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ITALIEN/029: Berlusconi aus Senat ausgeschlossen (Gerhard Feldbauer)


Berlusconi aus Senat ausgeschlossen

Ex-Premier läuft Sturm und droht mit "Umsturz" und "Spannungsstrategie"

von Gerhard Feldbauer, 29. November 2013



Wie erwartet hat der Senat, die zweite Kammer des italienischen Parlaments, am Mittwoch den im sogenannten Mediaset-Prozess wegen Steuerbetrug in Millionenhöhe rechtskräftig zu vier Jahren Haft verurteilten langjährigen Ex-Premier Silvio Berlusconi aus dem Senat ausgeschlossen. Mit dem Verlust seines wichtigsten politischen Amtes verliert er auch ab sofort die parlamentarische Immunität. Für den Ausschluss stimmte eine Mehrheit der Senatoren der Demokratischen Partei (PD), der Fünf Sterne-Bewegung (M5S), der Linkspartei (SEL) und der Bürgerliste des Übergangspremiers Mario Monti. Der verurteilte Straftäter nahm selbst nicht an der Sitzung teil. Nach Bekanntwerden der Senatsentscheidung kam es vor dem Palazzo Grazioli, dem Wohnsitz Berlusconis in Rom, zu tumultartigen Protesten von, wie die Nachrichtenagentur ANSA meldete, etwa 5.000 Anhängern seiner Partei Forza Italia (FI), die in 300 Pullmans aus ganz Italien herangekarrt wurden.


Richter und Staatsanwälte mit Roten Brigaden gleichgesetzt

Der Ex-Premier rief seine fanatisch grölenden Fans zum Widerstand gegen seine "unschuldige Verurteilung" auf, die er einen "politischen Mord" nannte. Über dem Balkon prangte dazu ein riesiges Transparent "Das ist ein Staatsstreich". In einer hemmungslosen Demagogie verglich Berlusconi sich mit dem 1978 einem von der CIA inszenierten Mordanschlag zum Opfer gefallenen christdemokratischen Parteiführer Aldo Moro, zu dem die Roten Brigaden manipuliert wurden. Richter und Staatsanwälte, die "den Staat beherrschten", diffamierte er als Vertreter "der Ideen der extremistischen Roten Brigaden". Seine Anhänger schwenkten Transparente, mit dem bekannten Bild mit dem fünfzackigen Stern der Brigate Rosse, auf dem über der Unterschrift "Prigioniero politico" (Politischer Gefangener) statt des damals gezeigten Fotos von Moro, dass von Berlusconi prangte. Eine nicht zu überbietende Perfidität wurde diese abgrundtiefe Heuchelei in Rom kommentiert. Berlusconi kündigte an: Er bleibe politischer Führer der Rechten und das sei "erst der Anfang". Einen angekündigten Fernsehauftritt sagte er ab. Zur Unterstreichung ihrer "nationalen Führerschaft" führt die FI nach den italienischen Nationalfarben ab sofort den synonymen Namen Partito azzurro (Himmelblaue Partei). Dass Berlusconis Drohungen ernst genommen werden, zeigten starke Polizeiaufgebote vor Berlusconis Palazzo als auch am Sitz des Senats, der Abgeordnetenkammer, des Staatspräsidenten und weiterer staatlicher Gebäude und über Rom kreisende Helicopter.


Zwei Jahre Ämterverbot

Mehrere Einsprüche Berlusconis gegen das Ausschlussverfahren hatte der Senat in der Vergangenheit bereits abgelehnt. Auch ein nochmaliger Antrag der Berlusconi-Anwälte vor Beginn der Sitzung am Mittwoch, die Entscheidung zu verschieben, wurde zurückgewiesen. Mit dem Ausschluss folgte der Senat dem sogenannten Antikorruptionsgesetz vom Dezember 2012, nach dem zu mehr als zwei Jahren Haft verurteilte Straftäter nicht Mitglied des Parlaments sein dürfen. Außerdem wird ihnen bis zu sechs Jahre untersagt, öffentliche Ämter zu bekleiden. Dem Gesetz hatte auch Berlusconis Partei zugestimmt. Das Ämterverbot hat ein Mailänder Berufungsgericht bereits auf zwei Jahre festgelegt. Das bedeutet, dass Berlusconi bei von ihm angestrebten Neuwahlen nicht selbst kandidieren darf. Seine Tochter Marina, Chefin seines Medienkonzerns (Mediaset), die für ihn antreten sollte, hat abgelehnt. Einen ihm selbst aus seiner Partei nahegelegten freiwilligen Verzicht auf seinen Senatssitz hatte der Ex-Premier nochmals zurückgewiesen.


Rechte in extreme FI und "moderate" NCD gespalten

Ergebnis der bisherigen Auseinandersetzung über das politische Schicksal Berlusconis ist, dass sich dessen Partei gespalten hat. Um als Leitfigur zu überleben, taufte der Medientycoon die von ihm 1994 gegründete Forza Italia, die er selbst 2007 in Partei des Volks der Freiheit (PdL) umbenannt hatte, auf den alten Namen zurück. Angelino Alfano, bis dahin von Berlusconi ernannter PdL-Chef und Vizepremier in der von der PD geführten Regierung Enrico Letta und seine Gefolgschaft lehnten das als "zu extremistisch" ab. Nachdem Berlusconi Alfano abgesetzt und dessen Anhängern als "Verrätern" den Ausschluss angekündigt hatte, gründeten diese eine neue Rechtspartei Nuovo Centro Destra (NCD), die einen "moderaten" Kurs verkündete. Auf einem Kongress am 7. Dezember soll die NCD offiziell gegründet werden. Die NCD nahm an den Protesten der FI nicht teil. Alfano nannte sie eine "Sabotage, die ein Irrtum" sei.


"Duce"-Enkelin an der Seite Berlusconis

Bereits vor der Senatssitzung startete der Mediendiktator eine hemmungslose Hetze gegen seinen als sicher erwarteten Senatsausschluss, den er einen von Staatspräsident Giorgio Napolitano eingefädelten "Staatsstreich" nannte, der "nicht hingenommen" werde. Gleichzeitig forderte er den Staatschef erneut ultimativ auf, ihn zu begnadigen. In nicht zu überbietender Arroganz hieß es, dazu werden er keinen Antrag stellen, das habe dieser "so zu gewähren". Der rechtskräftig verurteilte Straftäter bezeichnete sich als "völlig unschuldig" und nannte das Urteil wegen Steuerbetrug in Millionenhöhe einen "politischen Mord" an ihm. Die Institutionen der Republik befänden sich alle "in den Händen der Linken, die einen "Angriff auf die Freiheit" vollführten. Der faschistoide Ex-Premier, der während seiner Amtszeit bereits terroristische Methoden praktizierte, drohte ähnlichen Widerstand an, zu dem er die Anhänger seiner rechtsextremen FI aufrief, auf die Straße zu gehen. Die "Duce"-Enkelin Alessandra Mussolini, die zu den übelsten Faschistenführern gehört, ist der FI beigetreten und sicherte Berlusconi volle Unterstützung zu.


PD-Regierung mit solider Mehrheit

Ebenfalls vor der Senatssitzung hatte Berlusconi die parlamentarische Unterstützung für die Regierung Letta (PD) für beendet erklärt. Da die von Vizepremier Alfano geführte NCD Letta weiter unterstützt, verfügt dieser über die erforderliche Mehrheit im Parlament. Auch alle zur NCD übergetretenen fünf Minister sind in der Regierung verblieben. Bei einer Abstimmung über das sogenannte "Stabilitätsprogramm" der Regierung hatte Letta am Dienstag im Senat mit 171 Für- und 135 Gegenstimmen aus FI und der Protestbewegung fünf Sterne (M5S) eine solide Mehrheit erhalten. Die noch im Kabinett verbliebenen Staatssekretäre der FI hat Letta aufgefordert, zurückzutreten.


Scharfe Abfuhr in Medien: Vergleich mit Chiles Pinochet und Spaniens "Gaudillo"

In den Medien stößt das Vorgehen Berlusconis von der linken "Unita" über die linksliberale "Repubblica" bist zum großbürgerlichen "Corriere della Sera" und der FIAT-Zeitung "La Stampa" auf Ablehnung. Die "Unita" nannte die Reaktionen Berlusconis "eine Orgie umstürzlerischer Äußerungen". Der Ex-Premier versuche "einen Staatsstreich gegen Recht und Gesetz der parlamentarischen Demokratie", fuhr das Blatt fort, das den Mediendiktator mit Chiles Pinochet und Spaniens "Gaudillo" verglich. "La Repubblica" zitierte den parteilosen Abgeordneten, aber Vorsitzenden des Justizforums der PD, Danilo Leva, der das Treiben Berlusconis als eine "Gefahr für die Institutionen der Republik" bezeichnete. Das der PD nahestehende Blatt schrieb, der gestürzte Ex-Premier drohe dem Staat mit "einer Strategie der "Spannungen".


Drohung mit faschistischer Spannungsstrategie

So wurde der von den Faschisten in den 1970er Jahren inszenierte Terror von Tausenden Anschlägen, mit Hunderten Toten, um Kommunisten und Linke von der Regierung auszuschließen, charakterisiert. Führungszentrale dieser Spannungsstrategie war die faschistische Putschloge P2, in der Berlusconi dem Dreierdirektorium angehörte. Nach eigenen Bekenntnissen hat Berlusconi als Regierungschef dieses Ziel weiter verfolgt. Heute wolle er mit einer "Eskalation der Gewalt das Land in Flammen aufgehen lassen", warnte die "Unita". Staatspräsident Napolitano nannte dessen Ausfälle "in Ton und Inhalt skandalös" und lehnte eine Begnadigung ausdrücklich ab. Der Rechtsgelehrte Prof. Luigi Ferrajoli hatte bereits früher Berlusconis "Allmachtstreben", sich über Recht und Gesetz zu stellen, mit Mussolinis faschistischer Demagogie verglichen und als "tödlich für die Demokratie" bezeichnet.


Entscheidung über Koalition mit NCD auf PD-Parteitag erwartet

Berlusconi geht es ums politische Überleben. Dazu wollen seine Anwälte eine Wiederaufnahme des Mediaset-Verfahren betreiben. Erfolg dürfte das nicht haben, denn demnächst wird in zweiter Instanz über ein gegen ihn im sogenannten Ruby-Prozess (Sex mit einer minderjährigen Prostituierten und Amtsmissbrauch) im Juni verhängtes Urteil von sieben Jahren Haft verhandelt. Weitere Verfahren und unausweichliche Urteile stehen ins Haus. Die Abgeordnete und Vorsitzende der Anti-Mafia-Kommission, Rosy Bindi, warnte jedoch, es werde viel Zeit brauchen, das schreckliche Erbe der mehr als 20 Jahre Berlusconis zu überwinden. Ein Ende werde es erst dann geben, wenn seine Gefolgschaft in Parlamentswahlen von der Centro Sinistra (Linken Mitte) geschlagen wird. Ob die Koalition mit der neuen Rechten NCD fortgesetzt oder Neuwahlen angesteuert werden, dürfte das Hauptthema des für den 8. Dezember einberufenen Parteitages der PD sein.


Napolitano weist Forderung der FI nach Rücktritt des Premiers zurück

"La Repubblica" berichtete am Freitag, dass Präsident Napolitano noch am Donnerstag eine Abordnung der FI zu einer von ihr erbetenen Zusammenkunft empfing. Die Delegation behauptete, mit dem Übergang ihrer Partei sei eine Regierungskrise eröffnet und forderte den Rücktritt Premier Lettas. Napolitano wies die Forderung zurück und verwies darauf, dass die Regierung mit der NCD über eine stabile Mehrheit verfüge. Am Freitag will der Staatschef den Premier zur weiteren Beratung über die Arbeit der Regierung empfangen.

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Quelle:
© 2013 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. November 2013