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WIRTSCHAFT/115: Stichwort - Europäischer Stabilisierungsmechanismus im neuen EU-Governance-System (spw)


spw - Ausgabe 2/2011 - Heft 183
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Stichwort zur Wirtschaftspolitik:
Europäischer Stabilisierungsmechanismus im neuen EU-Governance-System

Von Arne Heise


Die jüngste Weltfinanzkrise hat nicht nur tiefe Spuren in den öffentlichen Haushalten aller EU-Mitgliedsstaaten hinterlassen, sondern zur Abwendung des Zusammenbruchs der Europäischen Währungsunion (EWU) und zu einer umfangreichen Erweiterung des europäischen Governance-Systems geführt. Gelegentlich wird davon gesprochen, dass die beschlossenen Maßnahmen zur stärkeren Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Einstieg in eine "Europäische Wirtschaftsregierung" sei. Es wurde aber kein demokratisch kontrollierter, supranationaler Akteur mit eigener Fiskalkompetenz geschaffen. Merkmale, die eine Europäische Wirtschaftsregierung mindestens erfüllen muss, um sich vom gegenwärtigen Governance-Verfahren des von der EU-Kommission angeleiteten Intergovernmentalismus zu unterscheiden. Daher handelt es sich eher um eine quantitative Erweiterung des EU-Governance-Systems, denn um eine qualitative Veränderung.

Die auf dem EU-Gipfel am 24. und 25. März getroffenen Vereinbarungen sehen die Erweiterung des bis 2013 gültigen Europäischen Finanzstabilisierungsfonds (sogenannter 'Euro-Rettungsschirm') zu einem dauerhaft gültigen und quantitativ erweiterten Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) vor, der zum verschärften Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt (ESWP) und dem neuen Euro-Plus-Pakt (EPP) hinzutritt und im Rahmen des neuen 'Europäischen Semester', einem Halbjahreszeitraum, zur stärkeren Koordinierung und Kontrolle der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Euroländer und freiwillig sich beteiligender weiterer EU-Länder beitragen soll. Damit soll in erster Linie die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte der Euroländer angeleitet (erzwungen!) werden, was in alter Argumentationstradition zusammen mit (weiteren) Arbeitsmarktreformen die Grundlage für sozialintegratives Wachstum legen soll.

Der ESWP beeinflusste die Finanzpolitik der öffentlichen Haushalte in der EWU nachweislich restriktiv. Dennoch wird die angeblich zu laxe Einhaltung des ESWP - was allenfalls für Griechenland gilt - heute zu einem der Auslöser der Euro-Krise, also der Spekulationen auf die Insolvenz einzelner Staatshaushalte, stilisiert. In der Konsequenz soll eine Verschärfung des ESP die Finanzmärkte beruhigen helfen und die "uneinsichtigen" oder zu schwachen Regierungen der Euroländer durch einen Quasi-Automatismus der Sanktionierung zu sparsamerem Haushalten anreizen. Tatsächlich aber ist die unzweifelhafte Schieflage der Euroländer-Haushalte Folge und nicht etwa Ursache der Finanzkrise, und selbst absolute finanzpolitische Musterländer wie Irland sind trotz Übererfüllung des ESWP in die Euro-Krise hineingezogen worden.


Vom Europäischen Finanzstabilisierungsfonds (EFSF) zum Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM)

Nachdem den Liquiditätsproblemen Griechenlands Anfang 2010 noch durch eine Einzelmaßnahme der EU begegnet werden konnte, zeigte sich spätestens mit dem teilweise dramatischen Ansteigen der Zinssätze auf Staatsanleihen aus Irland, Spanien und Portugal, dass die Finanzmärkte weiterhin verunsichert waren - und nicht etwa an ein allgemeines Bail-out insolventer Euroländer glaubten, wie viele Kritiker des Hilfspakets für Griechenland behaupteten. Mit Hilfe des IWF wurde im Rahmen des Europäischen Finanzstabilisierungsfonds (EFSF) eine bis Juli 2013 befristete Maßnahme beschlossen, die bis zu 750 Mrd. Euro (500 Mrd. Euro von den EU-Mitgliedsländern, 250 Mrd. Euro vom IWF) bereitstellen konnte. Der Anreiz für die Schuldnerländer, den EFSF in Anspruch zu nehmen, liegt in der deutlich niedrigeren Verzinsung (aufgrund des besseren Ratings des EFSF). Der Anreiz für die Gläubigerländer liegt einerseits darin, einen Domino- bzw. Ansteckungseffekt zu verhindern, andererseits die eigenen, in den Schuldnerländern teilweise stark involvierten heimischen Geschäftsbanken zu schützen.

Da nun eine Beruhigung der Finanzmärkte und eine grundsätzliche Verbesserung der Haushaltslage in den Euroländern bis 2013 nicht zu erwarten ist, darüberhinaus das Volumen des EFSF als nicht hinreichend angesehen wurde, um z.B. auch potenzielle Hilfskandidaten wie Portugal und Spanien aufnehmen zu können, musste eine Verstetigung des temporären "Euro-Schutzschirmes" erzielt werden: Der neue und dauerhafte Europäische Stabilisierungsmechanismus erhöht das nominelle Kreditvolumen auf 700 Mrd. Euro von den Euroländern (der bisherige IWF-Anteil soll beibehalten werden). Die Inanspruchnahme des ESM folgt nach den Kriterien der Ultima Ratio, der Konditionalität und der Einstimmigkeit.


Der Euro-Plus-Pakt

Ergänzt schließlich wird der ESWP und der ESM durch den Euro-Plus-Pakt (EPP), der sich den anhaltenden Ungleichgewichten in der E(W)U zuwendet. Hier sollen die Regierungen der Euroländer, die von der EU-Kommission als "Problemländer" identifiziert wurden, anhand eines Indikatorenkatalogs konkrete Verpflichtungen festlegen, mittels derer sie die dargelegten Probleme z.B. im Bereich der Lohnstückkostenentwicklungen, der Haushaltsentwicklung oder der strukturellen Sozialausgaben kurzfristig begegnen wollen. Diese Verpflichtungen werden wiederum von der EU-Kommission überwacht. Obwohl es keinerlei Prärogative der EU-Kommission oder des Rats der EU gibt und auch keine Sanktionen verhängt werden können, ist doch absehbar, dass hier nationale Lohnverhandlungs- und Sozialsysteme weiter und systematisch unter Druck geraten werden.

Insgesamt dürfte diese erweiterte EU-Governance-Architektur nicht dazu beitragen, die Euro-Krise zu überwinden: Der verschärfte ESWP erhöht den Konsolidierungsdruck und führt zu einer absurden Sparpolitik, die die für eine nachhaltige Haushaltskonsolidierung benötigte Wachstumsdynamik in der Eurozone kaum erlauben wird. Im Rahmen des EPP werden Lohnentwicklungen und Sozialausgaben ebenso wie fehlende Verschuldungsbremsen systematisch an den Pranger gestellt - und der ESM zwingt dann den Ländern, die unter diesen Bedingungen von weiter verunsicherten Finanzmärkten unter Druck gesetzt werden, unter dem Prinzip der Konditionalität jene Reformen auf, die sich in ihren 'sozialen Demokratien' ansonsten nicht durchsetzen lassen. Ein 'soziales Lernen' der europäischen Entscheidungsträger, die mit zunehmender Europaskepsis und massiven sozialen Protesten konfrontiert sind, lässt sich hier beim besten Willen nicht erkennen.


Dr. Arne Heise ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg.


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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 2/2011, Heft 183, Seite 51-52
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2011