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STANDPUNKT/031: Auf- und absteigende Mächte (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 6. Februar 2017
(german-foreign-policy.com)

Auf- und absteigende Mächte


BERLIN/WASHINGTON - Eskalierender Streit um den möglichen künftigen Botschafter Washingtons bei der EU hat den Antrittsbesuch von Außenminister Sigmar Gabriel vergangene Woche in Washington begleitet. Ted Malloch, der Anwärter auf den Posten in Brüssel, schließt den Kollaps des Euro in den kommenden 18 Monaten nicht aus; er hält darüber hinaus einen Rückbau oder gar das Zusammenbrechen der EU für denkbar. Zudem hat er angekündigt, Washington werde verstärkt nicht mehr mit Brüssel, sondern mit den EU-Staaten einzeln verhandeln; das könnte die bestehenden Risse in der EU vertiefen. Berlin setzt daher alles daran, Mallochs Ernennung zu verhindern. Mehrere Fraktionsvorsitzende aus dem Europaparlament fordern, seine Akkreditierung zu verweigern - ein bislang kaum vorstellbarer Affront. Zugleich sucht Berlin sich im eskalierenden transatlantischen Machtkampf als ebenbürtiges Korrektiv zu Washington unter Trump in Stellung zu bringen; Außenminister Gabriel hat sich letzte Woche in einem beispiellosen Auftritt in Washington als Lehrmeister in Sachen Demokratie und Menschenrechte inszeniert. Manche im deutschen Establishment rechnen mit einem globalen Aufstieg der EU und dem parallelen Abstieg der USA.

Günstig für Deutschland

Mit dem Streit um die mögliche Ernennung des Ökonomen Ted Malloch zum US-Botschafter bei der EU geht der beginnende transatlantische Machtkampf in die nächste Runde. Malloch vertritt überaus kritische Positionen gegenüber der EU. Er hat unlängst an Äußerungen von US-Präsident Donald Trump und von dessen Handelsberater Peter Navarro angeknüpft, die sich gleichfalls ungewohnt kritisch über Deutschland und die EU geäußert hatten. Trump hatte in einem Interview geurteilt: "Im Grunde genommen ist die Europäische Union ein Mittel zum Zweck für Deutschland."[1] Navarro hatte konstatiert, der Euro sei seit geraumer Zeit "krass unterbewertet"; dies helfe der Bundesrepublik, andere Länder mit Exportoffensiven "auszubeuten".[2] Malloch hat nun erklärt, ihm "scheine" es, "dass Trump glaubt", die EU sei in den vergangenen Jahrzehnten in eine starke, Deutschland erheblich begünstigende Schieflage geraten. Er, Malloch, sei zudem der Auffassung, dass der Euro vor dem Ende stehe und bereits "in den nächsten ein, eineinhalb Jahren zusammenbrechen" könne.[3] Er halte es für aussichtsreich, gegen den Euro zu wetten.

Richtungweisende Veränderungen

Darüber hinaus hat Malloch einen scharfen Kurswechsel Washingtons gegenüber der EU in Aussicht gestellt. "Es deuten sich richtungweisende Veränderungen im Verhältnis der Vereinigten Staaten zu Europa an", teilt er mit: "Aus Sicht der Vereinigten Staaten ist es oft besser, mit den einzelnen Staaten der EU bilateral zusammenzuarbeiten." Das sei vorteilhaft für die USA.[4] Er selbst habe "auf einem früheren diplomatischen Posten ... geholfen, die Sowjetunion zu stürzen", berichtet Malloch: "Vielleicht gibt es eine weitere Union, die ein wenig gezähmt werden muss." Selbst der Kollaps der EU sei nicht auszuschließen: "Die Mitgliedstaaten werden demokratisch entscheiden, ob die EU ein eher wirtschaftliches oder politisches Gebilde wird, oder ob sie zusammenbricht."[5] Die ersten derartigen Entscheidungen seien bereits in den kommenden Monaten zu erwarten - bei den Wahlen in den Niederlanden, in Frankreich und in Deutschland. In allen drei Ländern werden bislang beispiellose Wahlerfolge für Parteien der äußersten Rechten vorhergesagt.[6]

"Ungeheuerlich böswillig"

Berlin setzt alles daran, Mallochs Ernennung zum Botschafter bei der EU zu verhindern. Öffentlich haben sich bislang vor allem teils führende Abgeordnete im Europäischen Parlament gegen ihn positioniert. "Wir brauchen in Brüssel keinen Quertreiber, der vom Ende des Euro träumt und die EU wie die frühere Sowjetunion zähmen und niederringen will", erklärt der SPD-Europaabgeordnete Jo Leinen.[7] Gianni Pitella, Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament, hat sich ebenfalls offen gegen Malloch ausgesprochen. Auch die Vorsitzenden der konservativen und der liberalen Parlamentsfraktion, Manfred Weber (CSU) und Guy Verhofstadt, verlangen Mallochs Rückzug. Seine "Äußerungen zeigen eine ungeheuerliche Böswilligkeit gegenüber den Werten, die die EU ausmachen", heißt es in einem Schreiben, das sie an EU-Ratspräsident Donald Tusk gesandt haben: "Wenn ein offizieller Vertreter der USA so etwas sagen würde, könnte das die transatlantischen Beziehungen ernsthaft beschädigen, die seit 70 Jahren einen essentiellen Beitrag zu Frieden, Stabilität und Wohlstand auf unserem Kontinent geleistet haben".[8] Notfalls müsse Brüssel Mallochs Akkreditierung verweigern. Eine Drohung mit einem solchen Schritt hat es gegenüber Washington noch nie gegeben.

Lehrmeister Deutschland

Während die Auseinandersetzung um Malloch weitertobt, hat Bundesaußenminister Sigmar Gabriel in der vergangenen Woche auf seiner Reise in die Vereinigten Staaten die Bestrebungen Berlins weitergeführt, sich als ebenbürtiges Korrektiv zu Washington unter Trump zu inszenieren. Gabriel hat in Washington mehrfach versucht, sich symbolisch als außenpolitischer Vertreter einer zu neuem Machtbewusstsein erwachten EU zu positionieren. Seinem Amtskollegen Rex Tillerson habe er erklärt: "Wir sind die New Kids on the block", wird berichtet; dem "America first" des neuen US-Präsidenten habe er "in Washington ein selbstbewusstes 'strong Europe' entgegen[gesetzt]".[9] Weithin Beachtung gefunden hat Gabriels Auftritt in der US-Kongressbibliothek, wo er aus einer deutschen Übersetzung der US-Declaration of Independence berühmte Passagen über Freiheit und Menschenrechte vorlas - "eine ungewöhnliche Lehrstunde" für die US-Regierung, heißt es in der deutschen Presse.[10] Der öffentliche Auftritt eines deutschen Politikers im Washingtoner Machtzentrum als Lehrmeister in Sachen Demokratie und Menschenrechte wäre bislang undenkbar gewesen.

Verteidigerin des liberalen Westens

Im selben Sinne agiert seit Trumps Wahl vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie "lässt nichts unerwidert, was derzeit aus der neuen Administration" in Washington "zu hören und zu lesen ist" - von der Einreisesperre für Muslime über die US-Flüchtlingsabwehr bis hin zum Freihandel, resümierte kürzlich ein Kommentator.[11] Auch beschränke sie sich nicht darauf, "die Differenzen" mit der US-Administration über ihren Sprecher der Öffentlichkeit mitzuteilen: "Sie tut und sie sagt es selbst." Der Kommentator würdigte die Versuche der Kanzlerin, gleichsam als Anführerin der internationalen Opposition gegen Trump auf Augenhöhe mit dem US-Präsidenten aufzutreten, indem er diesen als "angeblich [!] mächtigsten Mann der Welt" beschrieb - eine bislang unübliche verbale Herabstufung der Vereinigten Staaten. Dabei kann Merkel auf Zustimmung im liberalen US-Establishment rechnen. Bereits kurz nach Trumps Wahl hieß es in der New York Times, die deutsche Kanzlerin könne als "die letzte Verteidigerin des liberalen Westens" gelten.[12] Die Einschätzung ist seither mehrfach wiederholt worden. Zuletzt hat die US-Fachzeitschrift Foreign Policy Merkels Selbststilisierung als Kämpferin für "westliche Werte" anerkennend hervorgehoben: Sie habe sich dem neuen US-Präsidenten "von der Stunde Null der Ära Trump an" entgegengestellt.[13] Der Schulterschluss mit der liberalen US-Opposition bietet Berlin neuartige Einflusschancen.

Die neue Rolle der EU

Im deutschen Establishment nehmen unterdessen Stimmen zu, die es für denkbar halten, dass der erstrebte weltpolitische Aufstieg der EU gelingt und mit einem Machtverlust der Vereinigten Staaten einhergeht. "Wir werden eine komplett neue Rolle übernehmen", sagte Mitte Januar eine CDU-Politikerin auf einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung voraus. Ein Meinungsbild unter den Anwesenden habe ergeben, dass nur eine knappe Mehrheit damit rechnet, die USA könnten ihre dominante Position in der Weltpolitik halten, berichtet die Stiftung.[14] Beinahe die Hälfte der Anwesenden ging demnach von einem bevorstehenden weltpolitischen Abstieg der Vereinigten Staaten aus.


Mehr zum Thema: Europe first!, Führer und Gefolgschaft, Im Namen Europas und Der transatlantische Handelskrieg.


Anmerkungen:

[1] S. dazu Die Stunde der Europäer.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59520

[2] S. dazu Der transatlantische Handelskrieg.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59531

[3] Kamal Ahmed: Euro 'could fail', says man tipped as US ambassador to EU.
www.bbc.com 25.01.2017.

[4] Trumps Mann für Brüssel hält Euro für fehlerhaftes Experiment.
www.faz.net 03.02.2017.

[5] Markus Becker: Diplomatie mit der Brechstange.
www.spiegel.de 01.02.2017.

[6] S. dazu Das Jahr der Nationalisten.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59522

[7] Markus Becker: Diplomatie mit der Brechstange.
www.spiegel.de 01.02.2017.

[8] Benedikt Peters: Der Mann, der die EU in die Nähe der Sowjetunion rückt.
www.sueddeutsche.de 03.02.2017.

[9], [10] Oliver Georgi: In schwieriger Mission. Frankfurter Allgemeine Zeitung 04.02.2017.

[11] Günter Bannas: Spitze Bemerkungen und andere Nettigkeiten. Frankfurter Allgemeine Zeitung 02.02.2017.

[12] Alison Smale, Steven Erlanger: As Obama Exits World Stage, Angela Merkel May Be the Liberal West's Last Defender.
www.nytimes.com 12.11.2016.
S. dazu Make Europe Great Again. http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59486

[13] Paul Hockenos: Angela Merkel Has a Playbook for Bullies Like Trump.
www.foreignpolicy.com 31.01.2017.

[14] Donald J. Trump - unberechenbar, unkonventionell, unorthodox.
www.kas.de 18.01.2017.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Februar 2017

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