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ITALIEN/298: Lega-Führer Salvini will Corona-Epidemie zum Sturz der Regierung nutzen (Gerhard Feldbauer)


52 Tote, 1835 Infizierte in Italien

Fünf Millionen Schutzmasken verteilt

Lega-Führer Salvini will Corona-Epidemie zum Sturz der Regierung mit Sozialdemokraten nutzen

von Gerhard Feldbauer, 3. März 2020


Mit 52 Toten - 20 neue Todesfälle gab es allein seit Sonntag - und 1835 Infizierten (Stand laut der Nachrichtenagentur "ANSA" vom Dienstag) hat sich die gefährliche Corona-Epidemie in Italien bisher in Europa am stärksten ausgebreitet. Die Regierung aus Sozialdemokraten des Partito Democratico (PD) und Fünf-Sterne-Bewegung M5S hat ein Dekret mit umfangreichen Maßnahmen gegen die neue Seuche verabschiedet. Der Leiter des Zivilschutzes, Angelo Borelli, informierte, dass 5 Millionen Schutzmasken verteilt werden. Mehrere Bürgermeister "der größten und bevölkerungsreichsten Gemeinden in der Lombardei, Francesco Passerini von Codogno und Elia Delmiglio von Casalpusterlengo, kritisierten, es fehlten Maßnahmen für "einen wirtschaftlichen Ausgleich".

Die Regierung appelliert, angesichts der von der Epidemie ausgehenden Gefahr die politischen Auseinandersetzungen ruhen zu lassen. Der Chef der faschistischen Lega, Matteo Salvini, nimmt die Epidemie jedoch zum Anlass, seine Attacken zu ihrem Sturz zu forcieren. Dieses "Regierungsteam ist schon für die Bewältigung der Normalität nicht geeignet, geschweige denn für den Notfall", zitiert ihn "ANSA" auf einer Pressekonferenz, auf der er auch scharf kritisierte, dass die Regierung "in einer solchen Zeit die Landung von Hunderten weiterer Einwanderer zulässt". Die Regierung von Premier Conte müsse durch eine Regierung der "nationalen Einheit", der seine Lega und seine faschistischen Verbündeten der Forza Italia (FI) von Ex-Premier Berlusconi und der Brüder Italiens (FdI) von Giorgia Meloni angehören müssten, ersetzt werden. Ein solches "Rettungsboot" müsse "das Land aus dem Sumpf ziehen". Darüber müsse "in der Kammer abgestimmt werden". Andernfalls fordert er weiterhin vorgezogene Neuwahlen. FdI-Chefin Meloni sekundierte, sie werde gegen Conte "einen Misstrauensantrag einbringen".

Nachdem Staatspräsident Sergio Mattarella ihn zu einem Gespräch empfangen hatte, versuchte Salvini den Eindruck zu erwecken, dieser habe seine Vorschläge "aufmerksam" entgegengenommen. Vom "Colle" (dem Hügel, wie der Sitz des Staatschefs im Palast auf dem Quirinal in Rom im Volksmund heißt) gab es keine Verlautbarung dazu. "ANSA" vermerkte, in dem Gespräch sei, "soweit wir erfahren, nicht im geringsten über institutionelle Regierungen oder Themen dieser Art gesprochen worden", sondern nur "über die Notwendigkeit, Italien nach dem Auftreten des Coronavirus neu zu starten". Premier Conte "scheinen diese Szenarien auch nicht zu beunruhigen", so "ANSA" und zitiert: "Wir - wenn auch von geringer Größe - sind eine vereinte Regierung, wir sind bereits vereint".

Eine Regierung der "nationalen Einheit" soll "ein Rettungsboot" für Salvini sein. Im August 2019 brachte er mit seinem Ausscheiden aus der Regierung diese zu Fall, um Neuwahlen zu erzwingen. Er scheiterte, weil der parteilose Conte eine neue Regierung mit M5S und der PD bildete. In der Opposition geht Salvinis Einfluss zurück. Bei den Regionalwahlen in der Emilia Romagna am 26. Januar erlitt er mit 43,7 Prozent eine schwere Niederlage. In Wählerumfragen sank er danach von über 34 auf 32 Prozent ab. Der Senat, der bis dahin abgelehnt hatte, seine Immunität aufzuheben, stimmte nun zu und machte den Weg frei für eine Anklage wegen "Freiheitsberaubung", begangen als er im Juli 2019 als Innenminister dem Küstenwachschiff "Gregoretti" mit 131 Flüchtlingen an Bord die Landung im Hafen von Lampedusa auf Sizilien verweigerte. Ein zweiter Prozess droht Salvini wegen des gleichen Vergehens im Fall des Rettungsschiffes "Open Arms".

Die PD, deren Kandidat in Emilia vor allem mit Unterstützung der Protestbewegung der Sardinen mit 51,4 Prozent gewählt wurde, befindet sich dagegen im Aufwind. Auf Vorschlag ihres Sekretärs, Nicola Zingaretti, ist vergangene Woche die langjährige engagierte Linksdemokratin, zuletzt Freie und Gleiche (LeU), die zur PD gestossene Valentina Cuppi, zur PD-Vorsitzenden gewählt worden. Sie ist vergangenes Jahr mit 71 Prozent von Mitte-Links zur Bürgermeisterin von Marzabotto, einer roten Hochburg in der Toskana, gewählt worden. Mit ihrer Wahl hat Zingaretti, der für eine stärkere sozialdemokratische Ausrichtung der PD eintritt, wie Medien, so die römische "La Repubblica", hervorhoben, ein Signal zur Linkspartei und weiteren Gruppierungen und damit für eine Wiederbelebung der Linken Mitte gegeben. Das schließt die Sardinen ein, denn Cuppi ist mit dem Führer der Sardinen, Mattia Santori, in "langer Freundschaft" verbunden. "Lassen Sie uns bei Regional- und Kommunalwahlen (die demnächst in der Toskana und in Kampanien anstehen) nicht allein gegen Salvini und die Rechte", appellierte Zingaretti, der Einheit als einen "grundlegenden Wert" betonte.

Das rief den langjährigen PD-Chef und Premier Matteo Renzi (2013-18 bzw. 2014-16) auf den Plan. Der frühere rechte Christdemokrat, der bereits während seiner Zeit als Premier mit der faschistischen FI Berlusconis kollaborierte, hat sich gleich nach dem Eintritt der PD in die Regierung mit einer Fraktion rechter Anhänger (die heute 30 Abgeordnete und 18 Senatoren zählt) von der PD abgespalten und eine eigene Partei Italia Viva (Lebendiges Italien - IV) gebildet, mit der er in der Regierung verblieb. Stefano Azzara, Philosophie-Dozent an der Universität in Urbino, schätzte gegenüber dem Autor ein, die Abspaltung und Bildung einer eigenen Partei (IV) und der Eintritt in diese Regierung sei erfolgt, um "eine linke Ausrichtung zu verhindern und sie zu kontrollieren. Zur Rechtsausrichtung der IV wolle Renzi Teile der Forza Italia Berlusconis zum Übertritt gewinnen, um eine Mehrheit zu haben und die Regierung, wenn er den Zeitpunkt für gekommen halte, durch eine andere zu ersetzen". "La Repubblica", Sprachrohr der PD, fuhr schweres Geschütz auf. Der Rottamatore (Verschrotter) getaufte Renzi, der als "Chef der Regierung und der Linken die meiste Zeit damit verbrachte, die eigenen Truppen zu zerschlagen", kehrt zurück, "um der Regierung Conte ein Ende zu bereiten". Wie aus Medien zu entnehmen war, unterstützt er jetzt Salvinis Treiben, der "Einheitsregierung" Conte ein Ende zu bereiten und wäre wohl selbst bereit, ihren Vorsitz zu übernehmen. Laut "ANSA" versuchte er zu beschwichtigen: "Über die Zukunft der Regierung werden wir entscheiden, wenn der Notfall vorbei ist" und versicherte, "jetzt arbeiten wir alle zusammen".

PD-Sekretär Zingaretti erteilte laut "ANSA" derartigen Ambitionen eine klare Abfuhr: "Wir haben eine Regierung und es gibt derzeit keine Regierungskrise." Zingaretti weise "Die Idee einer Exekutive von Renzi-Salvini" entschieden zurück. Selbst von M5S, so "ANSA" weiter, komme "ein großes NEIN".

Staatspräsidenten Mattarella nahm am 24. Februar den 30. Todestag des Sozialisten und Staatspräsidenten Sandro Pertini zum Anlass, ein klares Signal zu geben, wo seine Sympathien liegen. Pertini gehörte im September 1943 dem nach dem Sturz Mussolinis gebildeten Nationalen Befreiungskomitee an, wirkte in Aktionseinheit eng mit der IKP zusammen, war mit Luigi Longo einer der beiden Befehlshaber der Partisanenarmee und Vorsitzender des Befreiungskomitees, das Mussolini zum Tode verurteilte und seine Vollstreckung anordnete. Mattarella stellte das Wirken Pertinis als Beispiel für den heutigen Kampf für die Verteidigung antifaschistischer Grundlagen und sozialen Fortschritts heraus, was "La Repubblica", "ANSA", der Mailänder "Corriere della Sera" u. a. Medien breit wiedergaben. Pertini war "der von den Italienern am meisten geliebte Präsident der Republik, ein großer Protagonist des politischen Lebens". Sein Wirken sei "eine Quelle großer Dankbarkeit für die Republik, ein Beispiel des Engagements für Institutionen, Großzügigkeit und Mut". Er sei "der Erbauer der italienischen Demokratie" und "ein fester Hebel zur Unterstützung der Grundsätze der Freiheit in der dramatischsten und blutigsten Zeit des Terrorismus". Das Beispiel von Präsident Pertini "ist Teil dieses gemeinsamen Erbes, auf das man zurückgreifen kann, um sich neuen Zeiten zu stellen".

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Quelle:
© 2020 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. März 2020

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