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ITALIEN/125: Mit landesweitem Streik sagten Italiens Metallarbeiter Unternehmern den Kampf an (Gerhard Feldbauer)


Mit landesweitem Streik sagten Italiens Metallarbeiter Unternehmern den Kampf an.

Ihr einheitliches Handeln könnte der ganzen Bewegung Aufrieb geben

Von Gerhard Feldbauer, 28. April 2016


In einem vierstündigen landesweiten Streik haben Italiens Metallarbeiter am 20. April 2016 gegen die beabsichtigte Beseitigung des nationalen Tarifvertrages ihrer Branche protestiert, die Willkür der Metallunternehmer und den gewerkschaftsfeindlichen Kurs von Premier Matteo Renzi angeprangert und für alle Beschäftigten höhere Löhne, einen Mindestlohn und bessere Arbeitsbedingungen gefordert. Die drei Metallarbeitergewerkschaften Fiom, Fim und Uilm in den zentralen Verbänden CGIL, CISL und UIL hatten dazu gemeinsam aufgerufen, nachdem der Verband der Metallindustriellen Federmeccanica sich in sechs Monaten Verhandlungen geweigert hatte, den nationalen Tarifvertrag zu erneuern und für 95 Prozent der Beschäftigten Lohnerhöhungen und Verbesserungen der Arbeitsbedingungen zu gewähren. Das linke Fatto Quotidiano hob die Bedeutung des Ausstandes hervor, der seit acht Jahren wieder die erste gemeinsame Kampfaktion war, zu der die drei zusammen über 460.000 Mitglieder zählenden Branchen-Gewerkschaften aufgerufen hatten. Auch das Auftreten der Führer der Fiom, Fim und Uilm, die auf zentralen Kundgebungen in Mailand, Reggio Emilia und Neapel vor Zehntausenden Streikenden sprachen, zeugte von lange nicht gekannter Einmütigkeit. Kundgebungen gab es auch in Turin, Rom, Genua und weiteren Städten.


Millionen ohne nationalen Tarifvertrag

Maurizio Landini, Generalsekretär der mit 360.000 Mitgliedern stärksten Fiom, erntete minutenlangen Beifall, als er in Mailand ausrief: "Wir sind gemeinsam hier, um der verfehlten Politik der Metallindustriellen und der Regierung ein Ende zu setzen. Und da wir einheitlich handeln, wird uns das auch gelingen". Die Regierung forderte er auf, "unverzüglich Einfluss auf den Abschluss eines neuen nationalen Tarifvertrages zu nehmen." Es gehe aber nicht nur um die Metallarbeiter, denn "Millionen Beschäftigte sind ohne einen nationalen Vertrag".

In Reggio Emilia wies Uilm-Sekretär Rocco Palombella die Pläne der Metallindustriellen zurück, den einheitlichen Tarifvertrag durch Einzelverträge zu beseitigen und 95 Prozent der Beschäftigten jegliche Lohnerhöhungen zu verweigern. Uil-Vorsitzender Carmelo Barbagallo, warnte, wenn die Federmeccanica ihre Haltung nicht ändere, "werden wir zum Kampf übergehen". Susanna Camusso, CGIL-Vorsitzende, des mit 5,8 Millionen Mitgliedern stärksten der drei zentralen Verbände(1) und Fim-Sekretär Marco Bentivoglio, der in Neapel sprach, stimmten dem voll zu und erteilten den Versuchen des Chefs der Federmeccanica, Fabio Storni, durch einzelne Zugeständnisse das einheitliche Vorgehen zu torpedieren, eine entschiedene Abfuhr.(2)


Arbeiter führten Sturz Berlusconis herbei

Die Gewerkschaften haben im Herbst 2011 in machtvollen Kampfaktionen - Kundgebungen und Ausständen bis zum Generalstreik - entscheidend bewirkt, das führende Unternehmerkreise den faschistoiden Premier Berlusconi fallen ließen. Zusammen mit den Linken brachten die Gewerkschaften auch den von Brüssel favorisierten früheren EU-Kommissar Mario Monti als Übergangspremier zu Fall. Ihrer Unterstützung verdankte der sozialdemokratische Partito Democratico (PD) 2013 seinen Wahlsieg. Von dessen Übernahme der Regierung erwarteten sie eine Verbesserung ihrer sozialen Lage und eine Wiederherstellung der ihnen unter Berlusconi geraubten politischen sowie Gewerkschaftsrechte. Doch mit dem früheren rechten Christdemokraten Matteo Renzi, der 2014 PD- und Regierungschef wurde, erfolgte ein Wechsel dessen, was man im bürgerlich-parlamentarischen System die "politisch herrschende Klasse" nennt. Genau das hatte der Direktor des FIAT-Imperiums, Cordero di Montezemolo, damals Chef der Confindustria, nach dem Sturz Berlusconis gefordert: Eine Erneuerung "der politischen Klasse Italiens".(3)


Nach Berlusconi setzen Kapitalkreise wieder auf Führung der Sozialdemokratie

Die führenden Kapitalkreise, die mit dem größten privaten Industriekonzern FIAT an der Spitze die von der Fininvest-Holding Berlusconis geführte Kapitalgruppierung verdrängt hatten, kehrten zurück zur vor Berlusconi(4) praktizierten Zusammenarbeit mit den sozialdemokratischen Führungskräften der Arbeiterbewegung. Sie setzten wieder darauf, dass diese besser geeignet seien, mit dem gegen ihren weiter betriebenen Sozialabbau und der Beseitigung von Arbeiter- und Gewerkschaftsrechten fertig zu werden.(5) Renzi wurde diesen Erwartungen voll gerecht.(6) Am 3. November 2014 traf er mit einer Abordnung des Verbandes der Großindustriellen Confindustria mit ihrem Präsidenten Giorgio Squinzi an der Spitze zusammen, der er versicherte, er werde vor dem Druck der Gewerkschaften "keinen Schritt zurückweichen", sein "Stabilitätsgesetz"(7) werde "kein Gegenstand von Verhandlungen mit den Gewerkschaften sein" und er werde sich "auch im PD nicht aufhalten lassen."(8) Squinzi dankte dem Premier herzlich und versicherte, dass die Unternehmer "mit ihm sind".(9) Dass Renzi dabei durch eine fehlende Mehrheit im Senat in seine Regierung die aus der rechtsextremen Forza Italia (FI) Berlusconis hervorgegangene neue Partei Nuovo Centro Destra (NCD)(10) aufnahm, sahen die ihn stützenden Kapitalkreise von Vorteil für seinen rechten Kurs.


Unter sozialdemokratischer Regierung wächst soziales Elend

Werfen wir einen Blick darauf, wie sich das Bündnis der von Renzi angeführten PD-Führung mit der Confindustria auf die soziale Lage von Millionen Menschen auswirkt. Im Juli 2014 berichtete das Amt für Statistik ISTAT, dass zehn Millionen Italiener (17 Prozent der Bevölkerung) in bitterster Armut leben. 7,9 Millionen darunter wurden als "absolut arm" eingeschätzt. Sie könnten sich keinen "gerade noch akzeptablen Lebensstandard leisten". In Süditalien war die Lage noch dramatischer. Dort wurden 26 Prozent "relativ" und 12,6 Prozent als "absolut arm" bezeichnet. ISTAT zufolge hatte sich die Zahl der ärmsten Kinder unter der PD-Regierung von 723.000 auf 1,434 Millionen verdoppelt. In einem Bericht von UNICEF wurde Italien zum reichsten Drittel der Länder Europas gezählt. Doch gleichzeitig festgehalten, dass 15,9 Prozent der Kinder bis 17 Jahre in Armut leben, weil das Mittelmeerland weniger als fünf Prozent seines Bruttosozialprodukts für Hilfsleistungen ausgibt.

Mitte Oktober 2014 berichtete das Institut für Sozialfürsorge (INPS), dass die Hälfte der 13,6 Millionen Rentner mit weniger als 1.000 Euro auskommen musste. 52 Prozent von ihnen waren Frauen. Diese Menschen lebten bereits an der Armutsgrenze, die mit 999,67 Euro angegeben wurde. Viel schlimmer ging es 2,1 Millionen von ihnen, die mit Altersbezügen unter 500 Euro dahinvegetierten. Aber auch diese Grenzen wurden unterschritten, beispielsweise in Neapel, wo Tausende mit 272 Euro monatlich, wie es in dem INSP-Bericht hieß, "mit einer Hungerpension auskommen" müssen. Für die extreme Verschlechterung der sozialen Lebensbedingungen von Millionen Menschen waren die Regierung Monti und danach die der Sozialdemokraten unter Letta(11) und Renzi verantwortlich.


Die arbeiter- und gewerkschaftsfeindliche Politik Premier Renzis

Im Dezember 2014 setzte Renzi das Dekret über den Jobs act, euphemistisch als Arbeitsmarktreform bezeichnet, durch. In den Grundfragen wurde der Artikel 18 des Arbeitsgesetzes, der bis dahin weitgehend einen Kündigungsschutz garantierte, aufgehoben, was ermöglichte, die Tarifverträge auszuhebeln, Minijobs nach deutschem Vorbild einzuführen und zahlreiche Arbeiterrechte in den Betrieben aufzuheben oder einzuschränken. Für neue Arbeitsverträge konnte eine dreijährige Probezeit festgelegt werden. Renzi setzte hier durch, was Berlusconi nicht gelungen war.

Lange Zeit gelang es Renzi, die Proteste der Gewerkschaften und der linken Minderheit im PD durch kleine soziale Zugeständnisse und Versprechungen Weiterer im Zaum zu halten. 2014 hat er für Beschäftigte mit einem Einkommen unter 1.500 Euro Steuererleichterungen von 80 Euro monatlich verabschiedet. Ab 2016 soll eine Million der Ärmsten ein Mindesteinkommen von 320 Euro erhalten. Die Immobiliensteuer auf die erste Wohnung mit Ausnahme von Luxuswohnungen hat er abgeschafft. Das betrifft drei Viertel der Bevölkerung, die Wohneigentum hat. Verzichtet wurde auf eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von derzeit 22 Prozent. Im Haushalt für 2016 (Volumen 35 Milliarden Euro) sind 290 Millionen Euro dafür vorgesehen, jedem Volljährigen eine Kreditkarte mit einem Guthaben von 500 Euro für den Kauf von Büchern, Theater- oder Museumsbesuche zu gewähren. Ab Oktober soll jeder arbeitende Bürger einmal jährlich einen kostenlosen Theaterbesuch erhalten. Das ließ vergessen, dass die Unternehmen Steuererleichterungen bei Investitionen und der Schaffung von Arbeitsplätzen erhalten.(12) Mit dieser Politik der Beschwichtigungen gelang es Renzi auch, im Mai 2014 bei den EU-Wahlen 40,8 Prozent der Wähler hinter sich zu bringen und den PD zur stärksten Partei zu machen. Die FI erlitt mit 16,8 Prozent eine schwere Schlappe. 2009 war es noch umgekehrt gewesen: Da hatte die Partei des damals regierenden Berlusconi 40 Prozent erreicht, während der PD nur auf 29 Prozent kam. Der triumphale Wahlerfolg stärkte Renzis Position, der für sich in Anspruch nimmt, die von dem Medientycoon ausgehende faschistische Gefahr zurückgedrängt zu haben. Ungewöhnlich war, dass die Kapitalkreise keinen Anstoß am Wahlsieg des PD mit sozialdemokratischem Outfit nahmen, was sich im Ansteigen der Kurse an der Mailänder Börse um 3,61 Prozent zeigte.(13)

Der nationale Streik der Metallarbeitergewerkschaften, die mit der Fiom an der Spitze als kämpferische Vorhut gelten, ist eine Kampfansage an die Unternehmer aber auch eine Warnung an Premier Renzi, eine Kurskorrektur vorzunehmen. An der Spitze dieser wieder erwachenden Bewegung steht mit Fiom-Chef Landini (Jahrgang 1961) nicht nur ein erfahrener Gewerkschaftsführer, der seine Karriere zur Zeit begann, da die Fiom ein enger Verbündeter der bis 1991 existierenden Kommunistischen Partei (IKP) war, sondern auch ein Politiker, der zu den Initiatoren der Gründung einer neuen Linkspartei "Sinistra Italiana" (SI) gehört, die zum linken Gegenpol des PD werden könnte.(14) Von den noch immer gespaltenen Kommunisten(15) gibt es Anzeichen, mit dieser neuen Linkspartei (SI) eine Aktionseinheit zur Stärkung einheitlichen Handelns der Linken zu bilden.


Unternehmer befürchten Impuls für ganze Bewegung

Vor diesem Hintergrund befürchten die Unternehmer nicht zu Unrecht, von dem einheitlich von den drei Metallarbeitergewerkschaften geführten Streik der Metaller könnten Impulse für das gemeinsame Handeln auch der drei zentralen Verbände CGIL, CISL und UIL ausgehen. Im Rahmen der kapitalistischen Restauration nach 1945 waren von der im antifaschistischen Widerstand, der Resistenza, entstandenen einheitlichen Gewerkschaft CGIL die zwei Gewerkschaften, CISL und UIL(16) abgespalten worden.(17) Auf Initiative der CGIL bildeten die die drei Gewerkschaften danach jedoch einen gemeinsamen Dachverband, der die Spaltung in gewisser Weise überbrückte und vor allem bei Streiks und anderen Aktionen des Widerstandes gegen die Unternehmer gemeinsam handelte und oft noch den Widerstand gegen die Berlusconi- Regimes organisierte. Jetzt befürchtet die Confindustria, der nie aufgelöste Dachverband CGIL-CISL-UIL könnte seine Aktivitäten wieder aufnehmen und dem Beispiel der Metall-Gewerkschaften folgen.


ANMERKUNGEN

(1) Die CISL zählt 4,4 und die UIL 2,2 Millionen Mitglieder. Etwa eine Million sind in selbständigen Basis-Gewerkschaften organisiert.

(2) Nach Berichten der Repubblica vom 21. April 2016.

(3) Im Interview mit dem deutschen manager magazin, September-Heft 2012.

(4) Berlusconi kam erstmals 1994 für zehn Monate an die Regierung. Danach nochmals von 2001-2006, und von 2008-2011.

(5) Ausführliche Einschätzung dieses Prozesses in: G. Feldbauer: Geschichte Italiens. Vom Risorgimento bis heute. 2. aktualisierte Auflage. Papyrossa Verlag, Köln 2014, S. 324 ff.

(6) Renzi begann seine Karriere in der 1991/92 im Korruptionssumpf untergegangenen Democrazia Cristiana, in der er zu den Parteirechten gehörte. Danach machte er in der katholischen Zentrumspartei Margherita 2007 den Zusammenschluss mit den aus der IKP hervorgegangenen Linksdemokraten mit und gewann 2009 die Wahl zum Bürgermeister von Florenz. Er verkündete offen, die alte, meist noch aus der 1991 aus der IKP in die Linkspartei gekommene alte Funktionärsgarde zu verschrotten, was ihm den Beinamen "Rottamatore" (Verschrotter) einbrachte. Mit Renzi erfolgt dann ein Generationswechsel an der Spitze des PD. Sein Sekretariat besetzte er mit fünf Männern und sieben Frauen, die im Durchschnitt 35 Jahre zählten.

(7) Regierungsdekret zur Sanierung der Wirtschaft und Finanzen mit Ausgabenkürzungen von 4,5 Mrd. Euro, die vor allem drastische Reduzierungen in den sozialen Bereichen betrafen.

(8) Das bezog sich auf den Widerstand der linken Minderheit im PD gegen seinen Arbeiter- und gewerkschaftsfeindlichen Kurs.

(9) Repubblica, 4. November 2014.

(10) An der Spitze des NCD steht mit Angelino Alfano der frühere Vize-Chef der FI und enge Vertraute Berlusconis.

(11) Premier nach Monti und vor Renzi.

(12) Siehe jW vom 24. Februar 2016: "Bis zur nächsten Vertrauensfrage. Seit zwei Jahren hangelt sich Italiens Premier Matteo Renzi durch die Amtszeit"

(13) Die staatliche Nachrichtenagentur ANSA vom 25. Mai 2014.

(14) Nach den bisherigen Intentionen der Gründer soll sie mit einer stärkeren linken Basis, die auch aus der Fiom kommen soll, an die Stelle der derzeitigen Partei Linke für Umwelt und Freiheit (SEL) treten.

(15) Es bestehen die nach der 1991 beseitigten IKP entstandene Rifondazione Comunista (PRC), die Partei der Kommunisten Italiens (PCdI und eine von dem Mitglied der trotzkistischen IV. Internationale, Marco Ferrando, gegründete Kommunistische Arbeiterpartei (PCL). Der PCL lehnt jede Zusammenarbeit mit den anderen beiden Parteien, die er als revisionistisch bezeichnet, ab.

(16) Die CISL orientierte sich auf die Sozialistische Partei, während die UIL von der Democrazia Cristiana (DC) dominiert wurde. Die CGIL blieb eine mit der IKP verbundene Gewerkschaft, nach deren Liquidierung 1991 den Linksdemokraten nahestehend, heute dem PD.

(17) Wie vorher die Abspaltung der Saragat-Fraktion von der Sozialistischen Partei in eine Sozialdemokratische Partei hatte die CIA über ihre Agenten in der AFL-CIO auch auf die Spaltung der Gewerkschaftseinheit, wie der Corriere della Séra am 8. März 1975 enthüllte, diesen Prozess inszeniert.

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2016

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