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ITALIEN/295: Wahlsieg der Sozialdemokraten gibt Widerstand gegen faschistische Lega Auftrieb (Gerhard Feldbauer)


Wahlsieg der Sozialdemokraten gibt Widerstand gegen faschistische Lega Auftrieb

Kapitalkreise setzen offensichtlich auf neuen Reformismus der Sozialdemokraten

von Gerhard Feldbauer, 5. Februar 2020


Die römische "La Repubblica" nannte den Sieg der Sozialdemokraten in der Emilia Romagna am 26. Januar zur Wahl des Ministerpräsidenten und des Parlaments der Region "ein Stalingrad" für die faschistische Lega Matteo Salvinis. Stefano Bonaccini von der Demokratischen Partei (PD) wurde mit 51,4 Prozent im Amt bestätigt, während die Lega mit 43,7 Prozent eine Niederlage erlitt. Der Vergleich mit der Niederlage der Hitlerwehrmacht 1942/43 mag übertrieben sein, Tatsache ist aber, dass er dem Widerstand gegen den Kurs der Errichtung eines faschistischen Regimes unter Salvini an der Spitze einer Koalition mit der Forza Italia (FI) von Ex-Premier Berlusconi und den Brüdern Italiens (FdI) von Giorgia Meloni, einer Busenfreundin von Frankreichs Marine Le Pen vom faschistischen Rassemblement National, Auftrieb gibt. Die Proteste nehmen zu. Zuletzt erteilten, wie die Nachrichtenagentur "ANSA" berichtete, am Wochenende Einwohner von Palermo auf Sizilien Salvini eine Abfuhr.

In der Regionalhauptstadt ist der bekannte Anti-Mafia-Kämpfer Leoluca Orlando Bürgermeister und die Lega hatte im Stadtrat gegen den Bau von Sozialwohnungen gestimmt. Orlando verwies darauf, dass Salvini ausgerechnet auf dem Markt von Ballarò sprach und nannte das Viertel ein "Nachbarschaftslabor für kriminelle Integration". Die Proteste richteten sich, so der Bürgermeister, gegen die Ablehnung "der Achtung aller Rechte" und der "direkten Beteiligung der Bürger, aller Bürger der Nachbarschaft und der Stadt" durch die Lega. Der Senat wird bis zum 3. März über die Aufhebung der Immunität Salvinis entscheiden. Stimmt er dafür, was von den Stimmen Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) abhängt, droht dem Lega-Chef ein weiterer Prozess wegen Freiheitsberaubung im Zusammenhang mit seiner Blockade von Rettungsschiffen mit Migranten, darunter der "Open Arms" 2019.

Mit der Niederlage ist Lega-Chef Salvini mit seinem Ziel, die Regierung des parteilosen Premiers Giuseppe Conte zu stürzen, um über Neuwahlen selbst die Regierung zu übernehmen, vorerst gescheitert. Die Existenz der Regierung aus M5S, den Sozialdemokraten der PD, der von ihnen unter dem früheren Regierungs- und PD-Chef (2014-16 bzw. 2013-18) Matteo Renzi abgespaltenen Partei Italia Viva (Lebendiges Italien) und der Linkspartei (LeU) scheint vorerst gesichert. Wie lange bleibt abzuwarten. Unter den Koalitionären hat eine Debatte über den einzuschlagenden Weg begonnen. Den Ausschlag für den Erfolg der PD hatten die Stimmen der neuen Protestbewegung "Sardinen" gegeben.

PD-Sekretär Nicola Zingaretti versucht, in der heterogenen, von einer starken katholischen Mitte geprägten Partei wieder stärker ihr sozialdemokratisches Profil herauszustellen. Um die PD will er einen Zusammenschluss gegen die Lega bilden und dazu die "Sardinen" gewinnen. Deren Sprecher, Mattia Santori, erklärte, darüber werde demnächst ein Kongress befinden. Zu Wort meldete sich dazu der mehrmalige Ministerpräsident von Mitte-Links-Regierungen in den 80/90er Jahren Romano Prodi, Jahrgang 1939, der vorschlug, die PD solle "eine Versammlung einberufen, die allen offen steht". Die Lehre, "die aus der Emilia-Romagna gezogen" werden müsse, sei "sich zu öffnen", das beziehe sich, zitiert ihn "La Repubblica", vor allem auf die Sardinen, die gegen die Lega "ein neues Klima schufen und die Plätze füllten". Ihnen komme "die Rolle der Nummer zwei" zu, so Prodi.

"La Republicca" veröffentlichte dazu am Dienstag einen "Plan für Italien" der PD für die Regierungszeit bis 2023, der soziale Verbesserungen in Schule, Gesundheitswesen, Schaffung von Arbeit und Gerechtigkeit fordert und auf Änderungen des Sicherheitsdekrets (von Salvini zur Flüchtlingsabwehr und Migrantenbekämpfung) beharrt. Auch Premier Conte signalisierte seine Bereitschaft zu Gesprächen mit den Sardinen. Beobachter halten es für möglich, dass er ihnen einen Ministerposten in seinem Kabinett anbieten könnte.

Die Debatte findet vor dem Hintergrund statt, dass es in Kapitalkreisen offensichtlich wieder die Meinung gibt, auf den in der PD unter neuen Bedingungen noch vorhandenen Reformismus zu setzen, der besser in der Lage sein könnte, in der Regierung den sozialen Widerstand zu bremsen. Dabei geht es auch darum, PD-Sekretär Zingaretti bei der Belebung des sozialdemokratischen Outfits zu bremsen. Dafür spricht, dass sich Matteo Renzi zu Wort meldete, der als Premier das Bündnis von Arbeit und Kapital in einem direkten Abkommen mit dem Industriellenverband Confindustria erneuert hatte. Wie "ANSA" berichtete, stellte er seine neue Partei Italia Viva (IV) als Vertreterin "eines Ideal und der Grundsätze einer guten Regierung" vor. Aber es "brauche Zeit", sich "auf gute Regierungsführung" vorzubereiten, weshalb er versichert, die Existenz der Regierung Conte bis 2023 zu sichern. In der Regierung werde IV versuchen, "die Agenda (Linie der Politik) zu diktieren". Das ist ein deutliches Signal an die Confindustria, bis dahin auf die Conte-Regierung zu setzen.

Unsicherheitsfaktor bleibt die krisengeschüttelte Sterne-Partei, deren Spaltung scheinbar nicht mehr aufzuhalten ist. In ihr "herrsche Anarchie", schrieb "La Repubblica". Ein für März angekündigter Parteitag, der über ihr weiteres Schicksal entscheiden sollte, ist verschoben worden, ein neues Datum nicht bekannt. Dass es überhaupt der erste Kongress elf Jahre nach ihrer Gründung sein würde, offenbart, dass die autoritär von Sterne-Führer Di Maio getroffenen Entscheidungen nie bestätigt wurden.

Kurz vor den Regionalwahlen, bei denen M5S, die im März 2018 noch über 32 Prozent erzielte, in der Emilia auf 4,7 absackte, hatte Parteigründer Beppe Grillo endlich die lang geforderte Absetzung Di Maios durchgesetzt. Die Hoffnungen ruhen nun auf Parlamentspräsident Roberto Fico, der vergangene Woche noch laut "ANSA" erklärte, "mit der Regierung fortzufahren". Fico galt schon immer als Widersacher des zurückgetretenen M5S-Chefs Di Maio. Wohin der mit der Interims-Leitung der Partei beauftragte Vito Crimi tendiert, ist schwer auszumachen. Jedenfalls hat auch er ein wie auch immer geartetes Zusammengehen mit der PD abgelehnt. Recht haben dürfte er, wenn er erklärte, "ohne M5S sei keine Regierung möglich".

Sollte die Regierung von M5S zu Fall gebracht werden, könnte Salvini doch noch zu Neuwahlen kommen. Darauf scheint sich auch bereits PD-Chef Zingaretti einzustellen, der erklärte, dann werde man "nicht zögern", die Herausforderung anzunehmen.

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Quelle:
© 2020 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2020

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