Schattenblick → INFOPOOL → EUROPOOL → POLITIK


ITALIEN/137: Gedenken an die Opfer des SS-Massakers in Sant'Anna di Stazzema (Gerhard Feldbauer)


Italien gedachte der Opfer des SS-Massakers in Sant'Anna di Stazzema

Bundesdeutsche Justiz verweigerte Auslieferung in Italien verurteilter Verbrecher

von Gerhard Feldbauer, 17. August 2016


Das antifaschistische Italien gedachte am vergangenen Freitag der Opfer des unter dem Besatzungsregime Hitlerdeutschlands in Sant'Anna di Stazzema in der Toskana begangenen Massakers. Am 12. August 1944 wurden in der Ortschaft von der Aufklärungsabteilung der 16. Panzergrenadier-Division "Reichsführer SS" unter dem Kommando von Obersturmbannführer Walter Reder 560 Einwohner auf bestialische Weise ermordet. An den Gedenkfeiern, die Bürgermeister Maurizio Verona eröffnete, nahmen an der Spitze zahlreicher Delegationen in Vertretung von Premier Renzi Staatssekretär Cosimo Maria Ferri und die Vizepräsidentin der Region Toskana, Monica Barni, teil.

Staatspräsident Sergio Mattarella übermittelte eine Botschaft, in der er das Blutbad "eines der barbarischsten und grausamsten Verbrechern, die an unseren Mitbürgern begangenen wurden" nannte. Er mahnte, "das nie zu vergessen" sei "eine Gewissensfrage" und eine Verpflichtung, das Erbe der Ressistenza und ihrer mutigen Kämpfer für "die Würde der Person, ein Zusammenleben in Frieden, Freiheit und Demokratie" wachzuhalten.

Das linke Fattio Quotidiano berichtete mehrspaltig "eine Eliteeinheit der SS rottete mit Hilfe örtlicher Faschisten die Bevölkerung des kleinen Dorfes aus und schlachtete vor allem Frauen, Alte und Kinder ab". Das Blatt gibt die Erinnerungen von Enio Mancini wieder, der als sechsjähriges Kind das Morden überlebte, und diese in einem Buch des Laika-Verlages "Das Massaker von Sant'Anna di Stazzema" (Hamburg 2014) niederschrieb. "Schwangeren Frauen wurde der Leib aufgeschlitzt, Kleinkinder in die Luft geworfen und auf sie wie auf Tontauben geschossen, andere mit Bajonetten durchbohrt", schreibt das Blatt und führt weiter an, dass von den Opfern 120 Kinder unter sechszehn Jahren und acht schwangere Frauen waren. Das jüngste Opfer zählte drei Monate, das älteste 86 Jahre. Die SS-Leute durchkämmten die Gehöfte und brannten die Gebäude nieder. 150 Einwohner wurden auf dem Kirchplatz zusammengetrieben und mit zwei Maschinengewehren und Handgranaten regelrecht hingeschlachtet. Die Mörder schichteten die Leichen übereinander, übergossen sie mit Benzin, zündeten sie an und verstümmelten sie bis zur Unkenntlichkeit. Nur 350 Opfer konnten später identifiziert werden. Während des Überfalls befand sich kein einziger Widerstandskämpfer dort.

Fattio Quotidiano erwähnt, dass die Mörder von Sant'Anna wie in den meisten Fällen in der Bundesrepublik nie zur Verantwortung gezogen wurden. Obersturmbannführer Reder konnte in Italien gefasst werden und erhielt 1951 eine lebenslängliche Haftstrafe für die unter seinem Kommando in Marzabotto ermordeten über 1800 Einwohner. Für das Verbrechen in Sant'Anna wurde er Mangels Beweisen freigesprochen. 1985 wurde er begnadigt. Als schließlich 2005 in Italien zehn der Verbrecher von Sant'Anna zu lebenslanger Haft verurteilt wurden, verweigerte die Bundesrepublik die Auslieferung der Verurteilten. 2012 stellte die Staatsanwaltshaft in Stuttgart die Ermittlungen gegen acht noch lebende SS-Angehörige ein. Als im März 2013 Bundespräsident Joachim Gauck Sant'Anna besuchte, heuchelte er "Versöhnung", behauptete gleichzeitig, "im Fall des Massakers von Sant'Anna reichten die Instrumente des Rechtsstaates nicht aus, um Gerechtigkeit zu schaffen." Weder entschuldigte er sich noch verurteilte er das Blutbad. Welche Chuzpe leistete sich das bundesdeutsche Staatsoberhaupt, das jahrelang keine Skrupel hatte, Bürger der DDR, die sich nach Recht und Gesetz für ihren Staat auch auf antifaschistischen Positionen einsetzten, erbarmungslos mit allen Mitteln des "Rechtsstaates" zu verfolgen.

Da tut sich ein Geschichtsbild auf. Der italienische Staatspräsident bekennt sich zum antifaschistischen Erbe und ruft zum friedlichen Zusammenleben der Völker auf, der deutsche verweigert den Opfern des Kampfes gegen den Faschismus nicht nur die Anerkennung, sondern ruft heute auf, die von Hitlergenerälen aufgebaute Bundeswehr in weltweite Kriegseinsätze zu schicken.

*

Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang