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AUSSEN/108: Gaza - Parlament fordert sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand (EP)


Europäisches Parlament - Pressemitteilung vom 15.01.2009

Gaza: Parlament fordert sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand

Europaabgeordnete debattieren Situation in Gaza


Das Europäische Parlament fordert einen sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand im Gaza-Streifen. Die Raketenangriffe der Hamas auf Israel müssten ebenso eingestellt werden wie die Militäraktion Israels. Ein im Verhandlungswege vereinbarter Waffenstillstand solle durch einen "Mechanismus" garantiert werden, der die "Entsendung einer multinationalen Präsenz mit einem eindeutigen Mandat einschließen könnte".

Dieser Mechanismus zur Garantie des Waffenstillstandes solle von der internationalen Gemeinschaft unter Koordinierung des Nahost-Quartetts und der Arabischen Liga errichtet werden. Eine "multinationale Präsenz mit eindeutigem Mandat" könne dafür sorgen, die Sicherheit wiederherzustellen und die Achtung des Waffenstillstands im Interesse der Menschen sowohl in Israel wie auch im Gaza-Streifen zu gewährleisten. Von besonderer Bedeutung sei hier die Überwachung der Grenze zwischen Ägypten und dem Gaza-Streifen; dies bringe eine "wichtige Rolle für Ägypten" mit sich.

Humanitäre Hilfe - Freier Zugang der Presse

In einer heute ohne Gegenstimmen angenommenen Entschließung zeigen sich die Abgeordneten "entsetzt" über das Leiden der Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen. Israel wird mit Nachdruck aufgefordert, ungehinderten Zugang für humanitäre Unterstützung und Hilfslieferungen in den Gaza-Streifen zu gewähren und einen kontinuierlichen und angemessenen Fluss der Hilfe durch die humanitären Korridore zu gewährleisten. Zudem müsse es der internationalen Presse gestattet werden, "die Ereignisse vor Ort zu verfolgen."

Grenzübergänge öffnen, Waffenschmuggel unterbinden

Die Abgeordneten verlangen von Israel, seine Militäraktion zu beenden und seinen "Verpflichtungen nach dem Völkerrecht und dem humanitären Völkerrecht" nachzukommen. Die Hamas müsse die Raketenangriffe einstellen und sich für einen politischen Prozess engagieren, der auf die "Wiederherstellung des innerpalästinensischen Dialogs und auf einen Beitrag zum laufenden Verhandlungsprozess gerichtet ist".

Zudem müssten die Grenzübergangsstellen auf Dauer wieder geöffnet und dem Schmuggel bzw. dem illegalen Handel mit Waffen und Munition vorgebeugt werden.

EU muss entschiedene und einheitliche Haltung einnehmen

Die EU selbst, mahnt das Parlament, müsse eine "entschiedenere und einheitlichere politische Haltung" einnehmen. Der Ministerrat müsse auch die Gelegenheit zur Zusammenarbeit mit der neuen amerikanischen Regierung mit dem Ziel ergreifen, den Konflikt durch ein Abkommen auf der Grundlage der "Zwei-Staaten"-Lösung zu beenden, um eine friedliche neue regionale Sicherheitsstruktur im Nahen Osten aufzubauen.

Innerpalästinensische Wiederaussöhnung

Schließlich unterstreichen die Abgeordneten die große Bedeutung einer Erneuerung der Bemühungen um die innerpalästinensische Wiederaussöhnung aller Teile der palästinensischen Gesellschaft untereinander auf der Grundlage der Vereinbarung von Mekka vom Februar 2007, mit der die früheren Vereinbarungen - einschließlich des Existenzrechts Israels - akzeptiert wurden. Von großer Bedeutung seien in diesem Zusammenhang eine ständige geografische Verbindung zwischen dem Gaza-Streifen und dem Westjordanland sowie die friedliche und dauerhafte politische Wiedervereinigung beider Teile.


Nachfolgend finden Sie eine Zusammenfassung der gestrigen Debatte zur Lage im Nahen Osten:

Morgen wird das Parlament über eine Resolution abstimmen. Diese liegt bereits im Entwurf vor. Die Abgeordneten fordern darin einen sofortigen Waffenstillstand, dessen Einhaltung von internationalen Sicherheitskräften garantiert werden könnte. Israel müsse zudem den Zugang internationaler Medienvertreter in den Gaza-Streifen gewährleisten und sicherstellen, dass humanitäre Hilfe geleistet werden könne.

Der tschechische Außenminister Karl SCHWARZENBERG unterstrich, seit Beginn der israelischen Militäraktion habe es eine "dramatische Verschlechterung der Lage auf allen Ebenen" gegeben, die humanitären Folgen seien äußerst dramatisch. Die EU bedaure ausdrücklich die menschlichen Verluste und wolle den betroffenen Familien von ganzem Herzen ihr Beileid aussprechen. "Insbesondere Angriffe wie der auf die UNO-Schule in Dschabalija und auf humanitäre Konvois verurteilen wir zutiefst", sagte Schwarzenberg.

Gewalt beenden und humanitäre Katastrophe mildern

Es gebe kaum Zugang zu sauberem Wasser, zudem fehle es überall an Lebensmitteln. Auch habe das Personal von Nichtregierungsorganisationen keinen Zugang zum Gebiet mehr, man könne keine Hilfe zur Verfügung stellen. "Wir möchten der Gewalt unbedingt ein Ende setzen und die humanitäre Katastrophe mildern", so Schwarzenberg.

Die Raketenangriffe müssten zu einem Ende kommen und Israel müsse seine Aktionen sofort abbrechen, damit die öffentlichen Dienste und die Gesundheitsversorgung wieder aufgenommen werden könnten. Israel leide unter den Raketenangriffen, Gaza werde mit einer Wirtschaftsblockade bestraft. "Dem Waffenhandel muss ein Ende gesetzt werden", so Schwarzenberg.

Feuerpause muss wieder aufgenommen werden

"Die dreistündige Feuerpause muss wieder aufgenommen werden", sagte Schwarzenberg, Israel müsse zudem sicherstellen, dass Hilfsorganisationen ungehinderten Zugang bekommen. Die EU sei bereit, ihre Beobachter zurück in die Region zu senden.

"Doch dies wird nicht reichen, um Frieden in der Region herzustellen", stellte der tschechische Außenminister fest; es sei wichtig, dass sich die Palästinenser versöhnten und dass man mit den Regierungsvertretern spreche. Der Konflikt habe zu Radikalisierung und Polarisierung in der Region geführt und nur ein nachhaltiger palästinensischer Staat könne Stabilität bringen. Die EU sei bereit, eine palästinensische Regierung zu unterstützen. Beide Seiten werden aufgefordert, die Verhandlungen wieder aufzunehmen. Alle Parteien müssen sich bemühen. Ziel sei, dass "zwei demokratische Staaten, Israel und Palästina, eines Tages friedlich Seite an Seite leben können".

EU-Außenkommissarin Benita FERRERO-WALDNER unterstrich, dass der Konflikt im Gaza-Streifen "unermessliches menschliches Leiden" verursache. Die Europäische Union sei sich bewusst, dass sie nicht der Hauptakteur in der Krise sei. Die EU sei jedoch vom ersten Tag an aktiv an einer Friedenslösung beteiligt gewesen.

Die EU engagiere sich vorrangig für eine Lösung der humanitären Situation im Gazastreifen. Hauptpunkte bei den Verhandlungen seien eine zumindest kurzfristige Waffenruhe, die Verhinderung des Waffenschmuggels, die Schaffung eines Korridors für Hilfsgüter sowie die Stationierung von internationalen Streitkräften.

Während die Palästinensische Autonomiebehörde der UN-Resolution 1860 zustimmte, lehnen die Hamas und Israel diese bisher ab. In Zukunft solle lediglich eine Palästinenserbehörde für alle Palästinenser sprechen. Der Konflikt habe zu einer Vertrauensschwächung unter den Beteiligten geführt. Die Fortführung der Kampfhandlungen führe zu einer Zerstörung des israelischen Ansehens in der Öffentlichkeit. Ein rascher Waffenstillstand und eine Wiederaufnahme des Dialogs seien unbedingt vonnöten.


Sprecherinnen und Sprecher der Fraktionen:

Nach siebzehn Tagen Kämpfe müsse eine verheerende Bilanz gezogen werden; es herrschten Chaos, Zerstörung, Hass und Rachegefühle, so José Ignacio SALAFRANCA SÁNCHEZ-NEYRA (EVP-ED, Spanien). Man könne alle Schlachten gewinnen, "aber nicht die wichtigste, nämlich die für den Frieden".

Salafranca Sánchez-Neyra forderte einen sofortigen Waffenstillstand auf Grundlage der Resolution 1860 des UN-Sicherheitsrates. Zudem sei humanitäre Hilfe nötig, um die Not in Gaza zu lindern. "Hamas ist sowohl ein Grund für als auch eine Konsequenz aus der schrecklichen Situation".


Martin SCHULZ (SPD) sprach von einer "schwierigen Debatte". Israel sei ein befreundetes Land, mit dem man offen reden könne. Der Konflikt könne nur auf der Grundlage des internationalen Rechts gelöst werden. "Die Waffen müssen jetzt schweigen, damit wir die humanitäre Krise bewältigen können". Es gebe selbstverständlich das Selbstverteidigungsrecht des Staates Israels. Aber ein demokratischer Rechtsstaat müsse immer prüfen, ob die Mittel, die er zu seiner Verteidigung einsetze, verhältnismäßig seien. Er glaube, das seien sie im vorliegenden Fall nicht.

Jede Rakete auf Israel sei ein Angriff, gegen den sich Israel wehren dürfe. Es sei aber ein Irrturm, den Dialog zu verweigern, denn dies führe zur "Perpetuierung der bewaffneten Auseinandersetzung." "Man wird mit Hamas reden müssen", so Schulz weiter. Die EU könne vermitteln. "Es gibt in diesem Konflikt keine militärische Lösung, weder über terroristische Angriffe noch über konventionelle Streitkräfte. Das Sterben ist für alle unerträglich".


Annemie NEYTS-UYTTEBROECK (ALDE, Belgien) forderte nicht nur einen sofortigen Waffenstillstand und die Zulassung humanitärer Hilfe, sondern gleichzeitig auch die Überwachung der Grenzen zu Ägypten und die Aufhebung des Embargos. Die EU müsse gemeinsam mit den USA und der arabischen Liga agieren. "Internationale Truppen vor Ort und auch die EU müssen sich darauf vorbereiten, an einer Lösung teilzunehmen". Des Weiteren müsse Israel die Situation im Westjordanland verbessern: "Mauern, Checkpoints, Kontrollen", sagte Neyts-Uyttebroeck: "Das ist für die Bewohner von Gaza keine Alternative zur Hamas."


Cristiana MUSCARDINI (UEN, Italien) sagte, es herrsche eine gewisse Scheinheiligkeit der Problematik gegenüber. Das heilige Recht der Palästinenser kollidiere mit dem Recht Israels, von den arabischen Staaten anerkannt zu werden. Israel sei in den Krieg hineingezogen worden. Der Krieg rechtfertige jedoch nicht die unnötige Tötung von Zivilisten. Von den Streitparteien forderte sie daher eine bessere Kohäsion, so dass so dass Israelis wie auch Palästinenser in Frieden leben könnten.


Daniel COHN-BENDIT (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, man sei weiter von Frieden entfernt als je zuvor. All diejenigen, die dächten, dass dieser Krieg zu rechtfertigen sei, dass Israel auf die Angriffe der Hamas reagiere, hätten nichts verstanden. "Es geht nicht darum, eine Lektion zu erteilen", sagte Cohn-Bendit. Schon Clausewitz habe gewusst, dass, wer einen Krieg beginne, auch wissen müsse, wie dieser zu beenden sei. Doch dies werde Israel nie erreichen, so Cohn-Bendit weiter. "Je mehr Palästinenser sterben, desto weniger wird es Frieden geben". Man müsse Israel vor sich selbst und die Palästinenser vor der Hamas schützen.


Luisa MORGANTINI (Vereinigte Europäische Linke, Italien) sagte, beide Seiten würden sich am Ende des Krieges zu Siegern erklären. "Verlierer sind wir Zivilisten. Was stirbt ist das Recht." Menschenrechte seien universell. Der militärische Einsatz schaffe keinen Vorteil für Israel, sondern schade Israel vielmehr moralisch. Jetzt müsse "das Feuer gelöscht" werden. Alle Grenzübergänge müssten geöffnet werden.


Für Bastiaan BELDER (IND/DEM, Niederlande) ist Palästina "unveräußerliches islamistisches Grundgebiet". Unter dem ideologischen Blickwinkel der Hamas sei kein Platz für den Staat Israel. "Wenn der EU wirklich daran liegt", so Belder, "dann ist die Konfrontation mit der Hamas und dem Iran unvermeidlich." Eine Feuerpause allein sei hingegen nur eine weitere Pause bis zum nächsten Angriff auf Israel.


Dem Aufruf zum Dialog könne man sich nur anschließen, so Luca ROMAGNOLI (Fraktionslose, Italien). Eine Feuerpause könne den Anstoß zu Friedensverhandlungen geben. Es sei zu beachten, dass eine Lösung für zwei Völker und für zwei Staaten angestrebt werde. Es gehe darum, das Völkerrecht zu wahren. Die Union habe Instrumente, um den diplomatischen Bemühungen Nachdruck zu verleihen.


Weitere deutschsprachige Rednerinnen und Redner:

Elmar BROK (CDU) sagte, Ausgangspunkt sei "eine Hamas, die gegen die Zwei-Staaten-Lösung ist und Zivilisten als Schutzschilder missbraucht". Der Begriff des Zahlenvergleichs und der Verhältnismäßigkeit sei in diesem Fall nicht angebracht, genauso wenig wie einseitige Schuldzuweisungen. "Israel muss seine Angriffe stoppen, genau so müssen aber auch die Waffenlieferungen zur Hamas beendet werden", so Brok. Wenn Israel es mit einem gemäßigten Palästina zu tun haben wolle, dann müssten die moderaten Palästinenser im eigenen Lager Erfolge, etwa ein Ende der Siedlungspolitik, vorweisen können. "Denn wenn die Moderaten keine Erfolge haben, werden die Radikalen gewinnen."

Hannes SWOBODA (SPÖ) erklärte, es gehe nicht um Sympathie, sondern um Lösungen. Man müsse wieder zu Gesprächen finden. Ebenso müsse verstanden werden, dass die palästinensische Bevölkerung in der Hamas die einzige Chance zum Überleben sehe. Eine Auflösung des Boykotts solle wirtschaftliche Aktivität ermöglichen. Verletzungen des Völkerrechts, ebenso wie das nicht-verhältnismäßige Vorgehen Israels, seien inakzeptabel.

Feleknas UCA (Linke) sagte, die Zivilbevölkerung habe keine Chance, den täglichen Bomben Israels zu entkommen. Sie forderte erneut und mit Nachdruck ein Ende der israelischen Militäraktion. Ebenso müsse Hamas ihrerseits mit den Angriffen auf Israel aufhören. Der Waffenschmuggel müsse beendet und humanitäre Hilfe zugelassen werden.

"Wir brauchen einen sofortigen dauerhaften Waffenstillstand", so Michael GAHLER (CDU). Das Schicksal der Menschen in Gaza dürfe aber nicht Hamas oder Israel überlassen werden. Es sei politisches Kalkül der Hamas, dass Opfer unter Palästinensern die Unterstützung für Hamas wieder vergrößerten. Gahler forderte, ein Engagement des gesamten Nahost-Quartetts, inklusive arabischer Staaten, mit robusten Truppen in und um Gaza.


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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2009