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WIRTSCHAFT/075: Übergang zu neuen Energieformen - Morgen ist ein anderer Tag (research*eu)


research*eu Sonderausgabe - März 2008
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Morgen ist ein anderer Tag

Von Jean-Pierre Geets und Julie Van Rossom


Es ist eine Tatsache: Unsere Regierenden tun sich damit schwer, heute wirksame Vorbereitungsmaßnahmen zu erlassen, um den Weg für den Übergang zu neuen Energieformen von morgen zu ebnen. Und was ist, wenn sie es gar nicht schaffen?


"Die Menschheit befindet sich in einer Sackgasse", erklärt David Wasdell, internationaler Koordinator des Meridian Programme und Prüfer der IPCC-Berichte. Er ist Spezialist für die Dynamik des Klimawandels. "Einerseits neigt sich das Zeitalter der grenzenlosen Energie dem Ende zu. Die Nachfrage steigt, während die Energiequellen versiegen und die Erdölfördermethoden immer teurer werden. Andererseits produzieren wir zu viel CO2, gerade weil wir Kohlenwasserstoffe als Hauptenergiequelle vorziehen. Es ist jetzt an der Zeit, die wahre Natur der Kohlenwasserstoffe zu erkennen. Giftig und zukunftslos kann man sie nicht mehr als eine begrenzte Ressource ansehen, die es zu verteilen gilt, sondern als echte Bedrohung für die Menschheit."


Voll gegen die Wand

Sicher, der Energiepreis wird steigen, aber bietet die Lage bereits Anlass zur Sorge? "Vielleicht sehnen wir uns eines Tages nach dem Barrelpreis von 100 US-Dollar zurück, denn dieser droht schließlich auf 200 US-Dollar zu steigen", warnt David Strahan, für den dieser Höhenflug des Erdölpreises eine drastische Erhöhung aller Preise nach sich ziehen könnte, gefolgt vom Verlust von Arbeitsplätzen, einem Absturz der Kaufkraft und der Stagnation der Produktion. Und für die Wirtschaft würde ein äußerst dunkles Zeitalter beginnen.

Aber soll der "Markt", wie es manche formulieren, nicht die Preise regulieren? "Sicherlich würde die Nachfrage schließlich sinken, denn niemand könnte sich den Kauf von Erdöl mehr leisten, was wiederum eine Preissenkung nach sich ziehen würde. Aber wahrscheinlich wäre es auch zu spät, da die massiven Arbeitsplatzverluste die Zivilgesellschaft zu diesem Zeitpunkt mehr in Atem halten würden als die Benzinpreise. Man muss endlich damit aufhören, sich nur auf den Ölpreis zu fixieren, und sich auf die Folgen konzentrieren, die auftreten, wenn das Öl einmal ausgegangen ist", warnt Strahan. Für ihn birgt die Ölverknappung die Gefahr eines vollständigen Zusammenbruchs unserer Wirtschaft in sich, solange diese Ressource mit allen möglichen menschlichen Aktivitäten verwoben ist, wie dem Handel, der industriellen Produktion oder sogar bereits mit der Fahrt zum Arbeitsplatz. "Das Erdöl ist so fest in unseren Gesellschaften verankert, dass eine Versorgungsbeschränkung zu einer schweren Rezession führen könnte."


Strukturelle Kurzsichtigkeit

Könnten unsere Regierenden eine solche Bedrohung im Vorfeld angehen und den Weg für einen sanften Übergang zu einer Gesellschaft ohne Kohlenwasserstoffe vorbereiten? Die IEA sieht das recht pragmatisch. "Es gibt drei Möglichkeiten, um die Innovation auf nationaler Ebene herbeizuführen", schätzt Carrie Pottinger. "Die erste Voraussetzung ist ein robustes Hochschulumfeld. Die zweite Zutat ist ein größerer Transfer der FuE-Ergebnisse von den Hochschulen in die Privatwirtschaft. Durch die Finanzierung besonders zielgerichteter Forschungen können die für Innovation notwendigen technologischen Durchbrüche beschleunigt werden. Und das letzte Element ist eine konsistente und klare Regierungspolitik mit langfristiger Ausrichtung." Ein Zeitraum, der sich in diesem Fall weit über das Mandat pro tempore unserer politisch Verantwortlichen hinaus erstreckt. "Das ist angesichts der Natur unserer Demokratien und der sich abwechselnden Prioritäten und Menschen eine wirkliche Herausforderung", fährt Carrie Pottinger fort.

Vielleicht ist die Lebensdauer unserer Demokratien von Natur aus viel zu kurz, um langfristige Herausforderungen anzugehen. Manche schätzen, dass die Fundamente des demokratischen Systems selbst die Umsetzung kohärenter Maßnahmen behindern. "Politiker sind oft unfähig, eine langfristig wirksame Vision tatsächlich zu verabschieden. Dies ist im Wesentlichen auf die Natur des Wahlsystems selbst zurückzuführen", meint Simon Cooper, Gründungsmitglied von Converging World, einer britischen Vereinigung, die umweltfreundliche Energieprojekte in Entwicklungsländern finanziert. "Kein Politiker würde seine Aussichten auf eine Wiederwahl durch die Einführung unpopulärer Maßnahmen gefährden. Da eine langfristige Maßnahme gezwungenermaßen nur geringen Anreiz bietet, konzentrieren sich die öffentlichen Behörden systematisch auf kurzfristige Maßnahmen."

Manche Politiker stimmen dieser Feststellung sogar zu. "Probleme wie das Ölfördermaximum und die Klimaerwärmung, die eine auf lange Sicht geplante Antwort benötigen, machen den Regierenden Angst, da sie sich nicht sicher sind, wie sie in solchen Situationen handeln sollen", erklärt Jonathan Porritt, Präsident des Ausschusses für nachhaltige Entwicklung des Vereinigten Königreichs. "Die Politiker werden in einer Krise erst dann handeln, wenn das Ölangebot plötzlich sinkt und dies eine spektakuläre Preiserhöhung nach sich zieht."

In den Augen vieler könnte ein derartiger Zusammenbruch der Wirtschaft das kollektive Bewusstsein wecken und zu einem radikalen Wandel unseres Lebensstils im Rahmen einer nachhaltigeren Perspektive führen. "Ich glaube, dass dieses Argument ein wenig vereinfachend ist", antwortet Strahan. "Denn außer dem Öl haben wir noch Erdgas und Kohle, deren Verbrauch sich erhöhen würde und damit die Treibhausgasemissionen, die das Problem noch weiter vergrößern. Und sollte das Ölfördermaximum den erwarteten Zusammenbruch der Wirtschaft auslösen, würde das Kapital, also alle Reichtümer, auf einmal verschwinden. Woher würden dann die notwendigen Investitionen kommen, um eine völlig neue Energieinfrastruktur aufzubauen?"


Wie kommt man da raus?

Eine solche Situation würde der Demokratie einen Schlag versetzen. "Aus makroökonomischer Sicht glaube ich nicht, dass das Ölfördermaximum einem demokratischen System von Nutzen sein könnte. Es eignet sich in Wirklichkeit nur begrenzt dafür, den Rahmen für die notwendigen Veränderungen zu bilden, um dieser Krise zu begegnen. Wodurch sich andererseits auch erklären lässt, weshalb alle politischen Maßnahmen in dieser Sache scheitern. Jetzt ist ein ganzes Arsenal an Szenarien möglich, von der Stärkung des Aktivismus der Lokalgemeinschaften bis hin zu einer Form des Autoritarismus der Zentralregierung. Man könnte sich sogar eine Kombination aus beiden vorstellen."

Kann die Lösung dann aus der Zivilgesellschaft kommen? Für Simon Cooper "reicht die politische Aktion nicht aus. Nur individuelle Initiativen, die gemeinsam abgestimmt und auf der Ebene der Gemeinschaft vorangetrieben werden, können zu richtigen Lösungen führen." Zum Beispiel finanziert seine Organisation über die finanzielle Hilfe von Privatunternehmen aus reichen Ländern Projekte in Entwicklungsländern. Für ihn kann einzig und allein die individuelle Maßnahme die Mängel der politischen Entscheidungen ausgleichen. Aber wird dies ausreichen? Jonathan Porritt zweifelt daran. "Soziale Bewegungen, die auf lokaler Ebene entstehen, können meines Erachtens nur einen sehr begrenzten Einfluss ausüben." Strahan gesteht ein, dass die künftige Lage sehr besorgniserregend ist. "Aber ich hege dennoch die Hoffnung, dass sich durch das Ölfördermaximum soziale Bewegungen auf lokaler Ebene bilden werden, damit die Menschen gemeinsam mit ihren Nachbarn ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen können."

Eines ist jedoch sicher: Das Ölfördermaximum und, langfristig gesehen, der Klimawandel werden das Gesicht unserer Welt erheblich verändern. Wir müssen uns so gut wie möglich auf diesen unglaublichen Umbruch vorbereiten. David Wasdell fasst das folgendermaßen zusammen: "Auf einem Kohlkopf sitzen zwei Raupen. Ein Schmetterling fliegt an ihnen vorbei. Die eine Raupe sagt zu der anderen: Du wirst mich niemals auf einem dieser Dinger erwischen! - Ich glaube, dass die Welt von morgen sich von der heutigen genauso unterscheiden wird wie Raupen von Schmetterlingen."


Internet

Öffentliche Konsultation der Generaldirektion Energie und Verkehr der Europäischen Kommission
ec.europa.eu/energy/


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Quelle:
research*eu Nr. Sonderausgabe - März 2008, Seite 41-42
Magazin des Europäischen Forschungsraums
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. September 2008