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ITALIEN/355: Beppe Grillo vor Scherbenhaufen seiner Politik - Conte erwägt Parteigründung (Gerhard Feldbauer)


Komiker Grillo vor Scherbenhaufen seiner Politik in den Sternen

Abservierter Conte überlegt eigene Parteigründung

von Gerhard Feldbauer, 1. Juli 2021


Der Gründer der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), Giuseppe (Beppe) Grillo, hat das seit vier Monaten andauernde Tauziehen um die Ernennung des Ex-Premiers Giuseppe Conte zum Chef der Bewegung beendet und "den Bruch" vollzogen, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur ANSA am Mittwoch. Zwar gäbe es in den M5S-Fraktionen von Senat und Abgeordnetenkammer Versuche zu "einer Synthese der Vermittlung", für deren Umsetzung scheinen aber kaum Chancen zu bestehen, auch lehne der amtierende Sterne-Chef Vito Crimi Grillos Vorgehen ab, so die Agentur am Donnerstag. Hinzu komme, dass Conte inzwischen mit der Ankündigung, "mein politisches Projekt wird nicht in der Schublade bleiben", laut dem linken Manifesto bereits erwägt, eine eigene Partei zu gründen.

In den vorangegangenen Monaten hatte der frühere Komiker Grillo Conte als fähigen Politiker umworben, der die M5S aus der schweren Krise führen sollte. Davon zeugte, dass die Bewegung von 32 Prozent Wählerstimmen im März 2018 im Ergebnis ihrer Regierung mit der faschistischen Lega bei Regionalwahlen bis auf sieben Prozent absackte. Den maßgeblichen Betreiber der Regierungszusammenarbeit mit der Lega, den Rechtsaußen der Sterne, Luigi di Maio, in dieser Regierung Außenminister und Vizepremier, zwang die M5S-Basis 2020 zum Rücktritt als Vorsitzender.

Conte sollte allerdings lediglich eine Galionsfigur darstellen. Grillo wollte weiter die Strippen ziehen, wofür seine Benennung zum "Bürgen" oder "Hüter der Werte" erfunden wurde. Er maßte sich an, Entscheidungen über die politische Linie, Außenpolitik, Kommunikation und Personalfragen zu fällen. Sogar die beiden vorgesehenen Vizepräsidenten und die Mitglieder des Sekretariats des formellen Parteichefs wollte er selbst ernennen.

Conte hatte die Bewegung aus einem Wahlverein, dessen etwa 50.000 Mitglieder über eine Online-Plattform geleitet wurden und so auch abstimmten, in eine organisierte Partei mit Statut, Partei-Kongressen und gewählter Führung umwandeln wollen. Am Montag hatte er auf einer Pressekonferenz klargestellt, dass er nie für "eine Fassadenoperation" zur Verfügung stand und dass es an der Spitze "einer politischen Kraft, die das Land führen will", "keinen Schattenführer geben kann, der von einer Galionsfigur flankiert wird". Er hatte ultimativ gefordert, über das von ihm ausgearbeitete Statut und über seine Person abzustimmen. Und wenn das Statut nicht angenommen werde, erklärte er, "überlege ich, was zu tun ist".

Obwohl Conte Grillo anbot, zu den kontroversen Fragen weiter einen Dialog zu führen, reagierte dieser mit dem Bruch und warf Conte nun vor, er werde die Probleme von M5S nicht lösen können, weil "er weder über politische Visionen noch über Führungsqualitäten verfügt, keine Erfahrung mit Organisationen, keine Innovationsfähigkeit hat". Er werde "nicht zulassen, dass eine Bewegung, die zur Verbreitung einer direkten und partizipativen Demokratie geschaffen wurde, sich in eine Ein-Personen-Partei verwandelt". Ein Lenkungsausschuss soll jetzt die "Ziele, Ressourcen, Zeiten und Wege einer echten Beteiligung der Basis anzugehen".

Nach vorherrschenden Pressestimmen versinkt M5S im Chaos, "zerstört Grillo die Partei" (La Repubblica), "steht vor der Spaltung" (Il Messaggero), beginnt "ein verheerendes internes Spiel", in dem "bisher marginalisierte Strömungen" Auftrieb erhalten könnten (Manifesto). Gegen Grillo stehe "die Hälfte der Bewegung", selbst in der Regierung stellt sich Minister Stefano Patuanelli gegen ihn. Im Ergebnis des diktatorischen Führungsstil Grillos ist das von Conte ausgearbeitete Statut bisher den Mitgliedern noch nicht einmal bekannt.

In dieser Situation kehrt Conte zu der Idee zurück, die er nach dem Ende seiner Karriere als Ministerpräsident zu Jahresbeginn bereits hatte, nämlich eine eigene Partei zu gründen. Die Keimzelle, so Manifesto, könnten "gleich mehrere Dutzend M5S-Parlamentarier", die zu ihm kommen wollen, bilden. Und Zulauf dürfte ihm auch von der M5S-Basis sicher sein. Jedenfalls prophezeiten Umfragen einer Conte-Partei bereits gut 20 Prozent Wählerstimmen. Ihm wird angerechnet, dass er seit Frühjahr 2018 als Premier einer Regierung von M5S mit der faschistischen Lega im August 2019 mit dieser brach und eine Regierung mit den Sternen und dem sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) bildete.

Den Faden zur PD hat Conte auch während der Zeit, in der er bereit war, den Chefposten der Sterne-Bewegung zu übernehmen, nicht abreißen lassen und mit PD-Chef Enrico Letta gemeinsame Kandidaten für die Regionalwahl in Kalabrien und für die Bürgermeisterwahl in Neapel aufgestellt. In der PD stellt Letta sich denn auch, wie Manifesto zu berichten wusste, auf eine Koalition mit einer Partei von Conte ein, die ein "drittes Standbein einer Mitte-Links-Allianz" sein könnte. Das gehe über die lokalen Bündnisse bis zur im Frühjahr 2022 anstehenden Wahl des neuen Staatsoberhauptes hinaus.

Nicht zu übersehen ist dabei, dass sowohl Conte als auch Letta - von dem ausschließlich nach rechts bis zu Faschisten verschiedener Couleur orientierten Grillo ganz zu schweigen - keine Abstriche an ihrer Unterstützung für die Draghi-Regierung machen, in der sie mit den Faschisten der Lega und der Forza-Partei Berlusconis sitzen.

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Quelle:
© 2021 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 13. Juli 2021

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