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REGIONEN/018: Die Ökonomie der Sezession, Teil 2 (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 5. Oktober 2017
german-foreign-policy.com

Die Ökonomie der Sezession (II)


BERLIN/BARCELONA/MILANO/ANTWERPEN - Die gezielte Förderung einer exklusiven Kooperation deutscher Unternehmen mit wohlhabenden Regionen in Staaten mit verarmenden Landesteilen hat das Erstarken autonomistisch-sezessionistischer Bewegungen in Westeuropa systematisch begünstigt. Dies zeigt eine Analyse der Separatismen in Katalonien, der Lombardei und Flandern. Demnach haben Flandern sowie die Lombardei, zwei ohnehin wirtschaftsstarke Regionen, ihren Abstand zu ärmeren Gebieten in Belgien bzw. in Italien nicht zuletzt dadurch vergrößern können, dass sie für die Expansion der stärksten EU-Wirtschaft, der deutschen, eine wichtige Rolle spielten. Katalonien und die Lombardei haben in einer exklusiven Zusammenarbeit mit dem Bundesland Baden-Württemberg ebenfalls ihren Vorsprung gegenüber ärmeren Gebieten Spaniens und Italiens ausbauen können. Dies hat das Streben der jeweiligen Regionaleliten befeuert, den Mittelabfluss per staatlicher Umverteilung durch größere Autonomie oder gar Sezession zu stoppen. Die Folgen einer gezielten Kooperation nicht mit fremden Staaten, sondern lediglich mit wohlhabenden Regionen sind aus dem ehemaligen Jugoslawien bekannt.

"Starkes Deutschland, starkes Antwerpen"

Flandern, der niederländischsprachige Teil Belgiens, dessen Separatismus schon lange zu den stärksten Sezessionsbewegungen in der EU gehört, profitiert in besonderem Maß von seiner engen Kooperation mit Deutschland. Die Bundesrepublik ist der bedeutendste Abnehmer flämischer Exporte; im vergangenen Jahr gingen von Flanderns Gesamtausfuhr im Wert von 302,4 Milliarden Euro Lieferungen im Wert von mehr als 50 Milliarden Euro an Kunden in Deutschland.[1] Zudem zählen deutsche Unternehmen zu den größten Investoren im Land. Kern der deutsch-flämischen Wirtschaftsbeziehungen ist der Hafen von Antwerpen, der zweitgrößte Europas nach dem Hafen in Rotterdam; seine Bedeutung für die deutsche Exportwirtschaft zeigt sich darin, dass von den dort im Jahr 2015 umgeschlagenen 214 Millionen Tonnen beinahe ein Drittel - 68 Millionen Tonnen - aus Deutschland angeliefert oder nach Deutschland weitertransportiert wurden. Darüber hinaus haben zahlreiche deutsche Unternehmen, beispielsweise BASF und Bayer, Milliardensummen in Standorte am Antwerpener Hafen investiert. "Ohne ein starkes Deutschland gibt es kein starkes Antwerpen", urteilte schon vor Jahren der Repräsentant des Hafens in der Bundesrepublik.[2] Weil die deutsche Wirtschaft von der EU und der Eurozone profitiert und ungebrochen gedeiht, wächst auch Flanderns Wirtschaft stärker als diejenige der südbelgischen Region Wallonie, die mehr auf Frankreich ausgerichtet ist. Damit nimmt das sezessionsfördernde Wohlstandsgefälle in Belgien zu.

"Auf Deutschland ausgerichtet"

Auch die Lombardei, die wirtschaftsstärkste Region Italiens, zieht besonderen Nutzen aus ihren Beziehungen in die Bundesrepublik. Deutschland ist mit einem Handelsvolumen von beinahe 40 Milliarden Euro ihr bedeutendster Handelspartner; lombardische Firmen sind Experten zufolge "traditionell auf eine Kooperation mit dem südlichen Deutschland ausgerichtet", das ihnen "als Tor zu Nord- und Osteuropa" gilt.[3] Umgekehrt ist die Region der zentrale Anlaufpunkt für deutsche Unternehmen in Italien. Sie nimmt rund ein Drittel der deutschen Ausfuhren in das Land auf; von den insgesamt etwa 3.000 deutschen Firmen, die eine Niederlassung in Italien unterhalten, hat sich rund die Hälfte in der Lombardei angesiedelt. Unter anderem haben Spitzenkonzerne wie BASF, Bayer, Bosch, BMW, die Deutsche Bank, SAP und Siemens ihre italienische Zentrale in oder bei Milano etabliert.[4] Dort hat nicht zuletzt die größte Bank des Landes ihren Sitz, die Unicredit, die 2005 die Münchner Hypovereinsbank übernommen hat. Die Stärke der deutschen Wirtschaft trägt spürbar zum Wachstum der Lombardei insbesondere gegenüber dem ärmeren Süden Italiens bei.

Hauptanlaufstelle

Auch für Katalonien ist das Geschäft mit Deutschland bislang von hoher Bedeutung. Aus der Bundesrepublik kamen im Jahr 2015 18,3 Prozent der katalanischen Importe, mehr als aus jedem anderen Land. Umgekehrt ist Deutschland der zweitgrößte Abnehmer katalanischer Exporte. Mehr als zehn Prozent der Investitionen in Katalonien stammen aus der Bundesrepublik. Umgekehrt ist die Region für deutsche Unternehmen die Hauptanlaufstelle in Spanien. Die Hälfte der rund 1.600 in Spanien tätigen Firmen mit deutscher Beteiligung haben dort ihren Sitz; in Katalonien sind zum Beispiel BASF, Bayer, Boehringer, Henkel, Merck und Siemens präsent.[5] Die Volkswagen-Tochter SEAT hat ihren Hauptsitz in Martorell nahe Barcelona. Wie Flandern und die Lombardei profitiert auch Katalonien, wenn sein bedeutendster Geschäftspartner - die deutsche Wirtschaft - prosperiert; dies war in den vergangenen Jahren trotz der Krise aufgrund der dominierenden Stellung der Bundesrepublik in der EU der Fall.

Wer hat, dem wird gegeben

Dass deutsche Unternehmen vor allem mit wirtschaftsstarken Regionen kooperieren und damit das Wohlstandsgefälle in ihren Zielländern weiter vergrößern, ist dabei nicht nur ein selbstläufiger Prozess, sondern wird politisch gezielt gefördert. Ein Beispiel bietet die Arbeitsgemeinschaft "Vier Motoren für Europa", die 1988 gegründet wurde und neben dem deutschen Bundesland Baden-Württemberg die Regionen Katalonien, Lombardei sowie Auvergne-Rhône-Alpes (Frankreich) umfasst. Sie zielt allgemein auf die Ausweitung der ökonomischen Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Gebieten und legt Schwerpunkte zum Beispiel auf die Verbesserung der Verkehrs- und der Telekommunikationsinfrastruktur sowie auf enge Forschungs- und Technologiekooperation. Damit soll sie explizit die "Wettbewerbsfähigkeit" der "Vier Motoren" erhöhen.[6] Dabei nehmen die Organisatoren zumindest implizit in Kauf, dass in Ländern mit starken regionalen Unterschieden wie Spanien und Italien auch die inneren Differenzen zwischen den ohnehin relativ wohlhabenden Mitgliedsregionen der "Vier Motoren" und den jeweils ärmeren Landesteilen deutlich wachsen. Ebendiese Differenzen bilden den Nährboden, der auf lange Sicht die regionalen Eliten zwecks Vermeidung von Mittelabflüssen durch staatliche Umverteilung zu Autonomie- und Sezessionsbestrebungen treibt.

Wie in Jugoslawien

Das Phänomen, dass eine wirtschaftsförderliche Kooperation mit ausgewählten, vergleichsweise wohlhabenden Regionen die bereits bestehenden inneren Differenzen in deren Staaten noch weiter vergrößert, ist alles andere als unbekannt. Ein Beispiel bietet die Zusammenarbeit bundesdeutscher, italienischer, österreichischer und jugoslawischer Regionen in der "Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria", die 1978 unter Mitwirkung der bayerischen CSU-Landesregierung gegründet wurde. Sie versammelte neben Bayern mehrere österreichische Bundesländer und norditalienische Regionen - und band sie mit den jugoslawischen Teilrepubliken Slowenien und Kroatien zusammen. Erklärtes Ziel war es, die interregionale Kooperation zu intensivieren und unter anderem eine Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur und der Forschungszusammenarbeit zu erreichen. In Belgrad sei wegen der exklusiven Einbindung der zwei wohlhabenderen nördlichen Teilrepubliken Kritik an einem "neuen Separatismus unter europäischem Deckmantel" geübt worden, berichtet ein Beobachter.[7] Tatsächlich schrieb der ehemalige bayerische Ministerpräsident Max Streibl im Rückblick, "über die Arbeitsgemeinschaft" habe man Slowenien und Kroatien sehr erfolgreich "an Mittel- und Westeuropa angebunden": "Ihr Weg in die Unabhängigkeit 1990/91" sei anschließend "nachhaltig von der Solidarität der Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft begleitet" worden.[8] Fern davon, der zentrale Auslöser der slowenischen und der kroatischen Sezession gewesen zu sein, hat die "ArGe Alpen-Adria" doch bestehende Differenzen in Jugoslawien verstärkt und damit letzten Endes einen bedeutenden Beitrag zu dessen Aufspaltung geleistet.


Mehr zum Thema:
Die Ökonomie der Sezession (I).
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59688


Anmerkungen:

[1] Trotz Brexit: Flanderns Export boomt weiter.
deredactie.be 03.04.2017.
Abweichungen von der deutschen Außenhandelsstatistik sind durch Unterschiede in der Nennung von Ursprungsländern bedingt.

[2] Thorsten Karbach: Antwerpens Hafen ist auf Erfolg angelegt.
www.aachener-zeitung.de 29.03.2014.

[3] Ausländische Direktinvestitionen in Italien brechen ein.
www.gtai.de 12.02.2010.

[4] Lombardei - Wirtschaftsmotor Italiens.
www.gtai.de 24.04.2015.

[5] Catalonia Connects Deutschland. Generalitat de Catalunya.
catalonia.com.

[6] Présentation.
www.4motors.eu

[7] Bernd Posselt: Europa der Regionen.
www.bernd-posselt.de 26.06.2012.

[8] Hans Peter LInss, Roland Schönfeld (Hg.): Deutschland und die Völker Südosteuropas. Festschrift für Walter Althammer zum 65. Geburtstag. München 1993.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Oktober 2017

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