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ITALIEN/266: Europäische Ultras für "Festung Europa" - Mailänder Antifaschisten für Menschlichkeit (Gerhard Feldbauer)


Schwarz-braune Koalition europäischer Ultras will EU in "Festung Europa" verwandeln

Mailänder Antifaschisten forderten "Menschlichkeit" und "Brücken, keine Mauern"

von Gerhard Feldbauer, 21. Mai 2019


In Mailand haben sich eine Woche vor den EU-Wahlen am Wochenende Vertreter faschistischer und ultrarechter Parteien aus zwölf europäischen Ländern versammelt. Unter ihnen die Chefin des französischen Rassemblement National, Marine Le Pen, Jörg Meuthen von der deutschen AfD, der Vorsitzende der niederländischen Partij voor de Vrijheid (Partei für die Freiheit), Geert Wilders, und der Vize-Chef der Ekre-Partei Estlands, Jaak Madison. Östereichs FPÖ-Chef Harald Vilimsky musste wegen der Regierungskrise absagen, schickte aber den EU-Abgeordneten Georg Mayer. Entgegen den von Lega-Chef Matteo Salvini erwarteten wenigstens 100.000 Teilnehmern nahmen an der Veranstaltung auf der Piazza Duomo laut Medien nur einige Tausende teil.

Die Versammelten verkündeten, mit einer "Europaweiten Allianz", Salvini nannte sie "Europäische Allianz der Völker und Nationen", die EU in eine "Festung Europa" zu verwandeln, was Le Pen als "historische Wende", Meuthen als "neue Ära" in der EU bezeichnete. Sie erwarten am 26. Mai ein Wahlergebnis, mit dem sich nach den Plänen Salvinis und unter seiner Führung in Straßburg die bisher noch auf drei verschiedene, politisch weitgehend bedeutungslose Fraktionen verteilten Ultra-Rechten zur zweitgrößten Fraktion zusammenschließen, um die EVP zum Anschluss zu zwingen und Sozialdemokraten und Liberale abzulösen. Nach letzten Umfragen würde die Lega mit 31,6 Prozent stärkste Partei Italiens werden und in Strassburg einen der vorderen Plätze belegen.

"Das Spektakel", wie der Mailänder Corriere della Sera das Treffen titulierte, war an Demagogie kaum überbieten. Vor Beginn seines Auftritts ließ Salvini die Arie "Nessun Dorma" aus Giacomo Puccinis "Turandot" erklingen, die mit einem "wir werden siegen" endet. Er verkündete, "den Kontinent von der illegalen Besetzung zu befreien, die in Brüssel seit vielen Jahren organisiert wird". Dabei habe er "Fortschritte für mein Land " erreicht. Als erklärtes Ziel nannte er, diesen Kurs der EU zu stoppen, die Nationalstaaten zu stärken und eine "Festung Europa zu schaffen. Zur Bekräftigung seines migrantenfeindlichen Kurses erklärte er laut ANSA zu der vor dem Hafen Lampedusa mit 47 geretteten Flüchtlingen, darunter vielen schwerkranken, liegenden Sea Watch: "Dieses Schiff wird, solange ich Innenminister bin, in keinen italienischen Hafen einlaufen". Nachdem ein Anwalt die Einfahrt durchsetzte, drohte er am Montag den Verantwortlichen Konsequenzen an.

Während die Staatsanwaltschaft in Rom gegen 65 Mitglieder seiner Sturmtrupps Casa Pound und Forza Nuova, die seit Wochen mit Drohungen "hängt sie auf" und "verbrennt sie!" Sinti und Roma vertreiben wollen, wegen Anstiftung zu Rassenhass, Gewaltandrohungen, aufrührerischer Versammlung und Bekenntnissen zum Faschismus ermittelt, erklomm Salvini den Gipfel seiner Demagogie und beteuerte, seine Leghisten seinen "keine Faschisten". "Wer uns Faschisten nennt, fürchtet die Zukunft." Extremisten seien "diejenigen, die Europa seit zwanzig Jahren regieren".

Jubel und Zustimmung seiner Komplizen: Meuthen: "Arrogante Technokraten" hätten Europa zerstört. Diese Eliten werden wir "zu Fall bringen". Marine Le Pen atackierte "die herzlose Oligarchie" in Brüssel und nannte das schwarze Treffen einen Augenblick, "auf den wir lange gewartet haben und der jetzt unter dem Himmel Italiens wahr wird". Georg Mayer stimmte zu, "Masseneinwanderung" und "Islamisierung" zu stoppen. Geert Wilders lobhudelte, "Europa braucht mehr Salvinis" und bezeichnete dessen erfolgreiche "harte Linie gegen Migranten" als beispielgebend.

In ganz Mailand demonstrierten Tausende Antifaschisten unterschiedlicher Parteien und Organisationen sowie politischer Ansichten, darunter der Partisanenverband ANPI, gegen den schwarzen Aufmarsch. An vielen Häusern wurden Transparente mit Losungen wie "Zurück zur Menschlichkeit" oder "Nur Brücken, keine Mauern" gezeigt. Selbst Mitglieder der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) waren unter den Protestierenden. Deren rechte Führung, die in der Regierung Partner der Lega ist, ging auf Distanz. Ihr Vize-Premier Luigi Di Maio nannte die Lega "Ultrarechte" und mahnte laut ANSA, "gemäßigte Positionen" zu beziehen.

Auf einer Kundgebung auf der Piazza Duomo gegenüber dem Balkon, auf dem Salvini und seine europäischen Komplizen versammelt waren, wurde ein etwa fünf Meter langes Transparent in italienischer und englischer Sprache ausgerollt, auf dem stand: "Lasst uns menschlich bleiben". Zu den Rednern gehörte der frühere Minister der PD Carlo Calenda, der sagte: "Die auf dieser Bühne sind Italiens schlimmste Feinde." Vielleicht könnten sie in Europa Fuß fassen, aber "nicht in Mailand", kommentierte Giuseppe Sala, unabhängiger Linker und Bürgermeister der Stadt, in der am 25. April 1945 das Nationale Befreiungskomitee die Macht übernahm und gegen Mussolini ein Todesurteil verhängte, das drei Tage später von einem Partisanenkommando vollstreckt wurde.

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Quelle:
© 2019 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Mai 2019

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