Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → POLITIK

ITALIEN/046: Italiens Sozialdemokraten stärkste Partei bei EU-Wahlen (Gerhard Feldbauer)


Italiens Sozialdemokraten stärkste Partei bei EU-Wahlen

Faschistoide Forza Berlusconis verlor 60 Prozent ihrer Wähler

von Gerhard Feldbauer, 28. Mai 2014



Die italienischen Sozialdemokraten (Demokratische Partei - PD) haben bei den EU-Wahlen einen triumphalen Sieg eingefahren. Sie sind mit 40,8 Prozent stärkste Partei geworden und werden mit 73 Parlamentariern nach Brüssel ziehen. Die rechtsextreme Forza Italia (FI) von Ex-Premier Berlusconis erlitt mit 16,8 Prozent eine schwere Schlappe. 2009 war es noch umgekehrt: Da hatte der damals regierende Berlusconi 40 Prozent erreicht, während die PD nur auf 29 kam. Die Protestbewegung M5S erhielt zirka 21 Prozent. Ihr umstrittener Chef Beppe Grillo scheiterte mit seinem verkündeten Ziel, erste Partei zu werden. Das wird von den zur Zusammenarbeit mit der PD neigenden Kräften auf die Ablehnung durch den typisch anarchistisch handelnden Grillo zurückgeführt. Der kritische Ton ihm gegenüber wird schärfer. Eine Leitfigur, die an dessen Stelle treten könnte, ist jedoch nicht in Sicht.

Die neue Rechtspartei NCD von Angelino Alfano, eine Abspaltung von der FI, derzeit Partner in der PD-Regierung, kam im Bündnis mit der Union Demokratischer Christen (UDC), ebenfalls ein früherer Bündnispartner Berlusconis, auf knapp 4,4 Prozent. Da die rassistische Lega Nord etwa 6, und die Fratelli d'Italia, ein Nachfolger von Gianfranco Finis faschistischer Alleanza Nazionale (AN) 3,7 Prozent erreichten, kommt das rechtsextreme Lager mit der FI, wenn auch gespalten, immer noch auf etwa 27 Prozent.


Renzis Erfolgskonzept

Das Erfolgskonzept des PD-Sieges wird in Rom in der Wahlkampfstrategie Matteo Renzis, PD-Chef und Ministerpräsident, gesehen. Renzi hat sich wenig mit den umstrittenen EU-Themen befasst, mehr nationale Souveränität gefordert, um ein starkes Italien in die EU einzubringen. Dazu hat er sein "Reformkonzept", mit dem er verspricht, Italien aus der Krise zu führen, für die seit 1994 drei Regierungen unter Berlusconi verantwortlich gemacht werden, in den Mittelpunkt gestellt. Er hat die Provinzen aufgelöst und will demnächst auch den Senat als zweite Kammer abschaffen. Das und eine drastische Senkung der Spitzengehälter im öffentlichen Dienst verschafft ihm etwas Luft beim Abbau der Staatsverschuldung. Vorgesehene neue Streichungen im Sozial- und Gesundheitswesen hat er wohlweißlich bisher nicht bekannt gegeben, dafür Steuersenkungen für Geringverdienende beschlossen, die etwa zehn Millionen Beschäftigten monatlich erst mal 80 Euro mehr in die Lohntüte bringen. Auch wenn ihnen das später wieder aus der Tasche gezogen wird, dürfte ihm das viele Stimmen aus diesen Wählerschichten eingebracht haben.


Berlusconi offen den Kampf angesagt

Auf der politischen Ebene hat Renzi Berlusconi, der ihn mit seiner faschistoiden FI zu Fall bringen und selbst zurück ins Amt des Regierungschefs will, offen den Kampf angesagt. Zufall oder nicht, Zwei Wochen vor den EU-Wahlen deckte die Staatsanwaltschaft in Mailand eine Nationalsozialistische Arbeiterbewegung (NSAB) auf, die zu den zeitgleich mit den EU-Wahlen anstehenden Bürgermeisterwahlen in den Gemeinden antreten wollte. Renzi nutzte das, um auf seinen Wahlkundgebungen das Thema der Verherrlichung Hitlers und Mussolinis anzusprechen und zu warnen, dass der FI-Chef mit solchen Leuten einen (Mussolinis) "Marsch auf Rom" wiederholen wolle. Das war ein klarer Appell, Berlusconi und seiner FI eine Niederlage zu bereiten, was ihm die Stimmen der Antifaschisten sicherte.


Darüber sollte man in Frankreich nachdenken

Die - ebenfalls während des Wahlkampfes - bekanntgegebene Senkung der Militärausgaben, darunter der Verzicht auf den Milliarden Euro verschlingenden Abfangjäger F35, dürfte der PD die Stimmen der wählerstarken Friedensbewegung gebracht haben. Darüber, so Meinungen in Rom, sollte die Linke im Frankreich des sozialistischen Präsidenten Hollande einmal nachdenken. Dass die PD-Linke recht gut mit EU-Kandidaten vertreten war, hat ein relativ geschlossenes Stimmverhalten hervorgebracht. Die etwa 4 Prozent für die Liste Tsipras dürften meist von der Linkspartei SEL gekommen sein. Damit hat ausgerechnet der frühere Christdemokrat und rechts positionierte Renzi die Sozialdemokraten zusammengeschlossen. Nicht zuletzt hat das der PD-Linke und frühere Parteivorsitzende Luigi Bersani mit einem herzlichen Glückwunsch an Renzi deutlich demonstriert. Der Ausgang der EU-Wahlen wird denn auch, wie "La Repubblica" schrieb, als eine klare Bestätigung des Regierungskurses Renzis gesehen. Der selbst wertete das als eine Abfuhr für die permanenten Drohungen Berlusconis, ihn mit einer neuen Regierungskrise zu Fall zu bringen und kündigte an: "ich werde bis 2018 regieren".


Kapitalkreise setzen wieder auf Reformismus

Das Kapital reagierte auf Renzis Wahlsieg, wie ANSA am Montag meldete, mit einem Ansteigen der Kurse an der Mailänder Börse um 3,61 Punkte. Fazit: Er ist der Interessenvertreter der Kapitalkreise, die wieder auf den Reformismus in der Arbeiterbewegung setzen.

In der FI hat die Debatte über die Ursachen dieser katastrophalen Niederlage begonnen. Die "Moderaten" sehen sie im extrem rechten Kurs Berlusconis, der zur Abspaltung der NCD und der AN Finis geführt habe. Generell zeigt der Wahlausgang, dass der wegen Steuerhinterziehung und Korruption verurteilte Ex-Premier, der gegenwärtig seine Strafe im Sozialdienst verbüßt, seine Ausstrahlung als Galionsfigur der Partei verloren hat. Neuwahlen kann er nicht mehr fordern, denn das würde der FI eine weitere Niederlage einbringen und könnte der PD ermöglichen, danach auch allein zu regieren. Damit bleiben auch seine nach dem Wahlausgang wiederholten Drohungen, Renzis Reformen zu stoppen, wirkungslos. Die Stimmen werden lauter, er solle den Parteivorsitz abgeben. "Gemäßigtere" Forzisten suchen nach einer Allianz mit Alfanos NCD, was dieser zunächst postwendend zurückgewiesen und die Fortsetzung der Regierung mit den Sozialdemokraten bekräftigt hat.


PD auch bei Landtags- und Kommunalwahlen erfolgreich

Zeitgleich mit den EU-Wahlen wurden in Piemont und den Abruzzen die Regional/Landes-Parlamente gewählt, wo die PD - hier meist in Mitte Links-Bündnissen mit der SEL und auch Kommunisten die FI und Lega Nord aus den Ämtern vertrieb: Piemont 47,1 zu 22,1; Abruzzen 46,9 zu 29,5 Prozent. Bei den Wahlen der Bürgermeister und Kommunalräte, die in 4.095 Gemeinden stattfanden, hat die PD bereits im ersten Wahlgang ähnlich gute Ergebnisse erzielt.

*

Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Mai 2014