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ITALIEN/275: Mattarella verlängert Konsultationen zur Regierungsbildung (Gerhard Feldbauer)


Staatspräsident Mattarella verlängert Konsultationen

Sternepartei und Sozialdemokraten verhandeln über neue Regierung

von Gerhard Feldbauer, 24. August 2019


Staatspräsident Sergio Mattarella hat seine am Mittwoch und Donnerstag geführten Konsultationen zur Suche nach einem Weg, die Regierungskrise durch die Bildung einer neuen Regierung zu beenden, um eine weitere Runde, die er am Dienstag beginnt, verlängert, berichtet ANSA. Die Nachrichtenagentur zitiert den Staatschef: Es gehe um eine Regierung, "die das Vertrauen des Parlaments mit Gruppenvereinbarungen über ein Programm zur Steuerung des Landes" gewinnt. "Wenn diese Bedingungen nicht erfüllt sind, ist der Weg der Wahlen" notwendig. Mattarella wolle den "Verhandlungen zwischen M5S und der Demokratischen Partei (PD) zur Bildung einer Regierung" mehr Zeit verschaffen. Zu den Konsultationen wird sich Mattarella nochmals mit den Präsidenten des Abgeordnetenhauses und des Senats und den Chefs der im Parlament vertretenen Parteien treffen und auch die Meinung des Ex-Präsidenten, Senator Giorgio Napolitano, hören. Danach werde er seine Entscheidung treffen.

Mit seinem Rücktritt am vergangenen Dienstag hatte der parteilose Premier Giuseppe Conte das Ende der im Juni 2018 gebildeten Regierung der faschistischen Lega mit M5S eingeläutet. Anlass war, dass Lega-Chef und Vizepemier Salvini im Senat ein Mißtrauensvotum gegen ihn eingebracht hatte. Damit wollte Salvini Neuwahlen durchsetzen, um mit seiner Partei, der Umfragen 37 Prozent Wählerstimmen voraussagten, den ersten Platz zu erreichen und selbst Regierungschef werden. Seine ständigen Drohungen, wenn M5S sich nicht seinem Kurs unterordne, werde er eine Regierung mit seinen früheren faschistischen Verbündeten, der Forza Italia (FI) von Ex-Premier Berlusconi und den Brüdern Italiens (FdI) von Giorgia Meloni, bilden, führten zu einem Umdenken in der Sternepartei. Parteigründer Grillo, der Berlusconi als Faschisten immer abgelehnt hatte, orientierte auf eine Öffnung zur PD.

Damit wird eine Regierung der PD (wegen ihrer aus der früheren Partei der Linksdemokraten stammenden Basis gern als Sozialdemokraten apostrophiert) mit der Sternepartei, die im Parlament auf etwa 51 Prozent kommen könnte, möglich. Inzwischen haben Delegationen beider Parteien unter PD-Sekretär Nicola Zingaretti und M5S-Führer Luigi Di Maio offizielle Verhandlungen aufgenommen. Ziel müsse, so Zingaretti, eine "Durchbruchregierung" sein, mit "einer Alternative zur Rechten, mit einem neuen Programm". Dazu zählte der PD-Chef laut ANSA auch eine "Abkehr vom rigorosen Anti-Migrations-Kurs". Sterneführer Di Maio erklärte zu Gesprächsbeginn: "Wir lassen das Schiff nicht sinken." Er räumte "Fehler" ein und versicherte, zu versuchen, "die Dinge komplett zu ändern". Er legte ein nicht näher erläutertes 10-Punkte-Programm vor, das auch eine Kürzung beider Kammern des Parlaments um 345 Sitze umfasst, mit der 10 Milliarden Euro eingespart werden könnten. Zingaretti stimmte nach anfänglichem Zögern zu.

Von der Linkspartei Freie und Gleiche (LeU), die im März 2018 3,4 Prozent erreichte, signalisierte Piero Grasso, früherer Senatspräsident, sich einem Kabinett PD-M5S anzuschließen. Auch die unabhängige Linke, Senatorin Emma Bonino, sagte Unterstützung zu, forderte dazu "eine Regierung, die eine politische und programmatische Alternative zu der bisherigen darstellt" und die Aufgabe habe, "etwas zu tun, aber auch rückgängig zu machen". Dazu zählte sie das Sicherheitsdekret und die Migrantenfrage. Bonino ist eine bekannte Linke, mehrfach Ministerin, darunter in PD-Kabinetten, langjährige EU-Abgeordnete, die 2018 auf der Liste +Europa in den Senat gewählt wurde.

Salvini beharrte, unterstützt von FdI-Chefin Meloni, gegenüber dem Staatschef auf sofortigen Neuwahlen. Eine Regierung "zwischen der PD und dem M5S" lehnte er entschieden ab. Angesichts der auswegslosen Lage, in die er sich hineinmanövriert hatte, bot er jedoch an, die Koalition mit M5S fortzusetzen und erklärte: "Lasst uns die Mannschaft verbessern." Es gebe "einige M5Sler, die für ein mutiges Manöver zur Verfügung stehen würden", behauptete der Lega-Chef.

Wie ANSA am Sonnabend berichtet, zeitigen die Verhandlungen PD-M5S erste recht positive Ergebnisse. "Das Treffen fand in einer positiven und konstruktiven Atmosphäre statt, die uns Hoffnung auf die Aussichten gibt", sagt der Vorsitzende der PD im Senat, Andrea Marcucci. "Wir haben die M5S darum gebeten, dass dieser Dialog die einzige Voraussetzung für die Behandlung der weiteren Punkte bleibt, die auf vorläufiger Ebene keine unüberwindlichen Hindernisse darstellen. Sie erkennen dieses Bedürfnis nach Klarheit und uns wurde gesagt, dass sie es den politischen Führern der M5S berichten werden", sagt auch der stellvertretende Sekretär der Demokratischen Partei Andrea Orlando.

Auch Quellen der Fünf Sterne, so ANSA weiter, sprechen von "konstruktivem Klima". Die M5S hat "den Schnitt der 345 Parlamentarier auf den Tisch gelegt, er ist für uns ein grundlegender und vorbereitender Punkt." Allerdings gebe es "Vermittlungsräume, die noch erforscht werden müssten". Dazu dürfte gehören, dass M5S bereits ins Spiel gebracht hat, den Vorsitz einer neuen Regierung sollte wieder der alte Premier übernehmen: Conte.

Das Vorgehen der beiden Parteien, der faschistischen Lega eine Abfuhr zu erteilen, wird offensichtlich vom Wähler honoriert. Der Mailänder Corriere della Sera berichtete am Freitag, dass Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Tecne ergaben, dass die Zustimmungswerte der Lega bei Wahlen von 38 Prozent auf 31,3 gesunken sind, während die von M5S von 17,5 auf 20,8 anstiegen und die der PD von 22,4 auf 24,6 Prozent. Rechnet man die derzeitigen 3,4 Prozent der LeU hinzu, die in der Umfrage von Tecne nicht berücksichtigt sind, käme, wenn es zu Neuwahlen kommen und die drei Parteien ein Wahlbündnis eingehen sollten, mit 48,8 Prozent ein Ergebnis nahe einer Mehrheit von 50 Prozent zustande.

Alle, die in Italien noch eine antifaschistische Orientierung haben, hoffen, dass PD und M5S ihre Meinungsverschiedenheiten hintanstellen und sich auf die Überwindung der von der Lega und ihrem Chef Salvini ausgehenden faschistischen Gefahr einigen.

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Quelle:
© 2019 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2019

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