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ITALIEN/041: Auflösung des Senats als zweiter Kammer beschlossen (Gerhard Feldbauer)


Italien löst Senat als zweiter Kammer auf

Premier Renzi stärkt seine Position

von Gerhard Feldbauer, 2. April 2014



Der seit Mitte Februar die Regierung führende Vorsitzende der Demokratischen Partei (PD), Matteo Renzi, hat mit einem einstimmigen Beschluss seines Kabinetts am Montag über die Auflösung des Senats als zweiter Kammer eine grundlegende Veränderung des politischen Systems eingeleitet. Italien trennt sich von einem Relikt seiner monarchistischen Geschichte, dem 1861 bei der Gründung des einheitlichen Nationalstaates gebildeten Senat, der 1946 bei der Proklamation der Republik in modifizierter Form übernommen wurde. Der Senat hat bisher nach dem Parlament (Abgeordnetenkammer) neben der Zustimmung zu Gesetzen auch über das Schicksal der Regierung im Vertrauens- bzw. Misstrauensvotum zu entscheiden. Nach dem Sturz der Regierung Berlusconi 2011 und den folgenden Wahlen errang die PD zwar die Mehrheit im Parlament, verblieb aber im Senat im Patt mit Berlusconi.


Autonomer Senat ähnlich dem deutschen Bundesrat

An die Stelle des jetzigen Senats soll - ähnlich dem deutschen Bundestag - ein "Autonomer Senat" mit statt bisher 315 nur noch 148 Mitgliedern treten. Sie werden nicht gewählt, sondern setzen sich aus Vertretern der Regionen (Ländern) und den Bürgermeistern großer Städte sowie den ehemaligen Präsidenten der Republik und Senatoren auf Lebenszeit zusammen, die keine Diäten erhalten, aber weiter den Titel Senator führen dürfen. Diesem Senat verbleibt das Recht, vom Parlament verabschiedeten verfassungsrechtlichen Gesetzen zuzustimmen bzw. sie abzulehnen und sich zu legislativen Fragen zu äußern. Der jetzige Senat muss - als seine letzte Amtshandlung - dem Gesetzentwurf noch zustimmen, was nach dem einstimmigen Kabinettsbeschluss als sicher gilt.


Ein Schlag gegen die Linkspartei

Nicht so gut war es vorher mit dem zweiten Teil der Verwaltungsreform gelaufen, der Abschaffung der 170 Provinzen mit 56.000 Beschäftigten, die jährlich 8,6 Mrd. Euro kosten. Nicht nur die rechtsextreme Partei Forza Italia (FI) von Ex-Premier Silvio Berlusconi, sondern auch sein wichtigster Koalitionspartner, die rechte Zentrumspartei (NCD) Angelino Alfanos (eine Abspaltung von Berlusconis Partei), hatte Ablehnung angekündigt. Damit wäre, wie "La Repubblica" schrieb, die Regierungskoalition "geplatzt". Renzi drohte mit seinem Rücktritt, wenn das Gesetz nicht angenommen werde und stellte die Vertrauensfrage. Alfano lenkte ein und Renzi erreichte mit 166:133 Zustimmung. Dagegen votierten neben der FI die Lega Nord, die Protestbewegung M5S und die Linkspartei SEL. Nun muss das Gesetz noch die Abgeordnetenkammer passieren, in der Renzis Demokratische Partei (PD) jedoch über eine ausreichende Mehrheit verfügt. Die Aufgaben der Provinzen werden künftig von den Regionen (Ländern) und den Städten und Gemeinden übernommen. Ursprünglich war von jährlichen Einsparungen von 3 bis 5 Mrd. Euro die Rede, jetzt soll es zusammen mit wegfallenden Kosten für den Senat nur eine Mrd. Euro sein. Für Renzi, einen früheren Christdemokraten und ausgesprochenen Rechtspolitiker, kommt ein günstiger Nebeneffekt hinzu: Mit der Auflösung der Provinzen fallen mit einem Schlag die beträchtlichen noch von den Ex-Kommunisten der SEL in deren Parlamenten und Regierungen gehaltenen Positionen weg. Der Mailänder "Corriere della Sera" konstatierte zutreffend, der Premier habe mit den Verwaltungsreformen seine "Position gestärkt".


"Italicum" soll Linke vom Parlament ausschließen

Als nächstes will der Premier das "Italicum", das neue Wahlgesetz durchbringen. Der einst von Berlusconi eingeführte Bonus, der der Siegerpartei bei auch nur einer Stimme Mehrheit 340 der insgesamt 630 Sitze im Parlament zusprach, soll nur geringfügig geändert werden. Die Siegerpartei muss jetzt 37 Prozent der Stimmen erreichen und erhält dann einen 18 Prozent-Bonus aber nicht mehr als 340 Sitze (55 Prozent). Erzielt keine Partei diesen Prozentsatz, ist ein zweiter Wahlgang vorgesehen. Für Parteien in einer Koalition soll die Sperrklausel von bisher vier auf fünf Prozent angehoben; für einzelne Parteien eine Hürde von acht Prozent und für Wahlbündnisse von zwölf Prozent eingeführt werden. Das würde es vor allem der SEL nahezu unmöglich machen, ihre Präsenz im Parlament zu wahren, den Kommunisten, die seit 2008 nicht mehr über die vier Prozent kamen, ohnehin.

Für das "Italicum" hatte Renzi im Alleingang die Zustimmung Berlusconis eingeholt und diesem so ein politisches Comeback verschafft. Danach gab es scharfe Kritik und zahlreiche Abänderungsvorschläge. Der Ex-Premier drohte eine Kehrtwende an. Seine FI werde bei Änderungen dagegen stimmen. Es ist auch ein Racheakt gegen sein von der Staatsanwaltschaft nach der Verurteilung wegen Steuerbetrugs zu vier Jahren Haft durchgesetztes Verbot, öffentliche Ämter auszuüben, das ihm die Teilnahme an den EU-Wahlen am 25. Mai untersagt. Nach dem Ausschluss aus dem Senat war eine weitere Abfuhr, dass ihm der Bund der "Cavaliere dell Lavoro" (Ritter der Arbeit) diesen ihm einst als erfolgreichen Medienunternehmer verliehenen Titel samt Orden auch noch aberkannte. Demnächst muss Berlusconi auch seine Reststrafe von noch einem Jahr Haft antreten, entweder in Hausarrest oder Sozialdienst. Während in der FI, wie die "Unita" schrieb, sich die Stimmen mehren, Berlusconi solle mit der "alten Garde" abtreten, besagt eine von RAI3 veröffentlichte Umfrage, dass 53 Prozent meinen, ohne ihn werde die FI auseinander fallen. Derselben Umfrage zufolge wird auch die anarchistische Protestbewegung 5 Sterne (M5S) des früheren Komikers Beppe Grillo, die oft mit der FI Berlusconis gleiche Positionen bezieht, zunehmend rechts ausgerichtet gesehen.

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Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2014