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JUSTIZ/182: Britischer Staat in Anwaltmord in Nordirland verwickelt (SB)


Britischer Staat in Anwaltmord in Nordirland verwickelt

Finucane-Familie läßt sich nicht mit De-Silva-Bericht abspeisen



Zwischen der Familie des 1989 in Belfast ermordeten Anwalts Patrick Finucane und der konservativ-liberalen Regierung Großbritanniens um Premierminister David Cameron ist ein heftiger Streit ausgebrochen. Anlaß ist eine 500seitige Studie der bisherigen Fakten zu einem der umstrittensten Attentate der nordirischen Troubles. Daraus geht eindeutig hervor, daß staatliche Stellen in den Mord Finucanes verwickelt waren. Dafür hat sich Cameron bei einem Auftritt am 12. Dezember im britischen Unterhaus, wenige Stunden nach der Veröffentlichung der Studie von Kronanwalt Sir Desmond de Silva, bei der Finucane-Familie förmlich entschuldigt. Dies hat Geraldine Finucane, die seit mehr 20 Jahren um die Aufklärung des Mordes an ihrem Mann kämpft, ihre beiden Söhne und ihre Tochter jedoch nicht besänftigt. Auf einer Pressekonferenz, die ebenfalls im Westminster Palace stattfand, warf die Witwe Cameron und den britischen Behörden vor, die Hintergründe des Attentats zu vertuschen und die Schuld auf Personen, die nicht mehr leben, bzw. Institutionen, die längst abgeschafft worden sind, zu schieben.

Finucane, der sowohl führende Mitglieder der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), zu deren Kommandeure sein Bruder gehörte, als auch loyalistische Paramilitärs in Auseinandersetzungen mit Polizei und Justiz anwaltlich vertrat, war der damaligen konservativen britischen Regierung um Margaret Thatcher unangenehm aufgefallen. Zwei Wochen, nachdem sich der damalige Staatssekretär im britischen Innenministerium Douglas Hogg im Londoner Unterhaus lauthals über Anwälte in Nordirland beschwerte, die seines Erachtens eine "übermäßige Sympathie" für die IRA hegten, brachen zwei maskierte Männer die Haustür der Wohnung der Finucanes im katholischen Nordbelfast auf, stürmten in die Küche, wo die Familie gerade gemeinsam aß, und töteten den Vater vor den Augen seiner Frau und drei kleinen Kindern mit mehr als ein Dutzend Schüssen.

Bei den Attentätern handelte es sich um zwei Mitglieder der protestantischen Ulster Defence Association (UDA), die damals mit Übergriffen und Bombenanschlägen gegen nationalistisch-katholische Ziele als eine Art Todesschwadron des britischen Staates im Kampf gegen die IRA fungierte. Den Mordauftrag und die Einzelheiten zu Finucane, wie seine Adresse und eine Personenbeschreibung, hatten die Schützen von einem ehemaligen britischen Soldaten namens Brian Nelson erhalten, der damals Geheimdienstchef der UDA war und zeitgleich im Dienst der Force Research Unit (FRU), einer Sondereinheit des britischen Militärgeheimdienstes in Nordirland, stand. Die Daten über Finucane soll Nelson wiederum von Mitgliedern der protestantisch-dominierten Special Branch (Sicherheitspolizei) der Royal Ulster Constabulary (RUC) erhalten haben. Die Mordwaffe, eine 9mm-Browning, stammte aus Armeebeständen und wurde später - entgegen allen üblichen kriminologischen Prozeduren - von der RUC dem britischen Militär einfach zurückgegeben.

2001 wurde der Beschaffer der Tatwaffe, ein Loyalist namens William Stobie, von eigenen Leuten bei der UDA ermordet. Wenige Wochen zuvor war der Mordprozeß gegen ihn wegen Mangels an Beweisen kollabiert. 2004 wurde einer der beiden Schützen, Ken Barrett, einst ein bezahlter Informant der RUC Special Branch, aufgrund eines Geständnisses, in dem er lediglich sich und sonst niemanden belastete, rechtskräftig verurteilt. Damit ist der UDA-Fußsoldat Barrett bislang die einzige Person, die wegen Beteiligung an der Ermordung Finucanes zur Verantwortung gezogen wurde. Offenbar mußte er die Rolle des Bauernopfers übernehmen, denn aus der jüngsten Studie der bisherigen Aktenlage geht ganz klar hervor, daß hier weit mehr Menschen, davon einige in hohen staatlichen Positionen, ihre Hände im Spiel hatten. Dafür spricht das eindeutige, aus Rücksicht auf die Staatsräson widersprüchliche Fazit von Kronanwalt de Silva:

Meine Überprüfung der Beweislage im Fall Patrick Finucane hat bei mir keinen Zweifel aufkommen, daß Agenten des Staates in schwere Menschenrechtsverstöße bis einschließlich Mord verwickelt waren. Dennoch, trotz der verschiedenen Fäden der Verwicklung durch Elemente des Staates, bin ich davon überzeugt, daß es keine übergeordnete Verschwörung zur Ermordung Patrick Finucanes gab.

Nach den früheren drei Untersuchungen, zwei vom ehemaligen Polizeipräsident Londons, Sir John Stevens, und eine durch den kanadischen Richter Peter Cory, ist jedesmal der Ruf nach der Einrichtung einer öffentlichen Untersuchung laut geworden. Hierfür hat sich de Silva nicht ausgesprochen. Auch David Cameron lehnt ein solches Ansinnen ab und schiebt Kostengründe vor. Doch der Grund, warum die Tories in London den Finucane-Fall nun abhaken wollen, ist einfach erklärt. Die FRU und die RUC Special Branch mögen infolge des "Friedensprozesses" längst abgeschafft worden sein, doch der britische Inlandsgeheimdienst MI5, der damals den "schmutzigen Krieg" Londons gegen die IRA koordinierte, erfreut sich mit einer großen Residenz am Rande von Belfast einer noch stärkere Präsenz in Nordirland als je zuvor und führt immer noch unzählige Doppelagenten bei den paramilitärischen Splittergruppen auf republikanischer und auf loyalistischer Seite. Auch eine direkte Beteiligung des MI5, des damaligen Staatssekretärs im Innenministerium Hogg und sogar von Camerons Vorgängerin Thatcher an der Ermordung Pat Finucanes kann nicht ausgeschlossen werden. Die "eiserne Lady" galt nach Angaben ihres eigenen Schatzmeisters und Kabinettskollegen Nigel Lawson als eifrige Leserin der Military Intelligence Source Reports der FRU aus Nordirland.

Auf der Pressekonferenz der Finucane-Familie hat der älteste Sohn, der heute selbst als Anwalt in Belfast arbeitet, die wiederholte Behauptung Camerons kritisiert, wonach aus dem De-Silva-Bericht hervorgehe, daß der britische Sicherheitsapparat in Nordirland damals "schwere Fehler" begangen hätte. Dazu Michael Finucane: "Es sind keine schweren Fehler begangen worden. Er hat genau das getan, wozu er konzipiert war: über die Jahre die Effektivität loyalistischer Paramilitärs bei Angriffen zu verbessern und zu schärfen. Ein Dorn im Auge der Behörden konnte unter Bedingungen, die es dem Staat erlaubten, jede Verantwortung zu bestreiten, beseitigt und getötet werden. Nach Einschätzung Michael Finucanes sind vermutlich Hunderte Menschen der Mordmaschine des britischen Staates zum Opfer gefallen.

13. Dezember 2012