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WIRTSCHAFT/111: Der Euro-Pakt - ein Angriff auf Löhne, Renten und soziale Sicherung (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 15 vom 15. April 2011
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Der Euro-Pakt - ein Angriff auf Löhne, Renten und soziale Sicherung
Kredite der Banken sollen gesichert werden - zu Lasten der arbeitenden Menschen

Von Georg Polikeit


"Entscheidungen von historischem Ausmaß" hätten die Staats- und Regierungschefs des "Euro-Raumes" getroffen, schrieb die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". EU-Kommissar Rehn aus Finnland, in Brüssel zuständig für Währungsfragen, sprach von einer "historischen Reform der wirtschaftspolitischen Steuerung in der Europäischen Union". Die deutsche Kanzlerin meinte: "Die Grundschneise ist geschlagen ... Der wesentliche Teil der Arbeit ist geleistet". Der Euro-Pakt sei "das Aufstoßen einer neuen Tür".

Fragt sich nur: In welche Richtung wurde da eine Tür aufgestoßen? In was hinein wurde eine "Schneise" geschlagen und was wird dabei abgeholzt? Auf welches Ziel hin ist die "wirtschaftspolitische Steuerung" ausgerichtet?

Die Einzelheiten, was da vereinbart wurde, sind offenbar bisher in der deutschen Öffentlichkeit und besonders bei denen, die direkt davon betroffen sein werden, noch gar nicht richtig angekommen. Hinter dem Rauchschleier einer "Diskussion", ob der neue "Euro-Rettungsschirm", den jetzt nach Griechenland und Irland auch Portugal in Anspruch nimmt, nun ausreichen wird, um die "Stabilität des Euro" zu sichern, und ob "wir Deutsche" für die "Schuldensünder" zahlen müssen, verschwindet die Erkenntnis, worum es eigentlich geht: um die Rettung der Kredite der europäischen und US-amerikanischen Banken, die in den EU-Staaten Geld "investiert" haben, um daraus hohe Zinsen und Profite herauszuholen - und um die Abwälzung der Lasten der dadurch ausgelösten Finanz- und Wirtschaftskrise auf die Masse der Beschäftigten, Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger in allen EU-Staaten.


Ein "umfassendes Maßnahmenpaket" im Dienst des Sparzwangs für die "Stabilität des Euro"

Im Schlussprotokoll des EU-Gipfels vom 24./25. März heißt es, dass der Rat der Staats- und Regierungschefs der EU auf dieser Tagung ein "umfassendes Maßnahmenpaket verabschiedet" habe, dessen Ziel es sei, "die Finanzkrise endgültig zu überwinden und zu einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum zurückzukehren". Durch dieses Maßnahmenpaket werde "die wirtschaftspolitische Steuerung der Europäischen Union gestärkt und die dauerhafte Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt gewährleistet".
("Schlussfolgerungen des Europäischen Rates, 24./25. März 2011 -
www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/de/ec/120313.pdf)


Im Wesentlichen besteht das "Maßnahmenpaket" aus folgenden Punkten:

• Verstärkte Kontrolle der Haushaltsplanungen der EU-Staaten im Rahmen des "Europäischen Semesters"

• Verschärfung der im EU-"Stabilitätspakt" enthaltenen
Bestimmungen für Sanktionen bei Verstößen gegen die
"Stabilitätskriterien"

• Vereinbarung eines zusätzlichen EU-Pakts für "Wettbewerbsfähigkeit", neuerdings als "Euro-Plus"-Pakt bezeichnet

• Einführung des auf Dauer angelegten EU-"Stabilitätsmechanismus", der einzelnen EU-Staaten im Interesse der "Stabilität des Euro" Finanzhilfen gewähren kann, die mit drakonischen Auflagen zur Änderung der Haushalts-, Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik dieser Staaten gekoppelt werden.

In diesem Beitrag sollen die neuen Orientierungen des "Euro-Plus"-Pakts im Vordergrund stehen, die in der öffentlichen Debatte noch kaum eine Rolle spielen, nicht zuletzt aufgrund der "verschraubten" und schwer verständlichen Sprache, die den EU-Texten eigen ist. Mit Sicherheit werden aber die "einfachen Menschen" in allen EU-Staaten von diesen Richtlinien mehr oder weniger direkt betroffen sein.


"WirtschaftspolitischeKoordinierung von neuer Qualität"

Es kennzeichnet die eigentlichen Machtverhältnisse in der EU, dass dieser "Pakt" bei einem gesonderten Treffen bereits am 11. März unter Führung von Deutschland und Frankreich zuerst nur von den 17 Staaten der EU angenommen wurde, die den Euro als gemeinsame Währung haben. Der Rest der EU-Staaten bekam den fertigen Text beim "Gipfel" am 24./24. März nur noch vorgelegt. Sie konnten ihm nur noch "beitreten". Mitzureden über seine Inhalte hatten sie nichts mehr. Konsequenter Weise wurde der Text der Vereinbarung deshalb im Schlussprotokoll der Brüsseler Gipfeltagung auch nur als Anhang beigefügt. Von den EU-Staaten, die nicht zur Euro-Zone gehören, haben sich Bulgarien, Dänemark, Lettland, Litauen, Polen und Rumänien dem Pakt angeschlossen. Gro0britannien, Schweden, Tschechien und Ungarn waren dazu nicht bereit.

Zum Zweck des neuen Paktes heißt es im Brüsseler Schlussprotokoll, er solle innerhalb der EU "zu einer wirtschaftspolitischen Koordinierung von neuer Qualität führen".

Die Mitgliedsstaaten, die dem Pakt beigetreten sind, verpflichten sich damit, zusätzlich zu den "Steuerungsmaßnahmen" des "Europäischen Semesters" und des "Stabilitätspaktes" jedes Jahr im April nicht nur ihre mittelfristige nationale Haushaltsplanung und ihre "Reformprogramme" zum Abbau der Defizite, sondern darüber hinaus jedes Jahr ein Paket konkreter Maßnahmen für die nächsten zwölf Monate zur Verbesserung der "Wettbewerbsfähigkeit" bei der EU-Kommission zur Prüfung und Billigung vorzulegen. Die Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen sollen dann ebenfalls jährlich auf einer Tagung der Staatsund Regierungschefs "überwacht" werden.

An welche Maßnahmen ist dabei gedacht?


Der "Euro-Plus"-Pakt - Angriff auf die Löhne

In dem beschlossenen Text der Euro-Tagung vom 11. März werden solche Maßnahmen nur knapp skizziert. Aber was angedeutet wird, ist nichts weniger als ein EU-weiter Angriff von alarmierendem Ausmaß auf die Löhne und die Tarifautonomie, auf die Rechte der Gewerkschaften, auf Renten, soziale Sicherungssysteme und Gesundheitsversorgung.

So heißt es unter Punkt "a. Förderung der Wettbewerbsfähigkeit" dass Fortschritte bei der Verwirklichung von Maßnahmen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit "auf der Grundlage der Lohn- und der Produktivitätsentwicklungen" bewertet werden sollen.

Wörtlich heißt es dann weiter: "Um zu beurteilen, ob die Löhne sich entsprechend der Produktivität entwickeln, werden die Lohnstückkosten über einen Zeitraum hinweg beobachtet und dabei mit den Entwicklungen in anderen Ländern des Euro-Währungsgebiets und in den wichtigsten vergleichbaren Handelspartnerländern verglichen. Für jedes Land werden die Lohnstückkosten für die Wirtschaft insgesamt und für jeden wichtigen Sektor bewertet (verarbeitendes Gewerbe, Dienstleistungen sowie die Wirtschaftszweige für handelbare und nicht handelbare Güter). Starke und anhaltende Steigerungen können zu einer Aushöhlung der Wettbewerbsfähigkeit führen, insbesondere wenn sie mit einer Ausweitung des Leistungsbilanzdefizits und rückläufigen Marktanteilen bei den Exporten einhergehen."

Mit anderen Worten: die EU-Kommission überwacht künftig die Entwicklung der Löhne und insbesondere der Lohnstückkosten in allen EU-Staaten und kontrolliert, ob sie mit der Entwicklung der Produktivität in Überstimmung stehen. Falls irgendwo die Löhne schneller steigen sollten (zum Beispiel weil ein Nachholbedarf aufzuholen ist), wird von der EU her Druck auf das betreffende Land ausgeübt und vor einer "Aushöhlung der Wettbewerbsfähigkeit" durch "zu hohe Lohnabschlüsse" gewarnt.

Weiter heißt es, um sicherzustellen, dass "die Kosten sich entsprechend der Produktivität entwickeln", seien "beispielsweise" folgende Maßnahmen erforderlich:

"Überprüfung der Lohnbildungsregelungen und erforderlichenfalls des Grads der Zentralisierung im Verhandlungsprozess"

sowie

"Sicherstellung, dass die Lohnabschlüsse im öffentlichen Sektor den auf eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit gerichteten Anstrengungen im Privatsektor förderlich sind (eingedenk der wichtigen Signalwirkung der Löhne des öffentlichen Sektors)".

Die EU-Kommission bekommt damit eine gefährliche neue Befugnis, die sie bisher nicht gehabt hat und die in keinem der grundlegenden EU-Verträge vorgesehen war, nämlich eine Befugnis zur Überwachung der Lohnentwicklung in den einzelnen Ländern und auch zum Eingreifen in sie - wenn auch nicht (noch nicht ?) durch direkte administrative Eingriffe, aber doch durch politischen Druck auf die Regierungen, die dann die EU-"Ermahnungen" gern als Begründung für ihr eigenes Eingreifen in Lohn- und Tarifverhandlungen vorweisen werden.

Dies beeinträchtigt zugleich die Tarifautonomie, weil die "Lohnfindung" damit den von Brüssel bestimmten Grenzen unterworfen wird.

Mit der geforderten "Überprüfung des Grads der Zentralisierung im Verhandlungsprozess" wird zugleich ein Angriff auf das Prinzip von Flächentarifverträgen gestartet und die Verlagerung der Lohnverhandlungen weg von zentralen zu regionalen, örtlichen und betrieblichen Tarifverhandlungen gefördert - wohl wissend, dass damit die Zersplitterung der Beschäftigten in immer kleinere Gruppen und die Schwächung ihrer Kampfkraft zur Durchsetzung ihrer Forderungen vorangetrieben wird.

Zugleich werden die EU-Regierungen angehalten, im "öffentlichen Sektor" möglichst niedrige Lohnabschlüsse durchzusetzen, weil dies "Signalwirkung" auch für die private Wirtschaft hat und geringe "Arbeitskosten" der "Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit" des Privatsektors natürlich "förderlich" sind. In einer Stellungnahme des DGB-Bundesvorstands zu diesem "Euro-Pakt" unter dem Titel "Pakt der ökonomischen Unvernunft und sozialen Kälte" heißt es deshalb zu Recht:

"Unter dem Deckmantel " einer produktivitätsorientierten Lohnpolitik sieht der "Pakt für den Euro" vor, in die Tarifautonomie und die historisch gewachsenen Lohnbildungsprozesse der Mitgliedstaaten einzugreifen, die Lohnfindung möglichst auf die Betriebsebene zu verlagern und die Lohnabschlüsse im öffentlichen Sektor wie im Privatsektor möglichst niedrig zu halten.
(www.dgb.de/themen/++co++107eb854-539d-11e0-4d92-00188b4dc422)

Der DGB verweist darauf, dass der "Pakt für den Euro" weitreichende Folgen für die Arbeitnehmerschaft und die europäischen Gewerkschaften hat:

"Die Tarifautonomie gilt nur im Rahmen der ermittelten Produktivitätsentwicklung, der Inflationsausgleich fehlt;

die Dezentralisierung der Lohnfindung würde die Funktion der Flächentarifverträge beeinträchtigen und zur Lohnpolitik nach betrieblicher Kassenlage führen;

das würde wiederum die Lohnspreizung nicht nur zwischen den Branchen, sondern zwischen den Betrieben vergrößern".

Zu den Vorgaben des "Euro-Pakts" gehören ausdrücklich auch "Arbeitsmarktreformen zur Förderung der 'Flexicurity'", sinnigerweise unter der Überschrift "b. Förderung der Beschäftigung" aufgeführt.

In Wirklichkeit soll damit die weitere Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse in Richtung "flexibler" Festlegung von Arbeitszeiten nach Auftragslage und von unbezahlter Überstundenarbeit sowie in Richtung vermehrter befristeter und Teilzeitarbeitsverhältnisse vorangetrieben werden. Es geht nicht um die "Förderung von Beschäftigung", sondern um die "Förderung von Niedriglohn-Beschäftigung". Zu Recht schreibt der DGB dazu: "Übersetzt heißt das nichts anderes als eine weitere Deregulierung der Arbeitsverhältnisse und die Erleichterung von Heuern und Feuern."


Der "Euro-Plus"-Pakt - Angriff auf Renten, Gesundheit, Sozialleistungen

Neben den Löhnen stehen auch Renten, Gesundheitspflege und Sozialleistungen auf der Spar- und Streichliste des "Euro-Pakts" zur "Förderung der Wettbewerbsfähigkeit".

"Um die vollständige Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu gewährleisten", müsse der "langfristigen Finanzierbarkeit der Renten, Gesundheitsfürsorge und Sozialleistungen" größte Aufmerksamkeit gewidmet werden, heißt es dazu unter Punkt "c. Verbesserung der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen" des beschlossenen Textes.

Diese "langfristige Finanzierbarkeit" soll von der EU-Kommission anhand bestimmter "Indikatoren" für jedes EU-Land "gemessen" werden, um daraus die Notwendigkeit von weiteren "Reformen" abzuleiten.

Dann wörtlich weiter:

"Die zur Gewährleistung der langfristigen Finanzierbarkeit und Angemessenheit der Renten und Sozialleistungen erforderlichen Reformen könnten Folgendes einschließen:

• Angleichung des Rentensystems an die nationale demografische Situation, beispielsweise durch Angleichung des tatsächlichen Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung oder durch Erhöhung der Erwerbsquote;

• Begrenzung der Vorruhestandsregelungen und Nutzung gezielter Anreize für die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer (insbesondere in der Altersgruppe über 55)".

Mit anderen Worten wird hier eine EU-weite generelle Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre und eine "automatische Anpassung" an die demografische Entwicklung zum Ziel erklärt.

Im Text das DGB-Bundesvorstands wird dazu festgestellt:

"Unter dem Vorwand der langfristigen Sicherung der öffentlichen Haushalte zielt der Pakt zugleich auf Einschnitte in die Sozialversicherungssysteme ab. Um die vollständige Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu gewährleisten, werden Renten, Gesundheitsfürsorge und Sozialleistungen zur Disposition gestellt... Und auch der Anstieg der Gesundheitsausgaben soll überprüft und möglichst begrenzt werden. Übersetzt heißt das: Welche Leistungen können wir den Kranken noch kürzen? Welche Zusatzbeiträge ihnen noch aufbrummen? Mit diesen Vorgaben wird überdeutlich, dass die Sanierung der durch die Krise hochverschuldeten öffentlichen Haushalte auf Kosten der sozialen Sicherungssysteme und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geleistet werden soll. Das führt unweigerlich zu einer dramatischen Aushöhlung des Sozialstaatsprinzips."


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 43. Jahrgang, Nr. 15 vom 15. April 2011, Seite 4-5
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. April 2011