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ITALIEN/230: Italiens rassistische Regierung verschärft ihren Kurs - Brüssel macht ihn salonfähig (Gerhard Feldbauer)


Italiens rassistische Regierung verschärft ihren Kurs - Brüssel macht ihn salonfähig

Roberto Saviano: Fünf-Sterne-Partei eine Krücke des Rassismus
Andrea Camilleri: Das erinnere an finsterste Zeiten unter Mussolini

von Gerhard Feldbauer, 10. Juli 2018


Mit ihren Forderungen nach einem "radikalen Wandel" der europäischen Asylpolitik und der "kompletten Überwindung der Dubliner Abkommen" ist die rassistische Regierung aus Lega und Fünf-Sterne-Partei von Rom zwar nicht durch-, aber ein ganzes Stück vorangekommen. Dass Vizepremier und Innenminister Matteo Salvini weiter vorprescht, schert in Brüssel wie Berlin niemanden. Wie die Nachrichtenagentur ANSA berichtete, rüstet Rom die libysche Küstenwache mit weiteren zwölf Schiffen auf. Vier hatte vergangenes Jahr bereits die Regierung des Partito Democratico (PD) geschickt. Auch die für ihre Brutalität bekannten Besatzungen werden von Italienern ausgebildet. Ihre Hauptaufgabe sei es, so Salvini, "das Auslaufen der Boote zu verhindern".

Die wichtigste Transitlinie über das Mittelmeer nach Europa haben laut ANSA in den vergangenen sechs Monaten rund 10.000 Migranten passiert. Dank der libyschen Küstenwache sei aber im Juni innerhalb einer Woche "das Verlassen von 2.500 Menschen blockiert worden". Am Sonntag legte der Rassistenchef nach und verkündete laut ANSA, dass nicht nur Schiffen von Rettungsorganisationen, sondern auch an "internationalen Missionen" beteiligten Schiffen das Anlaufen italienischer Häfen untersagt werde. "Unsere Regierung spielt eine andere Musik." Vizepremier und Arbeitsminister Luigi Di Maio (M5S) sekundierte mit der Drohung, NGO-Schiffe beim Anlaufen Italiens "zu beschlagnahmen". Der parteilose Premier Giuseppe Conte, von dem erwartet wurde, er werde den Rassismus zügeln, schaut dem Ganzen tatenlos zu. Salvini begrüßte inzwischen auch die von den Neofaschisten in Wien durchgesetzten "schärferen Grenzkontrollen" am Brenner als "positiv" und erklärte sich bereit, seinerseits die Kontrollen an dem Alpenpass "wiedereinzuführen".

Wie tief M5S von der Führung und ihrem rechten Mitgliederrand her bereits im rassistischen Sumpf steckt, zeigte ein Skandal im Campidoglio (der Stadtverwaltung von Rom), das von der Sternepartei regiert wird. M5S-Abgeordnete stimmten dort für den Antrag der faschistischen Fratelli/Brüder Italiens (FdI), eine Strasse nach ihrem Ahnherrn Giorgio Almirante zu benennen. Der Gründungssekretär der Mussolini-Nachfolgepartei MSI 1946 (die FdI ging über die Alleanza Nazionale - AN - aus ihr hervor) war Staatssekretär des "Duce". Er unterschrieb noch kurz vor Kriegsende einen "Genickschuss-Befehl" gegen Partisanen und gab das Hetzblatt "La difesa della razza" (Verteidigung der Rasse) heraus. Bürgermeisterin Giorgia Raggi, obwohl sie 2016 nur mit Hilfe der 20 Prozent FdI-Stimmen ins Amt gekommen war, wollte die Umbenennung nicht mittragen, doch erst nach empörten Protesten stoppte sie den Beschluss.

Selbst die am Wochenende tagende Delegiertenversammlung der PD schätzt M5S inzwischen als "Strömung der Lega" ein. Der amtierende Sekretär Maurizio Martina, der als Parteichef bestätigt wurde, betonte, es müsse berücksichtigt werden, dass M5S auch eine "linke Komponente" habe, der dieser Kurs im Kampf um Wählerstimmen aufgezeigt werde müsse.

Wählerverluste bei den Kommunalwahlen im Juni signalisierten M5S die Enttäuschung ihrer Wähler über die Regierungsallianz mit der Rassistenlega. Di Maio versucht, aus dem Schatten Salvinis herauszutreten und kündigte erste Maßnahmen im Arbeitsministerium an. Die groß herausgestellte Überwindung der von PD-Ex-Premier Renzi eingeführten Arbeitsmarktreform, dem sogenannten "jobs act", beschränkt sich bisher darauf, gegen "unsichere Arbeitsplätze" vorzugehen. Befristete Arbeitsverträge sollen nicht länger als 24 Monate gelten. Die Confindustria (Verband der Großindustriellen) nannte das umgehend ein "sehr negatives Signal für die Geschäftswelt". Die Häufigkeit befristeter Arbeitsverträge in Italien stehe im Einklang mit dem europäischen Durchschnitt.

Damit noch etwas vom einstigen linken Aushängeschild übrigbleibt, will Di Maio im Senat noch im Sommer die "Goldrenten" kürzen. Es ist ein reines Ablenkungsmanöver, mit dem er an der eigenen Mehrheit scheitern würde. Zu punkten sucht der Arbeitsminister mit einem Verbot für Glücksspielwerbung (ausgenommen die für gesamtstaatliche Lotterien), womit Italien das erste EU-Land mit einem derartigen Verbot wäre. Die Betreiber sollen keine TV- oder Radioprogramme oder sportliche Events mehr sponsern dürfen. Verstöße sollen mit mindestens 50.000 Euro bestraft werden. Die Fußballwelt, die jährlich 120 Millionen Euro für Sponsorenverträge zahlt, protestierte lautstark.

Inzwischen enthüllte das kommunistische Online-Portal Contropiano, dass nach einer Weisung Salvinis an die Präfekten am vergangenen Wochenende aus einem Haus am Platz der Unabhängigkeit im römischen Stadtteil Tiburtina mehrere Dutzend als politische Flüchtlinge anerkannte und seit zwei Jahren dort wohnende Sudanesen vertrieben wurden. Sie leben seitdem auf der Strasse. Derart menschenverachtende Treibjagden ereignen sich fast täglich. So schrieb die Cronache di ordinario razzismo (gewöhnlicher Rassismus) auf ihrer Website, dass auf Weisung des Innenministers die Leistungen für Migranten gekürzt oder auch ganz gestrichen, Flüchtlingslager geschlossen und die Bewohner auf die Strasse gesetzt werden. Es gäbe Übergriffe und Mißhandlungen, Ausländern werden ohne Beweise kriminelle Delikte unterstellt. Aus einem Bericht von ANSA am Montag geht hervor, dass geplant ist, die Ausgaben für Migranten im laufenden Jahr um eine halbe Milliarde Euro zu kürzen.

Den Schriftsteller Andrea Camilleri, Autor der bekannten Krimiserie "Commissario Montalbano", erinnert der Regierungskurs der Lega/M5S an die Zeit unter Mussolini, an den "finstersten Abschnitt in der italienischen Geschichte". Italien "verliere wichtige soziale Errungenschaften, die es in der Vergangenheit erreicht hat. Wenn ich ehrlich sein soll, ich erkenne Italien nicht wieder", sagt er im Interview für La Repubblica. Zu den Proteststimmen gehört der Schriftsteller und Antimafia-Kämpfer Roberto Saviano, der die Haltung von M5S als "eine Krücke des Rassenhasses" entlarvte. Der Lega-Chef drohte daraufhin, Saviano, der seit Jahren von der Mafia mit dem Tode bedroht wird, den Polizeischutz zu entziehen. Die frühere Parlamentspräsidentin Laura Boldrini vom Mitte-Links-Bündnis Freie und Gleiche (LeU) charakterisierte die neue Regierung als "Unmenschlichkeit der Macht".

Zu einer internationalen Demonstration des Protestes und der Solidarität mit Migranten und Flüchtlingen haben in der ligurischen Grenzstadt zu Frankreich Ventimiglia für den 14. Juli annähernd 30 Parteien und Organisationen aufgerufen, darunter der nationale Partisanenverband ANPI, die kulturelle Vereinigung ARCI, das linke Bündnis Potere al Popolo und die Partei der Rifondazione Comunista (PRC). Aus Frankreich und Spanien werden mehrere hundert Teilnehmer erwartet.

In Innsbruck will sich Salvini am Vorabend des EU-Innenministertreffens mit seinem deutschen Amtskollegen Seehofer treffen, um laut ANSA über weitere "gemeinsame Lösungen" im Kampf gegen illegale Einwanderung und über die Sicherung der europäischen Außengrenzen zu beraten. Da dürfte nach der bisherigen Schützenhilfe des deutschen Innenministers für seinen rassistischen Amtskollegen nichts Gutes zu erwarten sein.

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Quelle:
© 2018 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juli 2018

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