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STRAFRECHT/043: Globalisierung macht auch vor Strafrecht nicht halt (JOGU Uni Mainz)


[JOGU] Nr. 205, Juni 2008
Das Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

"Die Globalisierung macht auch vor dem Strafrecht nicht halt"

Für seine herausragende Dissertation zur "Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise im deutschen Strafprozess" hat Frank Peter Schuster kürzlich den Preis der Johannes Gutenberg-Universität erhalten. JOGU sprach mit dem Juristen über seine Forschungsarbeit und seine wissenschaftliche Zukunft.


JOGU: Die grenzüberschreitende Kriminalität ist gerade in der Europäischen Union ein von den Mitgliedstaaten seit Jahren diskutiertes Problem...

SCHUSTER: ... das inzwischen zu einer ganzen Reihe von Maßnahmen geführt hat.

Die EU-Behörde OLAF - also das europäische Amt für Betrugsbekämpfung, zu englisch European Anti-Fraud Office - kümmert sich speziell um Subventionsbetrug zu Lasten der Gemeinschaft, Europol und Eurojust helfen allgemein bei der Koordinierung von Ermittlungs- und Strafverfolgungsmaßnahmen.

2006 ist das EU-Rechtshilfeübereinkommen in Kraft getreten, das zahlreiche Erleichterungen gebracht hat - etwa die Zeugenvernehmung per Videokonferenz oder die grenzüberschreitende Telefonüberwachung. Trotzdem verfügt jeder EU-Staat weiterhin über seine eigene Strafprozessordnung, daran soll sich vorerst auch nichts ändern.

JOGU: In Ihrer Dissertation fahnden Sie nach den Voraussetzungen, unter denen im Ausland erhobene Beweise in einem deutschen Strafverfahren verwertet werden können.

SCHUSTER: Genau. In meiner Arbeit habe ich zunächst die entsprechenden innerstaatlichen Regeln für die Beweisverwertung zusammengestellt. Dann frage ich, welche dieser deutschen Lösungen auf die außerhalb der Bundesrepublik erhobenen Beweise anwendbar sind, Ich habe einige Fallgruppen aufgeführt und besprochen, die Ergebnisse liefern auch Kriterien für eine Verbesserung des Beweismitteltransfers innerhalb der Europäischen Union.

JOGU: Sie sprechen von "Regeln" und nicht von "Gesetzen"?

SCHUSTER: Beweisverwertungsverbote wurden von Rechtsprechung und Wissenschaft als mögliche Reaktion auf Verfahrensverstöße entwickelt. Gesetzlich festgelegt sind diese - durchaus berechenbaren - "Regeln" jedoch nicht. Eine Ausnahme bilden hier nur besonders schwere Rechtsverletzungen, etwa bei körperlicher Misshandlung des Beschuldigten. Dann bestimmt das Gesetz, dass die so erzwungene Aussage selbst dann nicht verwertet werden darf wenn der Beschuldigte der Verwertung zustimmt.

JOGU: Ein zentraler Punkt Ihrer Argumentation in Bezug auf Auslandsbeweise dreht sich um die Unterscheidung von unselbständigen und selbständigen Beweisverwertungsverboten...

SCHUSTER: ... "unselbständig" ist ein Beweisverwertungsverbot, wenn es auf der Verletzung strafprozessualer Vorschriften bei der Beweiserhebung basiert. Ein solches greift zum Beispiel für Erkenntnisse aus einer Telefonüberwachung im Inland, die nicht von einem Richter angeordnet wurde. Bei Beweiserhebung im Ausland kann dagegen grundsätzlich nur die Einhaltung des dortigen Rechts erwartet werden. Wenn die ausländische Rechtsordnung also keinen Richtervorbehalt kennt, ist die Anordnung durch einen Richter nicht Voraussetzung für die Verwertbarkeit in Deutschland. In diesem Kontext ist also keine Konformität mit dem deutschen Recht erforderlich.

JOGU: Sie schreiben aber auch, dass das ausländische Recht manchmal so beschaffen sein kann, dass es unsere rechtsstaatlichen Vorstellungen verletzt.

SCHUSTER: Richtig, dann muss man sich über 'selbständige' Beweisverwertungsverbote Gedanken machen. In bestimmten Fällen ist die Verwertung eines im Ausland gewonnenen Beweiswittels zum Beispiel mit dem deutschen Grundgesetz nicht vereinbar.

JOGU: Vor allem im Hinblick auf diese "selbständigen" Beweisverwertungsverbote haben Sie in Ihrer Arbeit das deutsche Recht mit anderen Strafprozessordnungen verglichen.

SCHUSTER: Es ist erstaunlich, wie uneinheitlich der europäische Gesetzesraum zum Teil noch ist. Nehmen wir das Beispiel der Zeugenvernehmung. In Frankreich ist die Anwesenheit eines Verteidigers im Vorverfahren oft nicht gewährleistet, obwohl eine dort gemachte Aussage Grundlage einer Verurteilung sein kann. Man muss sich fragen, inwieweit ein Verfahren dann noch als "fair" bezeichnet werden kann. Großbritannien nimmt dagegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz ausgesprochen ernst, das heißt es zählt nur das, was vom Zeugen in der Hauptverhandlung und in Konfrontation mit der Verteidigung gesagt wurde. Anders als in Deutschland ist auch "Hörensagen" kein zulässiges Beweismittel.

JOGU: Also haben der Angeklagte und sein Verteidiger in Großbritannien generell mehr Rechte?

SCHUSTER: Nein. In Bezug auf den Angeklagten wurde dort sogar der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit mittlerweile stark ausgehöhlt. Das Schweigen des Angeklagten wird in Großbritannien unter bestimmten Voraussetzungen als Schuldindiz gewertet. Er ist damit bei seiner Entscheidung auszusagen nicht wirklich frei. Zudem ist der Angeklagte, wenn er sich äußert, Zeuge in eigener Sache und unterliegt der Wahrheitspflicht, Ein unter solchen Bedingungen gewonnenes Geständnis ist nach meinem Ansatz in Deutschland unverwertbar. Die Verwertung in einem deutschen Strafverfahren würde den Angeklagten in seinen Grundrechten verletzen.

JOGU: Sie haben in England studiert.

schuster: Von 1997 bis 1998 war ich Erasmus-Student an der University of the West of England in Bristol, ich habe auch den Magister Iuris-Studiengang abgeschlossen, welcher vom Mainzer Fachbereich in Kooperation mit verschiedenen ausländischen Hochschulen angeboten wird.

JOGU: Inzwischen können Sie darüber hinaus zwei deutsche Staatsexamen, einen Magister und eine preisgekrönte Dissertation vorweisen. Wie geht's weiter?

SCHUSTER: Im Zusammenhang mit meiner Dissertation und meiner sonstigen Forschungstätigkeit wurde ich eingeladen, im Juni bei der siebten Jahrestagung der "Neuen Zeitschrift für Strafrecht", einer der bedeutendsten Praktikerzeitschriften für Juristen, über "Grenzüberschreitende Ermittlungen in Wirtschaftsstrafsachen" zu referieren. Ansonsten arbeite ich an meiner Habilitation - zu einem materiell-rechtlichen Thema im Bereich den Wirtschaftstrafrechts, welches aber zum Teil europarechtliche und internationale Bezüge aufweist. Die Globalisierung macht auch vor dem Strafrecht nicht halt.

Das Gespräch führte Ulrike Brandenburg


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Quelle:
[JOGU] - Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Nr. 205, Juni 2008, Seite 18-19
Herausgeber: Der Präsident der Johannes Gutenberg-Universität Mainz,
Univ.-Prof. Dr. Georg Krausch
Tel.: 06131/39-223 69, -205 93; Fax: 06131/39-241 39
E-Mail: AnetteSpohn@verwaltung.uni-mainz.de

Die Zeitschrift erscheint viermal im Jahr.
Sie wird kostenlos an Studierende und Angehörige
der Johannes Gutenberg-Universität sowie an die
Mitglieder der Vereinigung "Freunde der Universität
Mainz e.V." verteilt.


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juli 2008