidenten anzutreten. "Die Leute kennen ihn. Er könnte mit viel Respekt diese neue Rolle übernehmen und wäre im allgemeinen willkommen", so Kinnock.

An der Richtigkeit letzterer Einschätzung kann man seine Zweifel haben. Auf dem europäischen Festland hat Blair durch seine Weigerung, in Großbritannien den Euro einzuführen, viel Vertrauen verloren. Weltweit verbinden die Menschen seinen Namen mit der Entscheidung, die britischen Streitkräfte am illegalen Angriffskrieg George W. Bushs gegen den Irak zu beteiligen. Diese Entscheidung zusammen mit dem Versuch, das dubiose Unternehmen unter anderem durch aufgebauschte Geheimdienstdossiers zu legitimieren, haben Blair in den Augen der meisten seiner Landsleute für immer diskreditiert.

Wie man weiß, kam es in London am 15. Februar 2003 und damit rund einen Monat vor dem Beginn der angloamerikanischen Irakinvasion zur größten politischen Demonstration in der Geschichte Großbritanniens - gegen den Krieg. Schon damals wußten die meisten Briten, daß es keine Massenvernichtungswaffen im Irak gab und daß der säkulare Baathist Saddam Hussein nicht mit dem sunnitischen Fundamentalisten Osama Bin Laden im Bunde war - alles Sachen, die Blair und Bush erst nach dem Einmarsch erfahren haben wollen, was ihnen sowieso niemand abnimmt. Weil er gegen den Willen der Mehrheit der eigenen Bevölkerung und gegen den Rat der meisten Kabinettskollegen und Generäle sein Land in einen Krieg führte, allein um die "Sonderbeziehungen" Großbritanniens zu den USA aufrechtzuerhalten, bildet sich Blair ein, ein Mann von besonderer Führungskraft zu sein. Das ist es, was Glenys Kinnock meint, wenn sie von der "Charakterstärke" ihres Parteifreundes spricht.

William Hague, der frühere Parteichef der britischen Konservativen, der heute ihr außenpolitischer Sprecher ist, reagierte auf die Vorstellung von Blair als EU-Präsident mit Schrecken. Sowohl im Londoner Guardian als auch in der New York Times wurde Hague am 16. Juli dahingehend zitiert, daß der Posten eines EU-Präsidenten Europa "schwer schaden" könnte: "Jeder Inhaber wird vermutlich versuchen, die Macht in Brüssel auf sich zu konzentrieren und die Außenpolitik der Nationalstaaten zu dominieren. Bei jemandem, der so ehrgeizig ist wie Blair, käme es mit Sicherheit dazu. Man sollte ihn nicht einmal in die Nähe dieses Postens lassen."

In Irland dürfte die Nachricht vom drohenden Aufstieg Blairs zum EU-Präsidenten dazu beitragen, die Gegner des Lissabon-Vertrags zu mobilisieren. Zwar hat Blair in den ersten Jahren als britischer Premierminister viel zur Beilegung des Bürgerkriegs in Nordirland und zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Dublin und London beigetragen, doch diese Leistungen werden aus Sicht auch vieler Iren von dem Militärabenteuer im Irak und dem scheinbar niemals endenden Blutvergießen in Afghanistan überschattet. Sicherlich werden viele Iren denken, daß gerade in einer Phase, in der die Spannungen zwischen Washington und Teheran im Atomstreit zunehmen, ein überzeugter Transatlantiker als Präsident, der die EU an der Seite der USA in einen Krieg gegen den Iran führt, das letzte wäre, was Europa bräuchte.

16. Juli 2009