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ITALIEN/024: Chaos in Berlusconis Partei (Gerhard Feldbauer)


Chaos in Berlusconis Partei

"Moderate" wollen Mitte Rechts-Partei nach Vorbild der EVP

von Gerhard Feldbauer, 4. Oktober 2013



Am vergangenen Mittwoch ist der Versuch von Ex-Premier Berlusconi, die von Enrico Letta von der Demokratischen Partei (PD) geführte Regierung, deren Hauptpartner seine Partei Volk der Freiheit (PdL) ist, zu stürzen, am Widerstand in den eigenen Reihen gescheitert. Der dreimalige Regierungschef hatte in seiner bekannten diktatorischen Weise am Wochenende den Rücktritt der fünf PdL-Minister aus der Regierung bekannt gegeben und seine Parlamentarier aufgefordert, Senat und Abgeordnetenkammer zu verlassen. Mit diesem Paukenschlag wollte der Medientycoon die vor fünf Monaten von ihm selbst mit eingesetzte Regierung stürzen und Neuwahlen erzwingen. Den Hintergrund des lautstark in den drei Fernsehsendern des Medienmonopolisten und Milliardärs propagierten Manövers bildete seine rechtskräftige Verurteilung wegen Steuerbetrugs in Millionenhöhe und Richterbestechung zu vier Jahren Haft und dem Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter. Damit droht ihm auf einer Plenarsitzung des Senats am heutigen Freitag der Ausschluss aus der zweiten Kammer des Parlaments.

Mit dem Manöver ging es Berlusconi darum, Druck auf den Senat auszuüben, um seinen Ausschluss zu verhindern. Angelo Alfano, Vizepremier und PdL-Chef, kündigte nun am Mittwoch vor der Abstimmung im Senat öffentlich an, mit weiteren Senatoren der PdL für Letta zu stimmen. Dazu standen 25 bereit, was diesem eine Mehrheit gesichert hätte. Angesichts der drohenden Niederlage vollführte Berlusconi eine Kehrtwende um 180 Grad und rief nunmehr zur Stimmabgabe für Letta auf. Danach erhielt der Sozialdemokrat im Senat und in der Abgeordnetenkammer eine komfortable Mehrheit.

Woran ist der dreimalige Ministerpräsident, der bisher gewohnt war, seinem Willen in der PdL durchzusetzen, jetzt gescheitert. Beleuchten wir die Ereignisse etwas tiefer. Letta, der bisher den Erpressungsversuchen Berlusconis eher zögerlich entgegentrat, reagierte diesmal in ungewöhnlich scharfer Form, was in Rom darauf zurückgeführt wird, dass ihm von einflussreichen Wirtschaftskreisen der Rücken gestärkt und ihm auch aus der PdL bereits Unterstützung zugesichert wurde. Er wartete keinen Misstrauensantrag ab, sondern kündigte selbst an, im Parlament die Vertrauensfrage zu stellen, um, wie er betonte, die Verantwortung Berlusconis und der PdL für den Sturz seiner Regierung öffentlich zu machen. Der Fortbestand der Koalition der Sozialdemokraten mit der mehrheitlich rechtsextremen PdL wird nun als "Sieg Italiens" gefeiert. In Brüssel reagierte man mit Erleichterung. EU-Kommissionspräsident Barroso begrüßte das Abstimmungsergebnis als "sehr positiv". Die Mailänder Börse reagierte mit einem Anstieg von 1,45 Punkten.

Berlusconi steht vor einem Scherbenhaufen seiner Politik. Beim Verlassen des Palazzo Madama (Senatssitz) wurde er von einer großen Menschenmenge mit "Hau ab", "Possenreißer" und anderen Buhrufen empfangen. In der PdL herrscht, wie "La Repubblica" schrieb, "Chaos". Die schon längere Zeit um den diktatorischen Führungsstil des Leaders in der Partei schwelenden Auseinandersetzungen sind nun offen ausgebrochen. Viele in der Partei wünschten sich "einen gemäßigten Kurs der Mitte" schrieb die Turiner "Stampa", eine Zeitung der Agnelli-Erben und Fiat-Besitzer. Faktisch, so das großbürgerliche Blatt, stehe die "PdL vor der Implosion" und das "Ende einer Ära" scheine eingeläutet.

Alfano traf am gestrigen 3. Oktober mit Ministern und Parlamentariern der PdL zur Beratung über das weitere Vorgehen zusammen. Berlusconi war nicht anwesend. Eine anschließend einberufene Pressekonferenz fiel aus, da sich Alfano wegen des schweren Bootsunglücks mit Flüchtlingen aus Afrika nach Lampedusa begab. Wie jedoch bekannt wurde, lehnten die Dissidenten eine von Berlusconi verfolgte Neukonstituierung der PdL unter ihrem Gründernamen Forza Italia von 1994 als extremistisch ab und wollen ihr stattdessen mit einer Umwandlung nach dem Modell der EVP in eine neue Centro Destra (Rechte Mitte), wie sie bis in die 1990er Jahre in Gestalt der Democrazia Cristiana in Italien bestand, ein "moderates" Outfit verschaffen. Die Abweichler wollen damit das der PdL anhaftende Odium des Faschismus, das Berlusconi mit seiner Bewunderung für Hitler und Mussolini sowie seinem faschistoiden Führerstil verbreitet, loswerden. Dazu sehen sie im Verbleib in der Regierung mit den Sozialdemokraten die beste Möglichkeit. Während der zu Berlusconi stehende Fraktionschef im Senat, Fabrizio Schifani den Abtrünnigen mit dem Ausschluss drohte, appellierte die Alfano-Gruppe an alle in der Partei, an dem Neugestaltungsprozess teilzunehmen. Berlusconi lenkte danach ein und erklärte, er werde die Führung der PdL Alfano überlassen.

Ratschläge aus seiner Partei, sich mit dem Gerichtsurteil abzufinden und dem Ausschluss aus dem Senat mit einem eignen Rücktritt zuvorzukommen, was eine Begnadigung durch Staatspräsident Napolitano zur Folge haben könnte, lehnte der Ex-Premier weiter kategorisch ab. Die "Unita" warnte denn auch, nicht davon auszugehen, dass der Mediendiktator aufgegeben habe. Eine für den 4. Oktober einberufene Sitzung des Senats sollte über Berlusconis Ausschluss aus der zweiten Kammer des Parlaments entscheiden. Der Ausgang war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch offen.

Auf der Linken, von Rifondazione Comunista (PRC) und der Partei der Kommunisten (PdCI) über die Linkspartei Umwelt und Freiheit (SEL) bis zur Protestbewegung Fünf Sterne (M5S) hätte man es besser gefunden, das unheilvolle Bündnis mit der PdL zu beenden und zu versuchen, eine neue Mitte-Links-Regierung zu bilden. Andernfalls wären Neuwahlen angebracht gewesen, bei denen der Rechten eine Niederlage vorausgesagt wurde. Meinungsumfragen sagten der PdL, die noch im April 2013 ein Drittel der Wählerstimmen erhielt, ein Absinken auf ein Viertel oder auch weniger voraus. Das war letztlich für "Moderate" als auch Hardliner in der PdL ausschlaggebend, der Auseinandersetzung derzeit aus dem Wege zu gehen und in der Regierung zu verbleiben.

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Quelle:
© 2013 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Oktober 2013