Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → MEINUNGEN

STANDPUNKT/003: Ein vereinigtes Irland und eine neue Republik! (Info Nordirland)


Info Nordirland - April 2012

Ein vereinigtes Irland und eine neue Republik - Martin McGuinness erläutert in seiner Rede zum Gedenken an den Osteraufstand von 1916 die Strategie der irischen Republikaner

Einleitung von Uschi Grandel, 16. April 2012



Das Gedenken an den Osteraufstand von 1916 ist einer der wichtigsten Gedenktage in Irland. Die irisch-republikanische Partei Sinn Féin hat auf über 100 Kundgebungen in ganz Irland am Osterwochenende vor insgesamt zehntausenden Teilnehmern Bilanz gezogen und ihre Strategie erläutert. Martin McGuinness, einer der führenden irischen Republikaner und derzeit Stellvertretender First Minister der nordirischen Regionalregierung, war Hauptredner in Drumboe im County Donegal, dem nordwestlichsten Bezirk der südirischen Republik. Seine Rede liegt in deutscher Übersetzung im Anhang bei.

Wichtigstes Ziel ist für Sinn Féin die "politische, soziale und verfassungsmäßige Neugestaltung Irlands". Als wichtige Aufgabe auf diesem Weg sieht die Partei die Versöhnung mit dem Unionismus, um die Spaltung der Gesellschaft aufzuheben. Martin McGuinness formuliert dies in seiner Rede wie folgt:

"Irland kann als Nation nur wirklich blühen, wenn wir als Volk mit uns im Reinen sind. Das heißt, den historischen Bruch zwischen Katholiken, Protestanten und Atheisten zu überwinden. Im Irland des Jahres 2012 heißt das, eine pluralistische, ethisch und kulturell vielfältige Gesellschaft aufzubauen, die alle Bürgerinnen und Bürger einschließt.

... Ich fordere Euch alle auf, Teil der Bewegung für echten Wandel in unserem Land zu werden, für soziale, wirtschaftliche und kulturelle Freiheit, für eine echte Republik, die alle 32 Länder und alle unsere Menschen umfasst."


Die Rede findet sich im Original und in deutscher Übersetzung auch auf der Webseite von Info Nordirland [1].

*

Ein vereinigtes Irland und eine neue Republik!

"Wir brauchen eine gewaltige Bewegung im ganzen Land, um unser Ziel der Freiheit und der Einheit zu erreichen." (Martin McGuinness)

8.4.2012 | Sinn Féin News


Über 1000 Menschen gedachten am Ostersonntag in Stranorlar am Drumboe Monument im County Donegal der Toten des Osteraufstands von 1916‍ ‍gegen die britische Besatzung. Hauptredner war Martin McGuinness, einer der führenden irischen Republikaner und derzeit Stellvertretender First Minister der nordirischen Regionalregierung. Über 100 Gedenkveranstaltungen führte Sinn Féin über die Ostertage in ganz Irland durch.

Im Folgenden veröffentlichen wir die deutsche Übersetzung der Rede von Martin McGuinness (die wenigen Kürzungen sind im Text durch ... vermerkt. Erläuterungen finden sich in Klammern):

"Ich möchte den Republikanern im County Donegal danken, dass sie mir die Möglichkeit gegeben haben, an diesem 96. Jahrestag des Osteraufstands hier zu reden. Es ist ein Privileg, mit Euch gemeinsam ... all denen zu gedenken, die ihr Leben für Irlands Freiheit gaben. Wir machen keinen Unterschied zwischen den Männern und Frauen von 1916 und 1981. Wir gedenken auch den Republikanern, die in den Jahren des Kampfs von 1916-1923 fielen und denen, die seit 1969 ihr Leben gaben.

Den Familien, Freunden und Gefährten all derer, die gestorben sind, bezeugen wir unsere Sympathie und unsere Solidarität.

Wir haben uns hier an diesem bedeutenden und historischen Ort versammelt, dem Tatort einer der Tragödien des irischen Bürgerkriegs. Charlie Daly, Seán Larkin, Daniel Enright und Tim O'Sullivan wurden hier von Free State - Truppen getötet. Sie kämpften gegen die desaströse Teilung unseres Landes. James Connolly sagte voraus, dass die Teilung Irlands zu einem Karneval der Reaktion führen würde. Die vier Märtyrer von Drumboe gehörten zu den Opfern dieses Karnevals der Reaktion, der Tausende Gefangenen und Internierte auf beiden Seiten der Grenze zur Folge hatte, der zu Exekutionen im Gefängnis führte, zur Ermordung republikanischer Gefangener nach der Festnahme und zu Pogromen gegen die irische Bevölkerung in den Sechs Counties (Nordirlands).

Charlie Daly, Sean Larkin, Daniel Enright und Tim O'Sullivan wurden exekutiert, weil sie treu zur gesamtirischen Republik standen, die 1916‍ ‍proklamiert worden war. Der Osteraufstand ist die bestimmende Tat und die Proklamation der Republik das bestimmende Dokument in der Geschichte des irischen Republikanismus. Der Text der Proklamation wurde vorhin verlesen. Unsere Aufgabe besteht darin, ihre Prinzipien auf das Irland des Jahres 2012 anzuwenden und eine neue Republik auf dieser Insel zu schaffen.

Es gibt Schlüsselereignisse, die den Lauf der Geschichte einer jeden Nation ändern. In Irland waren der Aufstand von 1916 und der Hungerstreik von 1981 solche Ereignisse. Das Karfreitags-Abkommen, die Abkommen von St. Andrews und Hillsborough und die Erklärung der IRA, dass der Krieg vorbei sei, waren weitere Meilensteine auf dem Weg, der meiner festen Überzeugung nach zur irischen Wiedervereinigung führen wird.

Die historische Zusammenarbeit mit dem Unionismus in gemeinsamen politischen Institutionen bildet ein solides Fundament, um zu einer neuen Zukunft für die Politik auf dieser Insel zu kommen.

Sinn Féin unterscheidet sich grundsätzlich von anderen politischen Parteien, ist darauf stolz und fest entschlossen, so zu bleiben. Für uns geht es in der Politik nicht darum, Sitze zu gewinnen oder Ministerposten zu besetzen. Sinn Féin ist als Partei im Kampf entstanden und unsere Mitglieder und gewählten Repräsentanten kommen aus den Bereichen der Gesellschaft, die im Norden wie im Süden am meisten unter der Anspannung politischer und ökonomischer Ausgrenzung stehen. Ihre Bedürfnisse für das tägliche Überleben müssen wir verstehen und respektieren. Dieses Verständnis und die Verbundenheit mit unseren Leuten ist das Rückgrat unseres Kampfes.

Hier im County Donegal haben die Menschen ... vor einem Jahr mit der Wahl von Pearse Doherty und Padraig MacLochlainn unsere Partei als Führung dieses stolzen republikanischen Counties bestimmt. Die Wahlen ergaben spektakulären Zuwachs für Sinn Féin. Betrachten wir diesen Erfolg gemeinsam mit den Gewinnen bei der Wahl zum nordirischen Regionalparlament, haben wir als einzige gesamtirische Partei substantiellen Wahlerfolg und spielen in allen 32 Counties im politischen Leben Irlands eine Rolle.

Wir sind hier in einer Zeit großer Herausforderungen versammelt. Hunderttausende Menschen kämpfen um ihr Überleben. Zehntausende unserer talentiertesten jungen Leute verlassen Irland. Das ist nicht akzeptabel. Es ist das direkte Resultat der Aktivitäten korrupter politischer und wirtschaftlicher Eliten, deren Wirken die Mahon und Moriarty Tribunale aufgedeckt haben.

Die Teilung Irlands schuf zwei konservative Staaten auf unserer Insel. Sie dienten den Interessen der politischen Eliten Nord und Süd und nicht den Bedürfnissen der normalen Bevölkerung in Irland. Von einem vereinigten Irland zu reden, war für das Establishment im Süden leeres Geschwätz, für einige ist es das heute noch.

Republikaner haben andere Vorstellungen für unsere Zukunft. Wir glauben, es gibt einen besseren Weg. Ein wiedervereinigtes Irland und eine neue Republik im Interesse der Bürgerinnen und Bürger ist unsere Zukunft.

Republikaner haben große Möglichkeiten in der nächsten Zeit. Das Karfreitagsabkommen hat die politische Auseinandersetzung auf eine Ebene gehoben. Der Unionismus hat nicht länger ein Vetorecht in Bezug auf die irische Einheit.

Der Government of Ireland Act (Irland-Gesetz), durch den Großbritannien einen Teil Irlands beanspruchte, ist Geschichte. Zwar gibt es noch Oranierorden, aber der Oranierstaat ist überwunden und wird nie wiederkommen.

Wir haben eine völlig neue gesetzliche und verfassungsrechtliche Situation. Im Karfreitagsabkommen stimmte die britische Regierung zu, ihre Herrschaft über Nordirland zu beenden, wenn die Mehrheit der Menschen das wünscht.

In diesem Kontext haben Republikaner die Verpflichtung, auf Unionisten und andere zuzugehen, um mit ihnen über Inhalt und Form künftiger Strukturen auf dieser Insel zu diskutieren. Die Entwicklung einer gesamtirischen Ökonomie ist ganz klar im Interesse aller in Irland. Der Bau einer neuen Radiotherapie-Station im Nordwesten wird den Menschen in Donegal (eines der 26 Counties des Südens), Tyrone und Derry (2 der 6 Counties des Nordens) eine große Hilfe sein. Wir haben unser Versprechen gehalten und umgesetzt. Wir standen auch zu unserem Versprechen, neue Straßen aus dem Nordwesten nach Dublin und Belfast zu bauen. Der Bau wird in einigen Monaten beginnen. Das sind nur zwei von vielen Initiativen, die dem Süden und dem Norden gemeinsam Vorteile bringen und die das Leben der Menschen erleichtern, unabhängig von ihrer politischen oder religiösen Zugehörigkeit.

Wir wollen ein vereinigtes Irland, in dem sich der unionistische Teil unserer Gesellschaft wohlfühlt und am Leben der Nation vollwertig teilnimmt. Ich bin der Überzeugung, dass es für Unionisten und Republikaner möglich ist, zusammenzustehen, ohne die jeweilige Überzeugung zu verwässern. Ein führender Unionist sagte zu mir in aller Deutlichkeit: "Martin, wir können uns selbst regieren. Wir brauchen keine Regierenden, die von London herüberkommen, um uns zu sagen, was wir tun sollen." Diese Aussage bietet gemeinsamen Grund, der uns alle trägt. Wir benötigen Offenheit zur Bestimmung praktischer Wege des unionistischen Ausdrucks von Britisch-Sein innerhalb eines vereinigten Irlands.

In den Diskussionen, die wir zur Wiedervereinigung führen, werden wir offen mit den Fragen von Pässen, Symbolen und anderen Identität-stiftenden Themen umgehen. Denn diese sind wichtig, um ein alle einschließendes vereinigtes Irland aufzubauen, das die Traditionen aller unserer Menschen in ihrer Vielfalt respektiert.

Die große unionistische Beteiligung an unseren Konferenzen zur Vereinigung Irlands ist sehr ermutigend und zeigt, dass ein großer Teil der Unionisten bereit ist, sich an der Debatte über die neue Politik, die das Karfreitags-Abkommen gebracht hat, zu beteiligen. Wir müssen auf das hören, was Unionisten sagen. Wir müssen tatsächlich eine Nation bilden und Frieden schaffen. Das heißt für uns immer, über uns herauszuwachsen und Risiken einzugehen, um die Aufgabe eines neuen Irlands zu fördern.

Alle Republikaner haben die Pflicht, sich an dieser Aufgabe zu beteiligen. Das heißt zuallererst, fest jede Art von Sectarianism (religiös motivierter Rassismus), Bigotterie und Gewalt zurückzuweisen - unabhängig vom Ursprung und vom Ziel.

Zweitens heißt das, auf positive Weise einen aktiven Dialog mit Unionisten zu führen und ihnen zu zeigen, nicht nur durch Worte, sondern durch Taten, dass Gleichheit Gleichheit für alle meint - nicht nur für Nationalisten und Republikaner, sondern für alle auf dieser Insel.

Irland kann als Nation nur wirklich blühen, wenn wir als Volk mit uns im Reinen sind. Das heißt, den historischen Bruch zwischen Katholiken, Protestanten und Atheisten zu überwinden. Im Irland des Jahres 2012 heißt das, eine pluralistische, ethisch und kulturell vielfältige Gesellschaft aufzubauen, die alle Bürgerinnen und Bürger einschließt.

Ich möchte meine Rolle stärken und ausweiten, um den Prozess nationaler Versöhnung in Irland zu führen - ein Prozess der aus meiner Sicht bereits im Gang ist. Es gibt bereits eine größere Toleranz gegenüber Unterschieden und Vielfalt, die aus einem besseren gegenseitigen Verständnis resultiert.

Ich bin als Ire sehr selbstbewusst. Mir sind auch meine Verpflichtungen als Stellvertretender First Minister bewusst und ich bin mir klar darüber, dass ich als Stellvertretender First Minister für alle Menschen gewählt bin - ich nehme diese Verantwortung sehr ernst, insbesondere im Bezug auf den unionistischen Teil unserer Gesellschaft.

Ich bin mir auch meiner Verantwortung als republikanische Führungspersönlichkeit sehr bewusst - die Integrität unseres Kampfes zu verteidigen und voranzubringen.

Lasst uns heute aus Drumboe eine klare Botschaft senden - Sinn Féin wird sich von dieser historischen Aufgabe, an der wir arbeiten, nicht abbringen lassen. Wir bauen unsere Nation. Wir sind nicht durch individuelle Interessen oder persönlichen Gewinn motiviert. Wir haben uns hohe Standards und noch höhere Ziele gesetzt - aber wir sind entschlossen und einig. Wir sind der Motor des historischen, politischen, sozialen und verfassungsmäßigen Wandels auf dieser Insel.

Ich fordere Euch alle auf, Teil der Bewegung für echten Wandel in unserem Land zu werden, für soziale, wirtschaftliche und kulturelle Freiheit, für eine echte Republik, die alle 32 Länder und alle unsere Menschen umfasst.

Viele von Euch unterstützen Sinn Féin, helfen bei Wahlen oder beim Spendensammeln, nehmen an Gedenkfeiern teil und an Veranstaltungen wie dieser. Ich bitte Euch, auch den nächsten Schritt zu tun und Sinn Féin beizutreten, sofern Ihr das noch nicht getan habt.

Spielt eine Rolle, bringt Euch ein, befähigt Euch und Eure Umgebung. Ermutigt Eure Freunde und Eure Familie, Sinn Féin beizutreten. Wir brauchen eine gewaltige Bewegung im ganzen Land, um unser Ziel der Freiheit und der Einheit zu erreichen.

Wir sind auf dem Weg zur Freiheit. Wenn wir gemeinsam, fest vereinigt und in großer Zahl vorangehen, werden wir unsere historische Aufgabe verwirklichen - ein vereinigtes Irland und eine neue Republik.

An Phoblacht Abú (Vorwärts mit der Republik )!"


[1] http://www.info-nordirland.de/news/2012/new2012_104_d.htm

Englischsprachiges Original der Rede: A United Ireland and a New Republic!:
http://www.sinnfein.ie/contents/22956

*

Quelle:
Info Nordirland / Baskenland
c/o Dr. Uschi Grandel
Holzhaussiedlung 15, 84069 Schierling
Telefon: 0049.(0)9451.949859
E-Mail: info@info-nordirland.de
Internet: www.info-nordirland.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. April 2012