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BEITRITT/100: Kroatien - Mit Zuckerbrot und Peitsche in die EU (guernica)


guernica Nr. 5/2007, November/Dezember 2007
Zeitung für Frieden & Solidarität, Neutralität und EU-Opposition

EU-Kandidat Kroatien
Mit Zuckerbrot und Peitsche in die EU

Von Hannes Hofbauer


Kroatien wird auf die Aufnahme in die EU zurecht getrimmt. Viel Wert wird auf die Herausbildung einer neuen politischen Klasse gelegt, die die Unterwerfung gegenüber Brüssel verinnerlicht hat. Große Teile der Bevölkerung bleiben ausgesprochen EU-skeptisch - ohne dass sie sich politisch artikulieren könnten.


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Am 25. November 2007 hat Kroatien einen neuen Sabor, ein neues Parlament, gewählt. Auf die Entwicklung des Landes hat das Resultat der Parlamentswahlen keinen Einfluss. Die neue Legislaturperiode steht, wie die vergangene, unter dem Brüsseler Bann der Erweiterung. Deutlich wurde dies durch das schlichte Fehlen des EU-Themas im Wahlkampf. Obwohl die Hälfte der KroatInnen dem Beitritt zur EU skeptisch bis ablehnend gegenüber steht, blieben kritische Worte zur Brüsseler Union ungesagt. Knapp vor Weihnachten ist Ministerpräsident Ivo Sanader erneut mit der Regierungsbildung beauftragt worden.

Erweiterung als Zustand. So könnte man das Brüsseler Unionsprojekt nach zwei Wellen der EU-Vergrößerung in Richtung Osten beschreiben. Erweiterung reflektiert in erster Linie eine scheinbare wirtschaftliche Notwendigkeit. Permanente Erweiterung garantiert - bis auf weiteres - Absatzmöglichkeiten überproduzierter Waren und Kostensenkung bei der Erzeugung mittels ständiger Zufuhr billiger Arbeitskraft, mit einem Begriff: rentables Investment. Folgerichtig hält die Europäische Union, getrieben von den Kosten reduzierenden und Märkte erweiternden Konkurrenzprojekten in Nordamerika und Ostasien, ihr Hinterland im Expansionsfieber.


Dem wilden Konkurrenzprinzip libidinös ergeben

Über Erweiterungsversprechen an Eliten und Länder jenseits der EU-Außengrenze wird aber auch politisch und kulturell ein Anpassungsdruck erzeugt, der über das Ökonomische hinausgeht. Ein scheinbar naturgesetzlich gegebener Wachstumszwang hat neben Rumänien und Bulgarien, die zum 1. Jänner 2007 beigetreten sind, sämtliche Länder der Balkanhalbinsel - also Kroatien, Makedonien, Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina und Albanien - sowie Moldawien im Visier.

Zuckerbrot und Peitsche sind die am Rande EU-Europas zur Anwendung gelangenden Politikinstrumente. Ersteres rinnt in Form schmal dotierter Brüsseler Fonds in die Staatskassen balkanischer Länder, während als Peitschen vom einfachen Monitoring bis zum Gesprächsabbruch alle politischen Facetten von Gespräch über Druck bis Erpressung in Verwendung stehen. Die vier kapitalistischen Freiheiten (Kapital, Waren, Dienstleistungen und Arbeitskraft) brauchen für ihre Durchsetzung eine neue politische Klasse in sämtlichen Parteien, die entsprechend passende Beamten- und Richterschaft sowie eine dem Gramscischen Begriff der Zivilgesellschaft Hohn sprechende Schicht von Menschen, die dem wilden Konkurrenzprinzip libidinös ergeben sind. Das alles kostet Geld, Brüssel verausgabt es in Form von Kursen und Seminaren, die unter Stichworten wie "Institution building" oder "Demokratie stärken" abgehalten werden.

Kroatien steckt Ende 2007 mitten in diesem Prozess. Das Aufnahmeverfahren in die Europäische Union dient, wie schon bei den zwölf seit 2004 aufgenommenen Staaten, der Anpassung. Dieses für das Adrialand einmalige Procedere wirkt durch seinen permanenten Charakter auch auf die bereits seit längerem der Brüsseler Union ergebenen EU-15 zurück.


Schamlose Unterwerfung

"Kroatien hat sich bereits 17 Kapiteln des Acquis communautaire unterworfen (von 31, d.A.), und heute wird das 18. fertig", meint stolz die Staatssekretärin im Amt des Ministerpräsidenten, Martina Dalic, gegenüber dem Autor. Das "Unterwerfen" kommt ihr ganz schamlos über die Lippen, die neue politische Klasse kann an dem Begriff keinen schalen oder gar negativen Beigeschmack finden. Man ist angetreten, um "Europäer" zu werden. Die Spielregeln dazu werden in Brüssel aufgestellt. Also unterwirft man sich diesen. Punktum.


Zurichtung via Screening-Verfahren

Am 10. Juli 2003 erhielt die kroatische Regierung von EU-Kommissionspräsident Romano Prodi als Antwort auf den am 21. Februar gestellten Mitgliedsantrag einen Katalog von 4.560 Fragen, der die Zagreber Führung auf die späteren Aufnahmegespräche vorbereiten sollte. Den Kern bildeten die Kopenhagener Kriterien, also: Demokratie und Marktwirtschaft. Unter ersterem wird - im Falle Kroatiens - vor allem die bedingungslose Zusammenarbeit mit dem ICTY ("Internationales Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien") in Den Haag verstanden sowie - ganz allgemein - die Unterordnung unter den sozialdemokratisch-christkonservativen Kanon EU-europäischer Politik. Marktwirtschaft wiederum versteht sich als "freies Spiel der Kräfte", schreib: bedingungsloses Investieren und ungehinderte Rückführung von Kapital.


Zuckerl...

Durch die Vergabe des "Kandidatenstatus" im Juni 2004 erhielt die Führung in Zagreb - bei Wohlverhalten - Zugriff auf diverse EU-Fonds. Die in aller Munde und sehr wenigen Händen befindlichen Hilfsgelder betrugen im ersten Jahr der Vergabe, 2005, 105 Mio. Euro, die dem Land von Brüssel als "Gemeinschaftshilfe" zur Verfügung gestellt wurden. Erinnern wir uns: Allein der Schuldenstand Kroatiens lag im selben Jahr bei 25,5 Mrd. Euro. Nimmt man nur einen Zinssatz von 7% für die Begleichung des Schuldendienstes, sind es 1,78 Mrd., die Kroatien dafür aufbringen musste, um die internationalen Gläubiger zu befriedigen. Die ganze unter Kürzeln wie ISPA, PHARE, SAPARD etc. ausgeschüttete Hilfe machte gerade mal ein Zwölftel der jährlich fälligen Zinsenrückzahlungen aus. Im Jahr 2006 wiederholte sich das "Hilfsritual" bei leicht gestiegenem Budget und stark gestiegenen Auslandsschulden.


... und Drohungen

Den viel zu kleinen finanziellen Zuckerln hatte die Brüsseler Union dann noch eine politische Drohung beigegeben, die sich in wenigen Monaten zur handfesten Erpressung mauserte. Es ging um die "Zusammenarbeit" mit dem Haager Tribunal. Dieses auf Druck der USA von UN-Seite eingerichtete, aber von US-Quellen und privaten Stiftungen wie der Soros-Foundation bezahlte Instrument zur Aufarbeitung von Kriegsverbrechen spielt im Südosten Europas jene Peitsche, die wahlweise EU, IWF, USA oder NATO aus dem Köcher ziehen, wenn sie ihre Auffassung von Politik und die Interessen ihrer großen Wirtschaftskonzerne nicht adäquat durchsetzen können. Mit dem Hinweis auf mangelnde Kooperation mit dem ICTY werden unwillige Minister ausgetauscht, bilaterale Wirtschaftsprogramme eingefroren und eben auch, wie im Fall Kroatiens, der EU-Aufnahmeprozess gestoppt. Geschehen ist dies am 16. März 2005. An diesem Tag beschloss der EU-Rat das Aussetzen der Vorbereitungsgespräche mit Kroatien. Als Grund wurde mangelnde Kooperationsbereitschaft mit dem Haager Tribunal im Fall des Generals Ante Gotovina angeführt. Ihm warf die Schweizer Chefanklägerin Carla del Ponte Kriegsverbrechen und die Beteiligung an einem "gemeinschaftlichen kriminellen Unternehmen" vor. Der Heldenstatus, den Gotovina gerade wegen seiner Taten im "Heimatkrieg" genießt, machte es für die HDZ-Regierung von Ivo Sanader schwer, das Idol des Unabhängigkeitskampfes mit voller Kraft zu verfolgen. Die EU blieb hart, Gotovina wurde am 8. Dezember 2005 auf der spanischen Kanareninsel Teneriffa verhaftet und nach Den Haag überstellt. Drei Wochen später, am 1. Jänner 2006, wurden die Übernahmegespräche mit Kroatien fortgesetzt.

Parallel dazu laufen seit Anfang 2004 so genannte Community Programmes und "Taiex"-Assistances zur Heranbildung einer neuen EU-kompatiblen Elite und zur Umschulung alter ex-jugoslawischer Kräfte. In Hunderten von Seminaren belehrt eine in Westeuropa überschüssig produzierte, soziale Intelligenz zukünftige Administratoren in den Bereichen Jugend, Bildung, Frauen etc. Damit schlägt Brüssel zwei Fliegen auf einen Schlag: erstens braucht die Union in allen ihren Mitgliedsländern harmonisierte und standardisierte Eliten auf Beamtenebene und zweitens hält sie damit von Akademikerarbeitslosigkeit bedrohte SozialwissenschaftlerInnen aus Westeuropa materiell bei Kost und inhaltlich bei der Stange.

Trotz aller Brüsseler Bemühungen ist der Sympathiewert der Europäischen Union unter den KroatInnen nicht gerade hoch. Umfragen im Jahr 2007 stellen ein Patt zwischen 50% BefürworterInnen des Beitritts und 50% GegnerInnen fest. Die von Washington und Zagreb betriebene NATO-Mitgliedschaft wird gar von 65% abgelehnt.


Dieser Beitrag ist - leicht aktualisiert - dem eben erschienenen Buch von Hannes Hofbauer, "EU-Osterweiterung. Historische Basis - ökonomische Triebkräfte - soziale Folgen", entnommen (Promedia-Verlag).


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Quelle:
guernica Nr. 5/2007, November/Dezember 2007, Seite 13
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2008