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ITALIEN/193: Einwohner Cagliaris protestieren gegen Manöver auf der italienischen Mittelmeerinsel (Gerhard Feldbauer)


"NATO raus"
Einwohner Cagliaris protestieren gegen Manöver auf der italienischen Mittelmeerinsel

Stützpunkte und Umgebung jahrelang uranverseucht. Zahlreiche Krebstote

von Gerhard Feldbauer, 24. Oktober 2017


Gegen ein geplantes NATO-Manöver "Joint Stars" auf Sardinien haben in der Regionalhauptstadt Cagliari mehrere Hundert Menschen protestiert. Zu der Demonstration hatte, wie die staatliche Nachrichtenagentur ANSA berichtete, das Komitee der Friedensbewegung "A Foras" Raus) aufgerufen, das den Abzug der NATO-Truppen von der Mittelmeerinsel fordert. Es handelt sich um ein großangelegtes Kriegsmanöver im Hafen von Cagliari mit atomar angetriebenen Kriegsschiffen und U-Booten, der Anlandung von Truppen und Panzern an der Küste, das, wie "A Foras" betonte, zu massiven Störungen der zivilen Luftfahrt, des Schiffsverkehrs im Hafen von Cagliari, damit des Tourismus, der Unterbrechung des Fischereibetriebes führen und so der Wirtschaft schaden werde. Die Demonstranten, die vor dem Sitz der Regionalregierung auch ein Sit-in durchführten, forderten auf Transparenten und in Sprechchören "Wir protestieren gegen diese militärische Besatzung Sardiniens" und "La NATO fuori dalla Sardegna" (Nato raus aus Sardinien).

Die USA und die NATO unterhalten in Italien insgesamt über 100 Stützpunkte, darunter in Rom das NATO-Defence College und im Hafen von Gaeta nördlich der Hauptstadt das US-Navy-Hauptquartier der sechsten Flotte. Nach wahrscheinlich unvollständigen Angaben sind auf den Stützpunkten zwischen 60 bis 90 Atomsprengköpfe eingelagert, was gegen den auch von der italienischen Regierung unterzeichneten Atomwaffensperrvertrag verstößt.

Auf der etwa 1.65 Millionen Einwohner zählenden, mit 24.090 km² nach Sizilien zweitgrößten italienischen Mittelmeerinsel unterhält der Kriegspakt elf Stützpunkte, darunter eine Luftwaffenbasis, einen Raketenschießplatz, ein Manövergelände, eine NSA-Zentrale mit einem Datenverarbeitungszentrum. Auf der Basis am Cap Marragiu im Nordwesten befand sich bis zur Aufdeckung 1990 ein Gladio-Camp zur Ausbildung von CIA-Agenten, die in linksextreme Organisationen wie die "Roten Brigaden" zur Provozierung von Terrrorakten der Spannungsstartegie eingeschleust wurden.

Sardinien ist heute von besonderer strategischer Bedeutung als Ausgangsbasis für Operationen in den Nahen Osten und den nordafrikanischen Raum zur Niederschlagung und Unterdrückung nationaler Befreiungsbewegungen bzw. unabhängiger Nationalstaaten (wie Libyen zeigte oder gegenwärtig die Versuche in Syrien) sowie zur Abwehr des von dort kommenden Flüchtlingsstromes.

In seinem Aufruf wies das "Raus"-Komitee auf die Verursachung schwerer ökologischer Schäden hin. So diente der zirka 120 km² große Truppenübungs- und Raketenstartplatz Salto di Quirra im Südosten viele Jahre zur Erprobung von neuen Waffen und Munition, ebenso der "Entsorgung" alter Munition und gefährlicher Chemikalien. Die italienischen Streitkräfte testeten dort zusammen mit Rüstungskonzernen Artilleriegranaten, Drohnen und lasergesteuerte Bomben, Raketen, die Asbest und weißen Phosphor freisetzen, sowie Munition mit abgereichertem Uran (depleted uranium). Die deutsche Bundeswehr erprobte dort Anfang der 1980er Jahre ihren Flugabwehrpanzer "Gepard" im "scharfem Schuss". Es wurden Beschuldigungen laut, die Bundeswehr habe DU-Munition aus abgereichertem Uran mit panzerbrechenden Eigenschaften des Rüstungskonzern MBB verwendet. Derzeit nutzt die Bundeswehr gelegentlich das Gelände zum Training von Einheiten für Auslandseinsätze.

Der bekannte italienische Krimi-Autor Massimo Carlotto stieß bei Recherchen über einen Roman um Salto di Quirra auf einen Öko-Skandal von ungeheurem Ausmaß. Bei den Anwohnern traten Missbildungen bei neugeborenen Menschen und Tieren (Schafe mit drei Beinen und zwei Köpfen) auf sowie tödliche Krebsfälle bei Männern, die ihren Wehrdienst auf dem Stützpunkt leisteten. Carlotto veröffentlichte seine Erkenntnisse nur in Romanform, da er sonst juristische Konsequenzen befürchtete. Sie erschienen 2012 bei Klett-Cotta als "Tödlicher Staub". Die Italienische Originalausgabe 2008 unter dem Titel "Perdas de Fogu".

2011 musste die zuständige Staatsanwaltschaft von Lanusei wegen Umweltverseuchung und fahrlässiger Tötung in zahlreichen Fällen Ermittlungen aufnehmen. Sie erbrachten, dass das gesamte Gelände des Stützpunktes mit umweltschädlichen und krebserregenden Substanzen verseucht war. Große Mengen von vergrabenem Müll enthielten Kadmium, Blei, Antimon und Napalm. In Milch, Honig und anderen Lebensmitteln wurde Thorium, ein hoch radioaktives und stark kanzerogenes Element, das in militärischen Zieleinrichtungssystemen verwendet wird, gefunden. Das Gelände wurde danach für Menschen und Tiere gesperrt und sollte saniert werden. Die Manöver gehen weiter und da wird weiter geschossen. Die umweltverseuchenden Waffenarten, deren Rückstände die Erkrankungen und Todesfälle verursachten, sollen nicht mehr zum Einsatz kommen. So die Verlautbarungen.

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Quelle:
© 2017 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Oktober 2017

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