Schattenblick → INFOPOOL → EUROPOOL → POLITIK


ITALIEN/113: Nach Renzis Kritik an Merkel Zuschüsse an Italien gesperrt (Gerhard Feldbauer)


Brüssel schießt zurück

Nach Renzis Kritik an Merkel Zuschüsse an Italien gesperrt

Von Gerhard Feldbauer, 28. Dezember 2015


Nach der scharfen Attacke Premier Renzis gegen die deutsche EU-Vorherrschaft unter Kanzlerin Merkel auf dem jüngsten Gipfel hat Brüssel Italien die üblichen finanziellen Zuschüsse verweigert bzw. eigene staatliche Maßnahmen blockiert. Im Rahmen seines Stabilitätsgesetzes will Renzi vier insolvente Banken retten, einen der größten Stahlproduzenten Europa Ilva umweltschonender sanieren und lehnt das EU-verordnete Spardiktat ab. Damit sei "der Konflikt vollständig" schrieb La Repubblica, Sprachrohr der Regierung. Die Gemeinschaft eröffne den "Wirtschaftskrieg zwischen Brüssel und Italien". Nachdem Rom sich bereits gegen die Sanktionen gegen Russland gewandt und eine Beteiligung an Militäreinsetzen in Syrien wie Libyen abgelehnt hatte, erstreckt sich der Dissenz jetzt, wie das Blatt anführte, auf Energiefragen, das Währungssystem oder die Regulierung des wachsenden Flüchtlingsstroms. Alle Konflikte werden überlagert werden von der Führungsrolle, die sich Deutschland anmaßt. Europa müsse den "28 Ländern dienen, nicht nur einem", hatte der italienische Premier gegenüber der Londoner Financial Times die Dominanz Deutschlands zurückgewiesen. Seine Forderung "Schluss mit einem Europa unter deutscher Führung", geben die großen italienischen Medien vom Mailänder Corriere della Sera über die Turiner Stampa des Fiat-Konzerns bis zur Hauptstadtzeitung Il Messaggero in seltener Einmütigkeit wider. Ausdrücklich habe Renzi erwähnt, dass Berlin von der Krise in Athen profitiert und ein deutsches Unternehmen sich die griechischen Flughäfen einverleibte. Es werde verhindern, dass "Italien so wie Griechenland endet". Seine Bemerkung, er habe "ein ausgezeichnetes persönliches Verhältnis" zu Merkel, tut La Repubblica als in solchen Fällen übliche "diplomatische Floskel" ab.

Demonstrativ hatte Renzi vor dem Gipfel das Haushaltsdefizit für 2016 trotz hoher Verschuldung von 2,2 auf 2,4 Prozent erhöht und eine Genehmigung aus Brüssel nicht eingeholt. Hier wie bei den Meinungsverschiedenheiten bei der Bildung der europäischen Bankenunion widersetze sich Italien "der Beseitigung der Souveränität der Nationalstaaten" unterstrich La Repubblica. Knallhart habe Renzi Berlin der "Doppelmoral" beschuldigt, so wenn trotz der Sanktionen gegen Russland die deutsche Wintershall und die russische Gasprom die Nord Stream Gaspipeline über die Ostsee zwischen Russland und Deutschland ausbauen wollen, während Brüssel den Bau einer South-Stream-Pipeline, von der Italien profitiert hätte, verhinderte. Besonders beunruhigte Brüssel, dass die Regierungschefs von sieben Ländern Ost- und Südosteuropas Renzi mit der Forderung unterstützten, Energiefragen müssten "in jedem Fall mit allen anderen abgestimmt werden".

Die von Merkel durchgesetzte Sparpolitik begünstige die Populisten in Europa, hatte Renzi mit Blick auf das Wahlergebnis in Spanien ausgeführt, wo der rechte Ministerpräsident Mariano Rajoy, den er "seinen Freund" nennt, die parlamentarische Mehrheit verlor und die linke Podemos aber auch die rechtsliberalen Ciudadanos einen unerwarteten Aufschwung erreichten.

Renzi verfolgt als Chef der sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) in Übereinstimmung mit dem Industriellenverband Confindustria einen wirtschaftsorientierten Rechtskurs. Im Frühjahr stehen Bürgermeisterwahlen an, die als Vorspiel zu den Parlamentswahlen 2018 gelten. Bei einer Niederlage der PD würden sie mit Sicherheit vorgezogen. Die Wahlergebnisse in Madrid könnten den Linken in und außerhalb seiner PD, die dabei sind, eine neue Linkspartei Sinistra Italiana (SI) zu gründen, Auftrieb verschaffen. Vor allem die Protestbewegung M5S könnte laut Wahlprognosen die PD überflügeln. Dem will Renzi vorbeugen und gleichzeitig der extremen Rechte unter ihrem neuen Führer, dem Chef der rassistischen Lega Nord, Matteo Salvini, nicht die Anti-deutsche EU-Karte überlassen, mit der dieser in der Nachfolge Berlusconis an die Regierung zurückkehren will.

*

Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Dezember 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang