Schattenblick → INFOPOOL → EUROPOOL → POLITIK


ITALIEN/257: "Irrlichternde Sterne" nach Wahlniederlage - aber sie werden noch gebraucht (Gerhard Feldbauer)


Nach Wahlniederlage irrlichternde Sterne

Aber sie werden noch gebraucht

von Gerhard Feldbauer, 5. März 2019


Am vergangenen Sonnabend hat die Demonstration von 250.000 Antifaschisten in Mailand gegen den rassistischen und arbeiterfeindlichen Kurs des Innenministers und Lega-Chefs Salvini die Fronten erhellt. Erstmals seit dem Antritt der Regierung der Lega mit der rechten Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) im Juni 2018 kam eine breite einheitliche antifaschistische Aktion zustande. Der Präsident der Mitte-Links-Regierung des Latium, Nicola Zingaretti, schätzte ein, damit beginne "der Wiederaufbau einer Linken", die dieser Regierung den Kampf ansagt. Sie sei "offen für eine neue Mitte-Links-Allianz", zitiert ihn die Nachrichtenagentur ANSA am Montag. Zingaretti wurde am Sonntag in den Primarie (öffentlichen Wahlen) von 70 Prozent der 1,7 Millionen Teilnehmer zum neuen Sekretär der Demokratischen Partei (PD) gewählt. Damit hat die noch von früheren Linksdemokraten geprägte Basis dem rechten Kurs des nach der Wahlniederlage im März vergangenen Jahres zum Rücktritt gezwungenen früheren Christdemokraten und Regierungschefs von 2014-17, Matteo Renzi, eine Abfuhr erteilt.

Für einen Moment ist damit die Krise in der rechten Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), Koalitionspartner der Lega, verdeckt worden. Eine Woche vorher, am 24. Februar, hatte sie bei den Regionalwahlen auf Sardinien erneut eine schwere Niederlage einstecken müssen. Nachdem sie bei den Wahlen in den Abruzzen am 10. Februar von 32 Prozent bei den Parlamentswahlen vor einem Jahr auf 19 Prozent fiel, sackte sie in Sardinien auf 9 Prozent ab. Entgegen den in den Medien durchweg verbreiteten Vorhersagen, eine weitere Niederlage der Sterne werde das Ende der Regierung mit der rassistischen Lega bedeuten, bleibt diese zwar im Amt, aber die Krise schwelt weiter. In Umfragen werden M5S bei Parlamentsneuwahlen 25 Prozent gegeben, Tendenz weiter sinkend. Die von ANSA zitierte Verlautbarung von M5S-Chef Luigi Di Maio, das Ergebnis "werde keine Auswirkungen auf die Regierung und das innere Leben der Bewegung" haben, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Sternepartei von ihren Wählern abgestraft wurde.

Es ist weniger der migrantenfeindliche Kurs Salvinis, der ohnehin nur von Teilen der Basis abgelehnt wird, sondern vor allem, dass Salvini im Einvernehmen mit dem Unternehmerverband Confindustria deren Wahlversprechen hinhaltend torpediert. Weder das an Hartz IV orientierte, "Bürgergeld" genannte Mindesteinkommen, noch Steuererleichterungen oder eine Rentenerhöhung sind bisher verwirklicht worden. Zur Wahlniederlage auf Sardinien trug bei, dass die Bauern, die am Wahltag gegen die sinkenden Milchpreise protestierten, sich von M5S im Stich gelassen fühlten. Für den Bau der milliardenschweren, von M5S in der Opposition abgelehnten Hochgeschwindigkeitsbahn zwischen Lyon und Turin (TAV) wirbt die Partei jetzt per Referendum für Zustimmung.

Um den Platz an den Futtertrögen zu behalten, macht der MS5-Führer, wie Vizepremier Luigi Di Maio sich inzwischen nennt, weitere Zugeständnisse. Zuletzt hat er die Ablehnung der Aufhebung der parlamentarischen Immunität Salvinis durchgepeitscht und damit einen Prozess gegen diesen wegen "Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauch" (Verweigerung der Landung von 177 Migranten des Rettungsschiffes Diciotti) verhindert. Auch das war ein radikaler Schwenk, denn in der Opposition hatte M5S immer gefordert, Politiker, gegen die die Justiz ermittelt, müssten sofort zurücktreten.

Der Krise der Bewegung will Parteigründer Beppe Grillo, der sich nach langer Abstinenz wieder zu Wort meldete, mit dem Aufbau von Parteistrukturen (bisher kommuniziert die M5S-Leitung mit ihrer Basis rein online) begegnen. Um Wähler bei der Stange zu halten, will Di Maio Cannabis zulassen, was die Lega prompt ablehnt. Der schon in der Versenkung verschwundene Ex-Premier Berlusconi wittert seine Chance und fordert Salvini auf, die Koalition mit M5S zu beenden und eine Regierung mit seiner faschistischen Forza Italia (FI) und den Brüdern Italiens (FdI) von Giorgia Meloni zu bilden.

Salvini winkt ab. Ihm gereicht die gegenwärtige Situation nur zum Vorteil. Auch wenn er gegenüber der RAI erklärte, es gäbe "keine Krise" und es werde keine "Änderung der Regierung" geben, setzt er darauf, dass M5S sich in der Regierung mit ihm weiter verschleißt. Nach den EU-Wahlen im Mai wird die Stunde der Wahrheit erwartet. Sollte die Lega in Strassburg erste italienische Partei werden, könnte Salvini Neuwahlen provozieren, zu denen ihm bereits jetzt Umfragen 60 Prozent vorhersagen. Plan B bliebe die Wiederauflage einer faschistischen Koalition von Lega, FI und FdI, diesmal mit Salvini an der Spitze.

*

Quelle:
© 2019 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2019

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang