Schattenblick → INFOPOOL → EUROPOOL → POLITIK


ITALIEN/360: Tödliche Arbeitsunfälle während der Corona-Pandemie 2020 um 29 Prozent gestiegen (Gerhard Feldbauer)


Bauarbeiter in Foggia von Betonplatte zerquetscht

Tödliche Arbeitsunfälle während Corona-Pandemie 2020 um 29 Prozent gestiegen

von Gerhard Feldbauer, 9. August 2021


Der 47jährige Arbeiter Alessandro Rosciano aus Foggia ist am Montag auf einer Baustelle in San Giovanni Rotondo, einem Vorort der Provinzhauptstadt Foggia in der südlichen Region Apulien, ums Leben gekommen. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur ANSA wurde er von einer herabfallenden Betonplatte zerquetscht. Die zum Unfallort gerufenen Notärzte konnten nur noch seinen Tod feststellen. Die Polizei untersuche die Unfall-Ursachen. Einen zweiten Todesfall gab es am Dienstag in Bergamasco in San Paolo d'Argon in der norditalienischen Lombardei. Ein 36jähriger aus Indien stammender Arbeiter der Firma "Tora Casting" stürzte aus acht Metern Höhe vom Dachgerüst in die Tiefe, weil das aufgespannte Sicherheitsnetz nicht hielt. Zu mehreren weiteren Todesopfern zählte am 3. August die 40jährige Arbeiterin Laila El Harim, eine Migrantin aus Marokko, die in der Süßwarenfabrik Bombonette in Camposanto bei Modena in Norditalien ums Leben kam. Sie war in eine Schneidemaschine zur Herstellung von Verpackungsbehältern geraten und tödlich verletzt worden.

Die jüngsten Todesfälle am Arbeitsplatz haben in der Öffentlichkeit scharfe Proteste hervorgerufen. Die Generalsekretäre der regionalen CGIL, Pino Gesmundo, und der Arbeiterkammer von Foggia, Maurizio Carmenus, verurteilen die Untätigkeit der zuständigen Institutionen als nicht länger hinnehmbar. Die Zeitung Fatto Quodidiane hielt fest, die sich häufenden Todesfälle am Arbeitsplatz seien "für ein zivilisiertes Land nicht tragbar". Solchen Massakern seien in den letzten zehn Jahren mehr als 17.000 Arbeiter zum Opfer gefallen, schrieb das Tageblatt Il Pane. Im Juni 2021 hatte die den Gewerkschaften nahe stehende Zeitung in einer Recherche eingeschätzt, dass die Arbeiter "der Profitgier der Confindustria (dem Verband der Großindustriellen) geopfert" werden, dass sie an den "Nebeneffekten der zunehmenden Ausbeutung sterben" und dass die Regierung und die verantwortlichen Institutionen tatenlos zusehen.

Wie das Institut für Versicherung gegen Arbeitsunfälle (INAIL) berichtete, sind die tödlichen Arbeitsunfälle seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie vor 18 Monaten drastisch gestiegen. Das Sinken des Bruttoinlandprodukts 2020 um 9 Prozent habe sich auf die Arbeitsbedingungen ausgewirkt. 2020 habe es nach offiziellen Angaben mit 1538 Todesfällen am Arbeitsplatz eine Zunahme von 29 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gegeben. Dieser Trend habe sich im ersten Quartal 2021 mit einer Zunahme von 9,3 Prozent Arbeitstoten gegenüber dem Vorjahr weiter gesteigert. Berechnet auf das erste Halbjahr 2021 registrierte INAIL insgesamt 444 tödliche Arbeitsunfälle. Das seien mehr als zwei tödliche Arbeitsunfälle täglich. Aber das, so wird eingeschränkt, seien nur die offiziellen Angaben, die Dunkelziffern werden höher geschätzt.

Besonders hoch sind laut dem Observatorium für Arbeitssicherheit Vega Engineering die Arbeitsunfälle im Transportsektor, wo es im ersten Halbjahr 2021 mindestens 40 tödliche Arbeitsunfälle gab. In der Industrie seien es 41 gewesen, im Bauwesen liege die Zahl mit 51 am höchsten. Doch auch hier würden die tatsächlichen Zahlen noch höher geschätzt.

Zu den Ursachen gibt INAIL aus Untersuchungsberichten mangelnde Durchsetzung von Sicherheitsvorschriften, hohes Arbeitstempo und Schwarzarbeit wieder. So wurden 2020 bei Kontrollen in 7.486 Unternehmen in 86 Prozent der untersuchten Fälle Verstöße gegen den Arbeitsschutz oder fehlende Arbeitsverträge ("Schwarzarbeit") aufgedeckt. Zur Kontrolle stünden nicht genügend Kräfte zur Verfügung. Das nationale Arbeitsinspektorat, dem diese Aufgaben obliegen, sei von 246 Inspektoren 2020 sogar um 21 Mitarbeiter reduziert worden.

*

Quelle:
© 2021 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 24. August 2021

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang