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FRAGEN/016: Das umstrittene Freihandelsabkommen mit Kolumbien auf dem Prüfstand (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2015
Ökosystem Boden
Die dünne Haut der Erde

"Der gesellschaftliche Dialog funktioniert nicht"
Das umstrittene Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kolumbien auf dem Prüfstand

Interview von Lars Paprotta mit Ligia Ines Alzate und Enrique Daza


Zum 01.08.2013 trat das viel diskutierte Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kolumbien vorläufig in Kraft, nachdem bereits zwei Jahre zuvor ein ähnliches Abkommen zwischen den USA und Kolumbien zustande kam. Die kolumbianische Regierung versprach der Bevölkerung Arbeitsplätze und Wachstum und verpflichtete sich im Rahmen eines Aktionsplans für Arbeitnehmerrechte sowie einer "Roadmap" zur Einhaltung und Stärkung von Menschen-, Arbeits- und Umweltrechten. Anlässlich ihres Besuchs beim Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e.V. (FDCL) in Berlin sprach Lars Paprotta mit Ligia Ines Alzate und Enrique Daza, zwei starken Stimmen der kolumbianischen Zivilgesellschaft, über die Untätigkeit der kolumbianischen Regierung in Bezug auf die eingegangenen Verpflichtungen sowie die ökonomischen Auswirkungen des Freihandels.


Zweieinhalb Jahre sind vergangen, seit das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kolumbien vorläufig in Kraft trat. Spielt dieses Abkommen in der politischen Debatte Kolumbiens heute überhaupt noch eine Rolle?

Enrique Daza: Ja, in den letzten Monaten wurde es wieder verstärkt thematisiert, da die Diskrepanz zwischen den Versprechungen, die von der Regierung gemacht wurden und der Realität heute einfach zu groß ist. Vor allem die Exporte sollten steigen, dank über 300 Millionen neuer potentieller Konsumenten. Aber die neuesten Daten vom Dezember 2014 zeigen: Unser Handelsbilanzüberschuss mit der EU ist um 20 % eingebrochen, und unsere Handelsbilanz mit den Vereinigten Staaten ist bereits defizitär.

Können Sie diese Entwicklung erklären?

Enrique Daza: Der kolumbianische Exportsektor ist sehr stark abhängig von der weltweiten Nachfrage nach energetisch nutzbaren Rohstoffen, da spielt es zunächst einmal keine Rolle, ob und mit wem wir ein Freihandelsabkommen abgeschlossen haben. Da die Preise für diese Rohstoffe in den letzten Jahren stark gefallen sind, verlieren unsere Exporte an Wert. Im gleichen Zeitraum haben jedoch auch die Importe stark zugenommen, vor allem von Produkten, die wir besser in Kolumbien vor Ort produzieren könnten. Für diese Entwicklung sind die Freihandelsabkommen sehr wohl verantwortlich.

Inwiefern?

Enrique Daza: Bei diesen Produkten handelt es sich - neben Halbfertigwaren - vor allem um landwirtschaftliche Erzeugnisse. Das Problem ist, dass diese Produkte in Europa sowie in den USA stark subventioniert werden, deshalb kommen sie sehr günstig und zu vorteilhaften Konditionen auf den kolumbianischen Markt. Wir reden hier über alle möglichen landwirtschaftlichen Produkte: Molkereiprodukte, Hühnchen, Getreide, Saatgut, um nur einige Wichtige zu nennen. Da es in Kolumbien keine Agrarsubventionen gibt, können wir vom Preis her mit den europäischen und amerikanischen Produkten kaum konkurrieren. Darüber hinaus sind diese auch qualitativ hochwertiger, da es in Kolumbien keine Qualitätskontrolle für Lebensmittel gibt, sodass sich die Leute bei preislich gleichwertigen Produkten letztendlich für das qualitativ bessere entscheiden. Diese Entwicklung ist ein harter Schlag für unsere bäuerliche Landwirtschaft.

Unzureichende Einhaltung von Menschen- und Arbeitnehmerrechten

Wie steht es um die Einhaltung der menschen- und arbeitsrechtlichen Ziele der Roadmap, welche damals in einer Resolution vom Europäischen Parlament gefordert wurde?

Ligia Ines Alzate: Auch hierbei ist die Missachtung der Regierung gegenüber den eingegangenen Verpflichtungen nicht zu übersehen, vor allem beim Thema Arbeitsrechte: Versprochen wurde eine Formalisierung der Arbeitsverhältnisse, stattdessen werden aber weiterhin Kollektivverträge angewandt und es gibt einen starken Trend zu mehr Zeitarbeit. Außerdem sind die offiziellen Arbeitslosenzahlen zuletzt stark gestiegen, was darauf hinweist, dass die Informalisierung von Arbeit weitergeht.

Hat die Stärkung der Arbeitsaufsicht - ein zentraler Baustein der Roadmap - stattgefunden?

Ligia Ines Alzate: Offiziell ja. Es gibt jetzt zwar mehr Inspekteure als früher, jedoch sind es immer noch viel zu wenige, um der Aufgabe ernsthaft gerecht zu werden. Problematisch ist auch, dass die Inspekteure vom Staat nur prekär bezahlt werden und auch sonst nicht über die nötige Professionalität beim Umgang mit der strukturellen Missachtung von Arbeitsrechten verfügen. Da die Ergebnisse und Analysen ihrer Inspektionen den Gewerkschaften nicht mitgeteilt werden, sind für uns keine Verbesserungen zu erkennen. In Kolumbien gibt es nach wie vor keine funktionierende Arbeitsaufsicht! Und dann wäre da noch die Gewalt gegen Gewerkschaftsaktivisten...

... ein vor allem im US-kolumbianischen Aktionsplan für Arbeitnehmerrechte thematisiertes Problem. Welche Entwicklung gibt es auf diesem Gebiet?

Ligia Ines Alzate: Es hat sich schon ein wenig verbessert. Die Gewalt ist zurückgegangen, verschwunden ist sie allerdings nicht! Genau das wollen wir aber: Dass nicht ein Gewerkschafter und nicht eine Gewerkschafterin aufgrund seines/ihres Engagements mehr bedroht, verfolgt, gefoltert oder getötet wird. Der Staat muss seiner Schutzpflicht endlich nachkommen! Wir wollen, dass es in Kolumbien starke Gewerkschaften gibt, die ohne Einschüchterung und Repression öffentliche Aktionen und Kampagnen durchführen können und die von der Regierung als Gesprächspartner auf Augenhöhe angesehen werden, was heute absolut nicht der Fall ist. Der gesellschaftliche Dialog funktioniert nicht, weil uns die Regierung, selbst wenn wir mit ihr am Verhandlungstisch sitzen, nicht zuhört. Aber normalerweise finden die Verhandlungen und Konsultationen zum Thema Arbeitsrechte nur zwischen dem zuständigen Ministerium und den Arbeitgebern statt, sodass die Interessen der Arbeiter dort keine Stimme haben.

Eine kritische öffentliche Debatte nötig

Eine negative ökonomische Bilanz, kaum Fortschritte auf arbeits- und menschenrechtlicher Ebene: Ist ein Umschwung der öffentlichen Meinung gegenüber Freihandelsabkommen erkennbar?

Enrique Daza: Das kolumbianische Volk war schon immer sehr skeptisch gegenüber Freihandelsabkommen, da diese an der Bevölkerung vorbei ausgehandelt wurden. Das Problem ist, dass viele Menschen keinen ausreichenden Zugang zu Bildung und Informationen haben, sodass sie den Angriff auf unsere Demokratie, der sich hinter diesen Abkommen verbirgt, nicht verstehen.

Ich hoffe, dass sich die Entwicklung in den nächsten Jahren fortsetzen wird, dass es ein wachsendes Bewusstsein für die Notwendigkeit gibt, unser kulturelles Erbe, unsere Landwirtschaft sowie unsere Arbeitsplätze zu schützen. Der kapitalistische Einfluss der USA und Europas wird immer stärker: Im Bildungsapparat, im Kultursektor, im Fernsehen, im Gesundheitswesen, in allen Bereichen. Um diesen Einfluss zurückzudrängen, muss sich das Volk den mit den Freihandelsabkommen verlorenen politischen Handlungsspielraum zurückholen.

Wie planen eure Organisationen zukünftig den Druck auf die Regierung und auf die Freihandelslogik aufrechtzuerhalten?

Ligia Ines Alzate: Die aktuelle Situation verschafft uns den Vorteil, dass wir öffentlichkeitswirksam darauf aufmerksam machen können, dass die Regierung ihre Versprechen nicht einlöst. Dies werden wir weiterhin tun und dazu jede einzelne versprochene und nicht eingehaltene Ankündigung der Roadmap nutzen. Darüber hinaus werden wir verstärkt versuchen, durch Zusammenarbeit mit freihandelsskeptischen Kongressabgeordneten eine öffentliche Debatte über die Auswirkungen des Freihandels in ganz Kolumbien anzuregen. Wir werden weiterhin in Aktionen und Kampagnen die herrschende Ungleichheit und Ungerechtigkeit anprangern und uns für ein besseres und gerechteres Kolumbien einsetzen, welches die Menschen- und Arbeitsrechte achtet und den Umweltschutz ernst nimmt. Die Verhandlungen zu möglichen zukünftigen Freihandelsabkommen werden wir mit lautem Protest begleiten, damit die Regierung versteht, dass wir mit dieser Politik nicht einverstanden sind!


Ligia Ines Alzate ist Mitglied des Exekutivkomitees des kolumbianischen Gewerkschaftsverbands CUT.

Enrique Daza ist Sprecher beim Kolumbianischen Aktionsnetzwerk gegen den Freihandel RECALCA.

Lars Paprotta studiert Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) in Berlin und absolviert seit Dezember 2014 ein Praktikum beim Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e.V. (FDCL) zum Schwerpunkt Handel.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2015, S. 21-22
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2015

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