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SOZIALES/116: Geschlechtergleichstellung in Europa (research*eu)


research*eu Nr. 52 - Juni 2007
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Chancengleichheit
Geschlechtergleichstellung in kleinen Schritten

Von Christine Rugemer


Welche Entwicklung lässt sich bei der Berücksichtigung der Gleichstellung der Geschlechter in der öffentlichen Politik in Europa erkennen? Welchen Einfluss hat das von der EU befürwortete Prinzip der Chancengleichheit auf die nationalen Strategien? Wie wirkt es sich in der Realität auf die jeweilige Stellung von Frauen und Männern in der Gesellschaft aus? Das 'Equapol'-Projekt hat den Ansatz des "Gender-Mainstreamings" in acht europäischen Ländern (1) untersucht. Hierbei lag der Schwerpunkt auf zwei großen Bereichen: der Einkommensverteilung und der Bildung. Momentaufnahme einer vielschichtigen Landschaft.


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Angesichts der geschlechtsspezifischen Benachteiligung sind Männer und Frauen, je nachdem in welchem Land sie leben, noch lange nicht gleichgestellt. Von den acht Ländern, die von fünf Forscherteams im Rahmen des 'Equapol'-Projekts zwei Jahre lang untersucht wurden, ist Schweden das Musterbeispiel. Dort wird "Alles" unternommen, um die Unterschiede bei Rechten, Status und Behandlung zu überwinden. Man kann hier von einem wahren "integrierten Konzept" der Gleichstellung der Geschlechter sprechen. Mit diesem systematischen Ansatz sollen die strukturellen Wurzeln der geschlechtsspezifischen Benachteiligung zwischen den Welten von Männern und Frauen bekämpft werden.


Das schwedische Modell

Die geschlechtsspezifische Benachteiligung wird hier als ein Problem der Macht verhältnisse verstanden, von dem kein Bereich ausgenommen ist. Das 'Gender-Mainstreaming' nach skandinavischem Modell durchzieht folglich das ganze sozialökonomische Leben, die staatlichen Maßnahmen, die Zivilgesellschaft, die Organisationen und Vereinigungen und im weiteren Sinne auch die Werte und Einstellungen, von denen die Privatsphäre geprägt wird - wie z. B. häusliche Gewalt. Diese Philosophie funktioniert, da sie einen breiten Konsens widerspiegelt und sie förmlich an die politischen Prozesse gebunden ist. Ministerien (von denen sich eines ausschließlich mit der Gleichstellung von Männern und Frauen beschäftigt), Behörden auf sämtlichen Ebenen, Unternehmen und Vereinigungen sind an diesen Bestrebungen beteiligt. Eine zentrale Rolle kommt den Experten zu, deren Studien und Meinungen insbesondere bei öffentlichen Ausgaben großen Einfluss auf wichtige Entscheidungen haben. "Geschlechterforschung" hat sich zu einem eigenständigen Forschungsgebiet entwickelt, das seit Ende der 70er Jahre von der Regierung unterstützt wird. Fast alle Universitäten bieten Studiengänge zu dieser Problematik an.

Diese stark institutionalisierte Berücksichtigung ist hier, ganz anders als in fast allen anderen untersuchten Ländern, ein langfristiges Engagement. Zur Bewertung der Auswirkungen wird die 3-R-Methode herangezogen. R steht dabei für 'Repräsentation' (Männer und Frauen teilen sich die Rollen in Politik, Unternehmen usw.), für Ressourcen (Löhne und Gehälter, Renten, Subventionen für kulturelle bzw. sportliche Aktivitäten usw.) und für 'Realität' (qualitative Analyse der Situation sowie der eventuellen kulturellen Unterschiede).

"Einer der hier greifenden Erfolgsfaktoren ist 'die Zeit'", bemerkt Mary Braithwaite, technische Koordinatorin von 'Equapol'. "Schweden kann auf eine lange Tradition bei der Gleichstellung der Geschlechter und auch bei der Gleichstellung im Allgemeinen zurückblicken. Das nordische Modell ist für das übrige Europa von großer Bedeutung, selbst wenn die skandinavische Praxis auch mögliche Übertreibungen der Technokratie, des Legalismus und der Bürokratie zeigt. Es wäre jedoch eine schlechte Ausrede, diese Hemmnisse vorzuschieben, um dieses Konzept nicht gutzuheißen oder anzunehmen."


Transversalität

Andere Länder wenden ein "transversales" Modell der Chancengleichheit an, das sich durch die verschiedenen Regierungsebenen zieht. Dies trifft besonders auf Staaten bzw. Regionen zu, die durch eine Tradition positiver Maßnahmen geprägt sind, wie Belgien und in gewissem Maß auch Frankreich oder auch Andalusien.

"Frankreich und Belgien unterscheiden sich voneinander. In Frankreich kamen die Initiativen aus der Zivilgesellschaft und wurden dann von der Regierung aufgegriffen und berücksichtigt. Das erfolgte jedoch mehr in Form von Prinzipien als in Form von Taten, wodurch zwischen Theorie und Praxis eine tiefe Kluft besteht. In Belgien gingen die Initiativen, oftmals im Rahmen positiver Maßnahmen, von politischen Instanzen aus," erklärt Salimata Sissoko, Forscherin an der Freien Universität Brüssel.

Die belgische Bundesregierung hat 1999 "ihre Rolle bei der Durchsetzung der Gleichstellung von Frauen und Männern" anerkannt. Dieser Initiative liegt die Forderung zugrunde, dass der übergreifende Charakter der Gleichstellung anerkannt werden muss. Zwei Jahre später nahm die Regierung einen strategischen Plan für die Gleichstellung an und schuf eine 'Mainstreaming-Einheit' (inzwischen abgeschafft). Sie bestand insbesondere aus wissenschaftlichen Sachverständigen, welche die auf diesem Gebiet zutreffenden Maßnahmen ermitteln und bewerten sollten. Seit Dezember 2002 ist das 'Institut pour l'égalité des femmes et des hommes' (Institut für Gleichstellungsfragen) die öffentliche bundesländerübergreifende Institution. Ihre Aufgabe ist es, die Gleichstellung von Frauen und Männern zu gewährleisten und zu fördern sowie jegliche Form von Diskriminierung und Benachteiligung aufgrund des Geschlechts zu bekämpfen. Als föderal organisiertes Land profitiert Belgien auch von der Dezentralisierung, die besondere Initiativen auf dem Gebiet der Gleichstellung der Geschlechter möglich macht - Flandern beispielsweise hat zahlreiche Maßnahmen im Bereich der Bildung ausgearbeitet.

"Folglich wurde in Belgien ein institutioneller Rahmen geschaffen: Gründung des Instituts, kürzlich vorgenommene Änderungen des Rechtsrahmens, Projekte zur geschlechtlich neutralen Formulierung bei der Klassifizierung von Funktionen bzw. Berufen, Projekte zur Gleichstellung usw.", fügt Salimata Sissoko hinzu. "Was fehlt, sind die Verpflichtungen, die über die einfachen formellen Antworten auf supranationale Anforderungen (Europa, Vereinte Nationen und andere) hinausgehen. Außerdem scheinen die Akteure vor Ort nicht unbedingt über die notwendigen Kenntnisse und ausreichenden Finanzmittel zu verfügen."


Impuls durch die Europäische Union

Das von der EU angeregte Modell wird von den Forschern von 'Equapol' als ein dritter Weg angesehen. Die Einbeziehung der Gleichstellungsthematik in die Politik ist nämlich eine Forderung der EU, die an die im Rahmen der europäischen Struktur- und Sozialfonds angebotenen Finanzierungen gebunden ist. "Dieser Impuls von oben konnte nur umgesetzt werden, weil eine derartige Politik mit den formellen und informellen Erwartungen 'der Basis', insbesondere denen der Frauenrechtsorganisationen und Netzwerke, zusammentraf", bemerkt Mary Braithwaite.

"Die Intervention der Europäischen Union, insbesondere die Finanzierungspolitik des Europäischen Sozialfonds, war für Griechenland von großer Bedeutung", meint Maria Stratigaki, Professorin an der Panteion-Universität Athen und wissenschaftliche Koordinatorin von 'Equapol'. "Auch wenn das europäische Aufbauwerk in erster Linie wirtschaftlicher Art ist, können wir dennoch durch die Unterstützung der sozialen Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt auch auf der Bildungsebene, bei der Chancengleichheit in Schulen, bei der Berufsausbildung, der Schaffung von Kinderbetreuungseinrichtungen usw. tätig werden. Ich weiß nicht, wo wir heute ohne Europa wären."

In Griechenland wie auch anderswo hat dieser externe Impuls nicht wirklich zu einem "integrierten Konzept" geführt." Für die Forscher von 'Equapol' wird das EU-Modell in den meisten Fällen auf der bürokratischen bzw. technologischen Seite als Selbstzweck umgesetzt. Der umfassende Ansatz wird verfehlt und es wird keine Verbindung zu den anderen Elementen hergestellt, die ebenfalls auf Chancengleichheit abzielen. Trotz der Grundsätze, die der Europäischen Union wichtig sind, lässt das wahre 'Gender-Mainstreaming' offensichtlich auf sich warten.


Gleichstellung über das Geschlechterproblem hinaus

Andere Strategien sind auf dem Vormarsch. Ausgehend von dem Prinzip, dass die Probleme der Benachteiligung sich nicht auf das Geschlecht beschränken, werden seit einigen Jahren im Vereinigten Königreich, insbesondere in Schottland, Nordirland und Wales, Gleichstellungskonzepte auf allen Gebieten umgesetzt. Diese politischen Maßnahmen zur "Wiederherstellung des Gleichgewichts" berücksichtigen Situationen, bei denen das Geschlecht eine Rolle spielt, genauso wie Behinderungen, Rasse oder sexuelle Ausrichtung. Ihre Befürworter sind davon überzeugt, dass dadurch die Unterstützung, die Mittel, aber auch die Möglichkeiten für den Aufbau von Verbindungen über "Identitätsschnittpunkte" (Geschlecht und Rasse, Geschlecht und Alter) möglich sind.

"Ob es uns gefällt oder nicht, ein generelleres Gleichstellungskonzept ist auf dem Vormarsch", erklärt Mary Braithwaite. "Einige Anhänger des 'Gender-Mainstreamings' sehen im Übrigen auch Vorteile in dieser globalen Furcht vor Benachteiligungen, unter der Bedingung, dass die Frage der Gleichstellung von Frauen und Männern nicht verblasst und ihre ganz speziellen Probleme berücksichtigt werden." Für Maria Stratigaki ist es jedoch nicht unbedingt positiv, wenn "die Gleichstellung der Geschlechter in den anderen Benachteiligungsproblemen untergeht". "Frauen sind keine Minderheit... Die Struktur und die Art der geschlechtsspezifischen Benachteiligung sind völlig anders, sodass andere Strategien und andere Projekte zum Tragen kommen müssen."


Mehr Forschung...

Wenn auch die europäische Politik generell die Rechtmäßigkeit und die Glaubwürdigkeit der nationalen Bemühungen bei der Chancengleichheit bestätigt hat, so "scheint doch die Unterstützung positiver Maßnahmen durch die Europäische Union zu versiegen", kann man im Bericht von 'Equapol' lesen. Was sind die Gründe für diesen Abwärtstrend? Die allgemeinen Ziele der Gleichstellung wurden zu einem Zeitpunkt ausgearbeitet, zu dem das internationale und das skandinavische Konzept großen Einfluss auf die Gleichstellung der Geschlechter hatten, während die aktuelle Bildungs- und Sozialschutzpolitik (und die Sozialpolitik generell) im Rahmen der Prioritäten von Lissabon berücksichtigt werden. Diese sind viel stärker auf "Wettbewerbsfähigkeit" und den "Arbeitsmarkt" ausgerichtet.

Die Forscher von 'Equapol' plädieren für eine Konzentration der Maßnahmen auf die vorrangigen Bereiche unter Einbeziehung weiterer Interessengruppen, ohne sich dabei auf kurzfristige Projekte zu beschränken. In ihrem Abschlussbericht kommen sie zu dem Schluss, dass "die Politik der Gleichstellung von Frauen und Männern sowie das Konzept der Integration nicht nur den Politikern oder den politischen Strukturen, in denen Männer dominieren, überlassen werden dürfen."

Weiterhin kommen sie zum Schluss, dass zusätzliche Kenntnisse über die Gleichstellung der Geschlechter, die Benachteiligung sowie die Auswirkung der politischen Maßnahmen auf diesem Gebiet erforderlich sind. Daher wären weitere Beurteilungen, Statistiken, Datensammlungen, Forschungen nötig. "Wie lässt sich erklären, dass die Unterschiede bei Löhnen und Gehältern von Frauen und Männern weiter bestehen, obwohl wir doch Belege dafür haben, dass diese Benachteiligung nicht auf den beruflichen Fähigkeiten von Männern und Frauen beruht? Wie kommt es, dass Medien und Werbung auch weiterhin ein derart konservatives und sexistisches Bild der Frauen und Männer und ihrer Beziehung untereinander verbreiten? Zahlreiche Forschungsstudien müssten noch durchgeführt werden, wie z. B. die Untersuchung der unsichtbaren Barrieren (psychologischer, kultureller, sozialer oder religiöser Art), die einer Gleichstellung der Geschlechter im Weg stehen", schlussfolgert Mary Braithwaite.

Anmerkung:
(1) Belgien, Frankreich, Griechenland, das Vereinigte Königreich, Irland, Schweden, Litauen, Spanien.

Informationen:
www.equapol.gr
Maria Stratigaki
mstrati@panteion.gr
Mary Braithwaite
marybraithwaite@yahoo.co.uk


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Mit oder gegen den Strom?

'Gender-Mainstreaming'. Diese unnatürliche Formulierung erinnert an den Hauptstrom eines Flusses, der die "Hydrologie" der Gesellschaft strukturiert. Sie bezieht sich nicht auf die biologischen Unterschiede sondern auf die sozialen, die Männer und Frauen trennen können. Das Mainstreaming beinhaltet eine globale Strategie, welche diese 'Gender'-Dimension berücksichtigt, um existierende bzw. potenzielle Benachteiligungen zu beseitigen. Eine derartige Strategie unterstützt idealerweise alle Maßnahmen, Aktionen bzw. Politiken, die Diskriminierung zur Folge haben könnte, und wird auf ein breites Spektrum von Bereichen angewandt (Governance, Bildung, Wandel der Einstellungen usw.).

Das 'Gender-Mainstreaming' kam 1995 nach der dritten Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen (Peking) auf und wird seit 1991 in den Maßnahmenprogrammen der Europäischen Union in Bezug auf die Chancengleichheit berücksichtigt. Zum Gender-Mainstreaming hat die Kommission eine Mitteilung und der Europarat eine Empfehlung verfasst. Bereits im Vertrag von Amsterdam von 1997 wird die Gleichstellung von Frauen und Männern "zu einer besonderen Aufgabe der Gemeinschaft erklärt und als horizontales Ziel festgeschrieben, das alle Gemeinschaftsaufgaben berührt".


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Quelle:
research*eu Nr. 52 - Juni 2007, Seite 36-38
Magazin des Europäischen Forschungsraums
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2007