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STANDPUNKT/002: Die Folgen des Spardiktats (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 05.10.2011
(german-foreign-policy.com)

Die Folgen des Spardiktats


ATHEN/BERLIN - Mit anhaltendem Protest reagiert die griechische Bevölkerung auf die erneuten exzessiven Spardiktate der EU. Wie es in Medienberichten heißt, gibt sich die sogenannte Troika aus EU, EZB und IWF, die die von Berlin und Brüssel erzwungenen Athener Kürzungsprogramme überprüfen soll, nicht damit zufrieden, dass die griechische Regierung die Entlassung Zehntausender Staatsbediensteter in Aussicht gestellt hat, und fordert von Athen weiterreichende Schritte. Dabei macht das Land bereits jetzt einen sozialen Kahlschlag noch nie dagewesenen Ausmaßes durch: Während die Wirtschaft in den kompletten Ruin treibt, erreicht die Arbeitslosigkeit neue Rekordhöhen; die Renten wurden bislang um rund ein Fünftel, die Einkünfte der im europäischen Vergleich schlecht bezahlten staatlichen Angestellten auf durchschnittlich 60 bis 70 Prozent gekürzt. Neu eingestellte junge Erwachsene müssen mit einem Bruttolohn von rund 600 Euro im Monat auskommen. Dabei wird die deutsche Rolle beim Ausweiden des Staates in Griechenland genau registriert. Jüngster Coup ist der Vorschlag einer Beratungsgesellschaft aus der Bundesrepublik, dem zufolge Griechenland sein Staatsvermögen an die EU verkaufen soll - zwecks Weitergabe an private Interessenten unter Brüsseler Regie.


Verheerende Folgen

Die desaströse Entwicklung hat Griechenland erfasst, seit das Land im April 2010 unter den europäischen "Rettungsschirm" - Volumen: 110 Milliarden Euro - schlüpfte. Damit sollte das überschuldete Land vor der drohenden Zahlungsunfähigkeit gerettet werden. Zu diesem Zeitpunkt betrug die Verschuldung Griechenlands 330 Milliarden Euro; das entsprach fast 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 235 Milliarden Euro Ende 2009. Das später für Ende 2009 festgestellte Haushaltsdefizit lag bei 15,6 Prozent. Als Gegenleistung für die Milliardenkredite handelten die Gläubiger von EU, IWF und EZB ein drastisches Sparprogramm aus, das den Abbau staatlicher Leistungen, Privatisierungen, Lohn- und Rentensenkungen sowie massive Verbrauchssteuererhöhungen vorsah. Damit gelang es der Regierung Papandreou, das Haushaltsdefizit innerhalb eines Jahres auf 10,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu senken - bei gleichzeitig verheerenden Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft Griechenlands.


Arbeitslosigkeit, Bankrotte, Armut

Allein im Jahr 2010 schrumpfte das griechische BIP um 4,5 Prozent, bis zum zweiten Jahresdrittel 2011 um weitere 7,5 Prozent, während die Verschuldung des Landes bis März 2011 bereits auf über 340 Milliarden Euro wuchs.[1] Die Arbeitslosigkeit, die Ende 2009 etwa 9,6 Prozent betrug, ist auf 16,3 Prozent gestiegen; unter den 15- bis 29-Jährigen ist sogar fast jeder Dritte erwerbslos. Bis zum Jahresende sollen nun bis zu 30.000 Staatsbedienstete entlassen werden. Tausende meist kleiner Betriebe sind bereits bankrott, ein Ende der Rezession ist nicht abzusehen. Den im europäischen Vergleich schlecht bezahlten staatlichen Angestellten wurden ihre Bezüge im Schnitt um 30 bis 40 Prozent gekürzt, sämtliche Rentner des Landes mussten Einschnitte in Höhe von etwa 20 Prozent hinnehmen. Branchentarifverträge dürfen mittlerweile unterlaufen werden, die absolute Untergrenze von etwa 740 Euro Bruttolohn für eine Vollzeitstelle gilt für neu eingestellte junge Erwachsene unter 25 Jahren nicht mehr. Sie müssen mit knapp 600 Euro im Monat auskommen - brutto. Die von den Gläubigern geforderte "Flexibilisierung" bei Löhnen und Arbeitsbedingungen beginnt sich durchzusetzen. So wurden im ersten erfolgreich privatisierten Staatsunternehmen, der von der Deutschen Telekom übernommenen Telefongesellschaft OTE, die Löhne bei gleichzeitiger Verringerung der Wochenarbeitszeit von 40 auf 35 Stunden um elf Prozent gesenkt - unter der Drohung, bei Widerstand 5.000 Angestellte zu kündigen.[2]


Widerstand

Alle Maßnahmen wurden gegen massiven Widerstand der Betroffenen durchgesetzt. Diese wehrten sich mit insgesamt sieben eintägigen Generalstreiks 2010 sowie drei eintägigen und einem zweitägigen Generalstreik in diesem Jahr - bei hoher Beteiligung der Angestellten im öffentlichen Dienst und aus den großen Unternehmen. Ein nächster Generalstreik - der zwölfte seit dem Beginn der Streichungsprogramme - ist für den 19. Oktober angesetzt. Dazwischen gab es unzählige, teilweise mehrere Tage oder Wochen lang geführte Streiks in einzelnen Branchen und Betrieben - so viele, dass längst ein Streikkalender im Internet darüber informiert, welche Gruppen von Erwerbstätigen gerade im Ausstand sind. Von Mai 2011 bis zur Sommerpause im August demonstrierten darüber hinaus regelmäßig fast jeden Abend Tausende, darunter keineswegs nur gewerkschaftlich organisierte Menschen, direkt vor dem griechischen Parlament. Aus dem anfänglich eher trotzigen Widerstand gegen die als ungerecht empfundenen Einschnitte ist für viele dabei längst ein Kampf um den eigenen bescheidenen Lebensstandard geworden, wenn nicht sogar ein Kampf gegen den nackten Hunger. Davon zeugen auch neue Formen des Widerstandes. So wird kollektiv die Zahlung zahlreicher Sondersteuern verweigert, selbst wenn dies gravierende Folgen haben kann: Personen etwa, die die jüngst eingeführte, heftig umstrittene Abgabe auf Eigentumswohnungen verweigern, die zusammen mit der Stromrechnung bezahlt werden muss, laufen Gefahr, dass ihnen der Strom abgestellt wird. Generell beantwortet die Regierung den wachsenden Widerstand gegen ihre Politik mit zunehmender Repression. Wochenlange Streiks der Seeleute und der Lastwagenfahrer wurden mit dem Zwangsinstrument der Dienstverpflichtung beendet. Bei Massendemonstrationen geht die Polizei mittlerweile geradezu gezielt gegen friedliche Demonstranten vor und setzt beim geringsten Anlass flächendeckend Tränengasgranaten ein.


Die deutsche Führungsrolle

Als treibende Kraft hinter all diesen Maßnahmen macht die Bevölkerung weniger die eigene Regierung als vielmehr die Gläubigertroika aus EU, IWF und EZB aus - und insbesondere die Bundesrepublik Deutschland. Dabei spielen die von deutschen Medien bedienten Ressentiments von den angeblich faulen, betrügerischen Südländern [3] und ihre griechische Erwiderung mit der Darstellung von Hakenkreuzen auf Siegessäulen, von Kanzlerin Merkel in SS-Uniform oder die Bezeichnung von EU-Kontrolleuren als "Gauleiter" nur vordergründig eine Rolle. Besonders für ältere Griechen ist es unerträglich, wenn ein Staat, unter dessen Rechtsvorgänger sie während des Zweiten Weltkriegs unsägliche Leiden durchmachen mussten, sich nun zum Befehlsgeber über die eigenen nationalen Belange aufschwingt. Schwerer aber wiegt die tatsächliche wirtschaftliche und politische Führungsrolle Deutschlands innerhalb der EU, aufgrund deren die deutschen Interessen bei der angeblichen "Rettung Griechenlands" im Vordergrund stehen.


Ausverkauf

Empörung hatte schon im Jahr 2010 die ursprüngliche deutsche Forderung hervorgerufen, die mit Griechenland geschlossenen Milliardenverträge über den Kauf deutscher Rüstungsgüter dürften von den Einsparungen nicht betroffen sein. Allein zwischen 2005 und 2010 hatte Deutschland an Athen Kriegsgerät im Wert von rund 2,1 Milliarden US-Dollar verkauft. Als Hauptbedrohung gilt in Griechenland ein möglicher Krieg mit der Türkei, die ihrerseits in großem Umfang mit deutschen Waffen aufgerüstet wird. Auf Unverständnis stieß auch, dass die deutsche Justiz faktisch einen Schutzschirm über Michalis Christoforakos aufspannte - einen ehemaligen Geschäftsführer von Siemens in Griechenland, der allein Auskunft über millionenschwere Schmiergelder geben könnte, die Siemens im Gegenzug für lukrative Staatsaufträge fließen ließ, nach einem milden Urteil in Deutschland allerdings in Griechenland straffrei bleibt. Griechische Medien registrieren zudem aufmerksam, dass die deutsche Unternehmensberatung Roland Berger Strategy Consultants eine Schlüsselstellung bei den geplanten Privatisierungen einnehmen soll. Roland Berger hat vor wenigen Tagen einen Plan vorgelegt, dem zufolge Athen "Staatsvermögen wie Häfen, Flughäfen, Autobahnen und Immobilien im Gesamtwert von rund 125 Milliarden Euro" in einer Holding zusammenfassen und diese dann für 125 Milliarden Euro an die EU veräußern soll. Diese könnte das griechische Staatseigentum dann nach Gutdünken weiterverkaufen. Zudem solle die EU, heißt es bei Roland Berger, ihre eigenen, für Athen vorgesehenden Infrastrukturgelder in Höhe von rund 15 Milliarden Euro verwenden, um die griechischen Immobilien vor dem Weiterverkauf an zahlungskräftige Interessenten zu sanieren.[4]


Weiter kürzen

Empörung ruft zudem ein Bericht der Tageszeitung Eleftherotypia hervor. Darin heißt es, Berlin habe in Gesprächen mit Finanzminister Evangelos Venizelos ungeachtet der schon jetzt desaströsen Lage auf weitere drastische Senkungen von Löhnen und Renten gedrängt. Deren Niveau werde sich damit, heißt es, "demjenigen Rumäniens angleichen".[5]


[1] s. dazu Steil abwärts, http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58064
[2] s. dazu Die Widersprüche der Krise, http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58101
[3] s. dazu Bilanz der Nationalismus-Party, http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57855
[4] Roland Berger Strategy Consultants stellt Plan zur Sanierung von Griechenland vor; www.rolandberger.com 26.09.2011
[5] www.enet.gr 01.10.2011


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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Oktober 2011