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ITALIEN/162: Vorgezogene Neuwahlen so gut wie sicher (Gerhard Feldbauer)


Vorgezogene Neuwahlen in Italien so gut wie sicher

Sozialdemokratische PD heillos zerstritten

von Gerhard Feldbauer, 3. Februar 2017


Die römische La Repubblica hält Parlamentsneuwahlen vor Ablauf der Legislaturperiode im Frühjahr 2018 noch im Juni dieses Jahres für so gut wie sicher. Dafür haben sich das Sekretariat des regierenden sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) und die Protestbewegung Fünf Sterne (M5S) ausgesprochen. "In Bewegung" gebracht hat diesen Prozess, wie das regierungsnahe Blatt schreibt, das Urteil des Obersten Verfassungsgerichts zum Wahlgesetz Italicum. Es bestätigte das Gesetz in Teilen, darunter den Mehrheitsbonus, der der Partei, die 40 Prozent der Stimmen erreicht, 340 der 630 Sitze in der Abgeordnetenkammer gewährt. Abgelehnt wurde ein Ballotagio (zweiter Wahlgang). Das Italicum muss nun auf den weiter bestehenden Senat zugeschnitten werden, für den bisher der Siegerbonus nicht gilt.

Die Streichung des Mehrheitsbonus hatten die Gegner Renzis in der PD während der Kampagne zum Referendum über die Abschaffung des Senats als Parlamentskammer gefordert. Als er ablehnte stimmten sie mit "no" und trugen entscheidend zu seiner Niederlage bei, nach der er zurücktrat. Das Urteil ist ein nachträglicher Sieg für Renzi, den er als PD-Chef umgehend zur Rückkehr auf die politische Bühne nutzte. Auf einer Generalversammlung von Funktionären der PD aller Ebenen am vergangenen Wochenende in Rimini zeigte er sich - ausgehend vom Wahlergebnis von 40,8 Prozent für den PD bei den EU-Wahlen 2014 - überzeugt, die Partei zu einem solchen Ergebnis auch bei Parlamentswahlen, noch im Juni dieses Jahres, zu führen. Sollte das nicht gelingen, werde der PD laut Wählerumfragen des Meinungsforschungsinstituts Demopolis, mit wenigstens 30 Prozent dennoch den ersten Platz erreichen. Der kleinbürgerlichen rechtslastigen Protestbewegung M5S werden etwa 29 Prozent zugetraut.

Während zu den Wahlen weiter keine Parteien-Bündnisse zugelassen sind, können solche danach gebildet werden. Dazu verspricht Renzi, mit der bisherigen Partei "Linke und Umwelt" (SEL), die mit anderen Linken demnächst eine neue Partei Sinistra Italiana (SI) gründen will, eine Mitte Links-Koalition zu bilden. Sollte die SI ablehnen oder auch den Einzug ins Parlament nicht schaffen, hält er sich eine Koalition mit der Partei Neues Rechtes Zentrum (NCD), einem "moderaten" Ableger aus der faschistoiden Forza Italia (FI) Berlusconis, die schon heute der Regierung angehört, offen. Da im Senat, wie schon 2013 wieder ein Patt und damit Unregierbarkeit drohe, sei, so La Repubblica, auch "ein neues Abkommen Renzis mit Berlusconi zu befürchten". Für dessen FI Demopolis neben 13,2 für die rassistische Lega Nord noch immer 11,8 Prozent Wähler erwartet. Vor allem die PD-Linken verurteilen diese "Option" entschieden. Der angesehene Parteilose Giuseppe Pisapia, 2008-2011 Bürgermeister von Mailand, nennt das "einen Alptraum".

Renzis Vorgehen stößt auf entschiedene Proteste der PD-Minderheit, die von den Linken bis zu Teilen der Mitte reicht. Der frühere Mitte Links-Premier Massimo D'Alema stellte klar, dass über vorgezogene Wahlen, das Wahlgesetz und eine Kandidatur nur ein Parteitag entscheiden könne, für dessen sofortige Einberufung bereits eine Unterschriftensammlung läuft. Da ein Parteitag ihn absetzen könnte, lehnt Renzi ab und will ihn erst für Dezember anberaumen.

Doch die Opposition im PD gegen Renzi bleibt uneins. Der frühere PD-Chef Luigi Bersani kündigte im Onlineportal der US-amerikanischen Huffington Post am Donnerstag an, wenn Renzi "so weiter mache", würde die Opposition zu einem neuen "Ulivo" zurückkehren, jener Linkspartei, die der Christdemokrat Romano Prodi 1996 bei Parlamentswahlen unter dem Zeichen des Olivenbaums gegen die Koalition Berlusconis mit 41,2 Prozent zum Sieg führte. Der Präsident und Regierungschef der Region Apulien, Michele Emiliano, beschränkt sich darauf, Renzi als PD-Chef abzulösen und will gegen ihn kandidieren.

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Quelle:
© 2017 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Februar 2017

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