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AGRAR/088: FAO und EBRD wollen Getreideproduktion fördern (SB)


Wachsender Welthunger ruft nach Mobilisierung der letzten Potentiale

Globalinstitutionen sprechen sich für die Förderung von Investitionen in die landwirtschaftliche Produktionskette aus


Nach dem weltweiten Anstieg der Lebensmittelpreise im vergangenen Jahr um fast 40 Prozent und der Fortsetzung des Trends in diesem Jahr warnen zahlreiche Experten, daß sich die Ärmsten der Armen bald - oder eigentlich schon heute - kaum noch Nahrung leisten können. Aus Afrika und Ländern wie Ecuador wird berichtet, daß viele Einwohner von drei Mahlzeiten pro Tag auf nur noch eine umgestiegen sind. Mehr liege nicht drin. Die Direktorin des UN-Welternährungsprogramms (WFP), Josette Sheeran, sagte vor kurzem gegenüber der Presse und auch vor Abgeordneten des Europaparlaments, daß ihrer Organisation, die weltweit die meiste Nahrungsmittelhilfe leiste, die finanziellen Mittel ausgehen und der Preisanstieg bei Lebensmitteln nicht aufgefangen werden kann. Man werde sich künftig gezwungen sehen, die Rationen zu kürzen oder ganze Personengruppen aus der Versorgung herauszustreichen.

Ähnlich äußerten sich auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, der das Millenniumsziel zur Halbierung der größten Armut bis 2015 in Gefahr sieht, und der Direktor des Ernährungs- und Landwirtschaftsprogramms der Vereinten Nationen (FAO), Jacques Diouf. Die FAO und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) waren auch die Organisatoren einer Konferenz am Montag in London, bei der über Maßnahmen beraten werden sollte, wie die Produktion von Nahrungsmitteln erhöht werden kann. Die Stoßrichtung zielte auf eine bessere Zusammenarbeit zwischen dem privaten und öffentlichen Sektor und die Nutzbarmachung unter anderem des osteuropäischen Landwirtschaftspotentials.

Ähnlich wie die EU-Kommission das Fächenstillegungssystem vorübergehend ausgesetzt hat, damit bislang unbewirtschaftete Flächen zur Produktion von Getreide in Gebrauch genommen werden, sehen die FAO und EBRD ein großes Potential in der Stärkung der osteuropäischen Landwirtschaft. Dabei betonten die Organisatoren, wie wichtig es sei, daß nicht nur in den primären Landwirtschaftssektor investiert wird, sondern in die gesamte Infrastruktur der Agrarproduktion und weiterverarbeitenden Industrie.

In Osteuropa und den GUS-Staaten, vor allem in Kasachstan, Rußland und Ukraine, seien in den letzten Jahren rund 23 Millionen Hektar potentielle landwirtschaftliche Fläche aus der Produktion herausgenommen worden, hieß es. Davon könnten mindestens 13 Millionen Hektar ohne die Gefahr größerer Umweltkosten verwendet werden (http://www.fao.org/newsroom/en/news/2008/1000808/index.html).

Die EBRD, der 61 Länder und zwei intergovernmentale Institutionen angeschlossen sind, hat es sich zum Ziel gesetzt, den osteuropäischen und asiatischen Staaten beim Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft zu helfen. Deshalb liegt es auf der Hand, daß die Vertreter der Bank vor staatlichen Maßnahmen wie die Aufhebung der Zollschranken oder umgekehrt die Verhängung von Ausfuhrbeschränkungen für Getreide als ein kaum geeignetes Mittel zur Behebung des Nahrungsmangels ansehen. Statt dessen sollten die Regierungen für das notwendige Investitionsklima sorgen, um dadurch private Investitionen auf sämtliche Ebenen der Nahrungsmittelproduktion anzulocken, schlägt die Bank vor. Es seien umfangreiche Investitionen in die Produktion, Lagerung und den Transport von landwirtschaftlichen Erzeugnissen erforderlich. Hierfür müßten finanzielle Ressourcen sowohl aus dem öffentlichen als auch privaten Sektor mobilisiert werden.

Beim Beschwören der sogenannten Marktkräfte zur Behebung des globalen Nahrungsmangels wird allerdings ein Widerspruch geflissentlich übersehen: Ein Unternehmer kann zwar daran verdienen, wenn er die Produktion steigert, aber günstiger ist es für ihn, wenn Mangel herrscht. Dann gewinnt seine Ware an Wert, ohne daß er etwas dazu tun muß.

Als die chinesische Regierung vor kurzem schwere Ernteeinbrüche aufgrund des harten Winters, der enorme Schneemassen mitgebracht hatte, bekanntgab, jubelten die Börsianer und investierten in Agrarerzeugnisse. Das führte zu einem starken Preisanstieg an den Börsen. Die Investoren hatten aber nicht die Behebung des Mangels im Sinn, sondern sie setzen darauf, daß sie von der Not profitieren werden.

Nun sind Börsianer zwar ein eigener Schlag innerhalb des kapitalistischen Wirtschaftssystems, aber daß sich ein Wert aus dem Mangel ergibt, gilt prinzipiell. Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, daß vieles dafür spricht, daß in diesem Jahr die Landwirtschaft einen Schub erfahren wird und wahrscheinlich auch in osteuropäischen und asiatischen Ländern Flächen bewirtschaftet werden, die zuvor brach gelegen haben. Aber auch hierbei gilt, daß der Anreiz aus dem vorangegangenen Preisanstieg für Getreide kommt. Mangel ist die Voraussetzung für die Investitionsbereitschaft.

Auch innerhalb der Europäischen Union werden die Bauern, von der Pflicht zur Flächenstillegung befreit, die bewirtschaftete Agrarfläche erweitern, können sie sich doch darauf verlassen, daß die Getreidepreise nicht mehr in den Keller gehen werden. Der Mehrverdienst der Landwirte steht im umgekehrten Verhältnis zur Not einer wachsenden Zahl von Menschen, die sich keine gesunde oder keine ausreichende Menge an Nahrung leisten können.

12. März 2008