Schattenblick → INFOPOOL → EUROPOOL → POLITIK


ITALIEN/364: Weiterhin landesweite Streiks und Proteste gegen Massenentlassungen und Unternehmerwillkür (Gerhard Feldbauer)


Landesweite Streiks und Proteste gegen Massenentlassungen und Unternehmerwillkür halten an

Fridays for Future fordert, nicht nur das Klima, sondern "das System zu ändern"

von Gerhard Feldbauer, 26. September 2021


Mit landesweiten Streiks und Demonstrationen gegen Massenentlassungen und Arbeiterwillkür und für soziale Rechte der Arbeiter haben die seit Wochen anhaltenden Arbeiterkämpfe am Wochenende einen neuen Höhepunkt erreicht. Zu den Protesten hatten die Gewerkschaften mit der USB an der Spitze aus Solidarität mit den bei der Fluggesellschaft Alitalia auf die Straße gesetzten über 8.000 Beschäftigten und den 422 in Florenz nach einer Schließung des Autozulieferers GNK gekündigten Arbeitern aufgerufen. Mit ihrer Teilnahme an den Protesten meldete sich die weltweit bekannte Bewegung Fridays for Future auch in Italien zu ihren durch die Corona-Pandemie unterbrochenen wöchentlichen Aktivitäten zurück. In über 70 Städten, von Mailand, Turin, Bologna über Rom bis Neapel und Bari, waren sie dabei und warnten, "der Planet liegt im Sterben", verlangten auf Transparenten und in Sprechchören, es gehe nicht nur darum, das Klima, sondern "das System zu ändern". In einer Erklärung betonte ihr "Verband junger Umweltschützer", "gesunde Luft, Nahrung und Wasser" sind Grundrechte und verlangte von der Regierung "Worte statt Reden", sowie die "Ungerechtigkeiten zwischen Ländern" zu beseitigen und "soziale Gerechtigkeit" für alle Menschen herzustellen. Diese Forderungen von Schülerinnen, Schülern und anderen jungen Menschen gaben dem Kampftag einen zusätzlichen kämpferischen und Massencharakter.

Nach Mailand, Turin und Bologna war Rom ein Epizentrum des Kampftages, der in über 100 Städten begangen wurde. In der Hauptstadt beteiligten sich an dem Streik bei der liquidierten Fluggesellschaft Alitalia laut der Nachrichtenagentur "ANSA" bis zu 100 Prozent der Mitarbeiter, wodurch über 170 Flüge auf Inlands- und internationalen Linien unterbrochen wurden. In Rom blockierten sie stundenlang eine Autobahn zum Flughafen Fiumicino, wobei es zu gewaltsamen Zusammenstößen mit Räumungskräften der Polizei kam, die mit Schlagstöcken und Schilden gegen die Streikenden vorging. Weitere Proteste fanden vor einem Terminal des Hauptstadtflughafens statt, wo die auf die Straße gesetzten Arbeiter auf Fahnen und Transparenten dagegen protestierten, die neue Airline Italia Trasporto Aero (ITA) in eine kleine Billigfluggesellschaft mit nur 50 Maschinen, der Hälfte der Alitalia, und weniger Strecken zu verwandeln. Sie forderten Jobs und sichere Arbeitsbedingungen in dem neuen Unternehmen.

In Florenz konnten die Arbeiter einen Teilerfolg verbuchen. Nachdem dort eine Woche zuvor 20.000 Menschen gegen die geplante Schließung des vom britischen Melrose-Finanzfonds kontrollierten Autozulieferers GKN protestiert hatten, erklärte das Verwaltungsgericht der Stadt nach einer Klage des Metallarbeiterverbandes FIOM in der CGIL die Entlassung der 422 Beschäftigten für rechtswidrig. Das dort gebildete "Collettivo Di Fabbrica - Workers GKN Firenze" wertete das als Erfolg, sich gegen "solche Modelle zu erheben und die Würde der männlichen und weiblichen Arbeiter zu verteidigen".

Das Fass zum Überlaufen der Arbeiterproteste brachte der am Vortage von Premier Mario Draghi verkündete Abschluss eines als "Pakt für Italien" getarnten Paktes der Regierung mit dem Verband der Großindustriellen Confindustria. Nachdem Draghi den versammelten Unternehmern versichert hatte, ihren Forderungen nachzukommen und ihnen auch zusicherte, dass es keine Steuererhöhungen für sie geben wird, wurde der ehemaligen Präsident der Europäischen Zentralbank von den Unternehmern mit Standing Ovations gefeiert. Ihr Chef Carlo Bonomi verkündete, das ist "unsere Regierung", das sollte jetzt "allen klar sein". Das sei, kommentierte das kommunistische Online-Portal "Contropiano", "die totale Einheit der Ansichten und Absichten zwischen dem Boss der Bosse und dem Regierungschef".

Die Generalsekretäre der drei großen Gewerkschaften CGIL, CISL und UIL hielt das nicht davon ab, an diesem Treffen teilzunehmen. Proteste wurden nicht bekannt. Im Gegenteil erwägen die Gewerkschaftschefs, wie "ANSA" zu entnehmen war, sich dem neuen Sozialpakt der Unterordnung der Arbeiter unter die Fuchtel der Unternehmer zusammen mit dem sozialdemokratischen Partito Demoratico (PD), der Linkspartei Freie und Gleiche (LeU) und der Fünf-Sterne-Partei (M5S) anzuschließen. Während die Bosse die Arbeiter auf die Straße setzen, ihre Rechte abbauen und Lohnerhöhungen verweigern, wollen sie in dem Pakt vorgeblich einen Mindestlohn durchsetzen. Der Vertreter der für ihren antikapitalistischen Kurs bekannten Linkspartei Potere al Popolo (Die Macht dem Volke), der bei den Alitalia-Arbeitern auf dem Flughafen in Fiumicino weilte, distanzierte sich von dieser Sozialpaktstrategie, versicherte den Streikenden die uneingeschränkte Solidarität seiner Partei und sagte, "nicht alle von uns haben aufgehört zu kämpfen, wir alle sind heute Alitalia".

Die Basis-Gewerkschaft USB, die zunehmend zum kämpferischen Vortrupp der Arbeiter im Transportsektor wird, warnte vor den sozialen Folgen eines solchen Friedensschlusses, denn CGIl, CISL und UIL würden nur dann "zum Mahl eingeladen, wenn sie sich gut benehmen". Am Ende dieses Kampftages trat in Rom ihre Nationalversammlung zusammen und beschloss, für den 11. Oktober einen weiteren Generalstreik auszurufen.

*

Quelle:
© 2021 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 5. Oktober 2021

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang