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DILJA/021: Sozialprotektorat Griechenland als Modell EU-imperialistischer Zukunftsgestaltung (SB)


Finanzpakete versprechen Rettung aus gezielt beförderter Not


Ein Lichtblick ist am düsteren Himmel Griechenlands auszumachen. Selbstverständlich handelt es sich um einen finanziellen vermeintlichen Hoffnungsschimmer, genauer gesagt um einen Schritt, der in der Finanzwelt, also dort, wo abstrakte Verfügungsgewalt bewegt und ausgeübt wird, positiv aufgenommen und honoriert wurde. Der griechische Staat konnte aufgrund einer dementsprechenden Nachfrage neue Schuldtitel im Wert von knapp 2,7 Milliarden Euro ausgeben. Der Beinah-Pleite-Staat wird also vom sogenannten internationalen Geldmarkt in einem gewissen Umfang wieder als kreditwürdig eingestuft. Eine positive Nachricht ist dies für die in Griechenland lebenden Menschen selbstverständlich nicht, denn was hier belohnt wird, ist nichts anderes als der so-und-so-vielte Schritt, den Griechenland bzw. die griechische Regierung in den Untergang des eigenen Landes zu vollziehen sich bereitgefunden hat.

In der Nacht vom 20. auf den 21. März hat das griechische Parlament dem zweiten "Rettungspaket" in einem Finanzumfang von 130 Milliarden Euro zugestimmt. So zumindest wurde es in den internationalen Medien verlautbart. Was die griechischen Abgeordneten mit 213 zu 79 Gegenstimmen damit tatsächlich akzeptierten, ist ein "Sparprogramm" genannter Maßnahmenkatalog, der die ohnehin bereits extrem katastrophale soziale Lage noch weiter verschlechtern wird. Im Gegenzug zu diesen "Hilfen" hat sich der griechische Staat mit diesem Schritt nun endgültig dazu verpflichten lassen, 150.000 Stellen im öffentlichen Dienst bis 2015 zu streichen sowie Renten und Löhne noch weiter zu kürzen. Bereits im Februar hatten die Regierungsparteien diesem Sozialschlag zugestimmt, so daß das jetzige parlamentarische Prozedere nur noch einmal mehr bestätigte und mit einem demokratischen Anstrich zu versehen trachtete, was bereits beschlossene Sache war und insofern niemanden mehr überraschen konnte.

Einzig die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) trug den Protest auf die Straßen und vor das Parlament, wo Zehntausende ihrem Unmut Luft machten. Aleka Papariga, Generalsekretärin der KKE, bezeichnete die nun abgeschlossenen Verträge in Verbindung mit dem Schuldenschnitt, durch den private Aufkäufer griechischer Staatsanleihen auf die Hälfte ihrer Forderungen "verzichten", um die andere Hälfte in als sicher geltende langfristige Papiere umzuwandeln, als eine "Tragödie, die bis in das Jahr 2042" reiche [1]. In 30 Jahren soll Griechenland die neuen Kredite wie auch die durch den sogenannten Schuldenschnitt in Staatsobligationen umgewandelten Verbindlichkeiten abbezahlt haben. Im Klartext bedeutet dies, daß die staatliche Souveränität Griechenland für einen solch langen Zeitraum an die Kette einer verschuldungsbegründeten Sachzwanglogik genommen und damit faktisch ausgehöhlt wird.

Am Beispiel des EU-, Euro- und NATO-Staates Griechenland, der eigentlich, wie anzunehmen wäre, durch die Zugehörigkeit zu den politischen, wirtschaftlichen und militärischen Zusammenschlüssen der globaldominierenden Eliten auf der "sicheren" Seite stehen müßte, läßt sich insofern nach- oder vielmehr vorzeichnen, daß den Menschen in der Enklave eines relativen Wohlstands - Europa und Nordamerika - nicht minder ein Leben unter Mangelverwaltung und damit einhergehend massivster Repression bevorsteht, so der gegenwärtigen Entwicklung und Zuspitzung nicht durch entschiedene Proteste und Gegenbewegungen Einhalt geboten wird. Dabei entbehren die Konzepte, die angeblich zur Anwendung gebracht werden, um das leckgeschlagene Griechenland wieder in das sichere Fahrwasser einer Wohlstand und Sicherheit versprechenden Zukunft zu manövrieren, längst jeder ernstzunehmenden Ratio.

Als das erste sogenannte "Rettungs"-Paket für Griechenland im Mai 2010 verabschiedet wurde, sollte durch die damit verknüpften einschneidenden Maßnahmen erreicht werden, daß Griechenland bis Mitte 2012 eine annehmbare Schuldenquote erreichen und ab 2013 auf den Finanzmärkten wieder Kredite aufnehmen können würde. Tatsächlich wurde durch die an die Gewährung dieser "Hilfen" geknüpften Bedingungen, sprich die massive Kürzung öffentlicher Ausgaben, Entlassungen, Renten- und Lohnkürzungen, die Wirtschaft Griechenlands nur noch weiter stranguliert. Die Wirtschaftsleistung ging im Jahr 2011 um sechs Prozent zurück, die Verschuldung stieg von 120 auf 170 Prozent des Bruttosozialprodukts [2]. Da nicht eingetreten ist, was mit den durchgedrückten Maßnahmen behauptetermaßen erreicht werden sollte, wäre es das Gebot der Stunde und ein Diktat jeglicher Logik, eine umfassende und grundlegende Fehleranalyse zu betreiben sowie eine Überprüfung sämtlicher Annahmen und Behauptungen, die dem ersten Hilfs- und Maßnahmenpaket zugrundegelegt wurden, durchzuführen.

Doch nichts dergleichen geschieht. Der eingeschlagene Kurs wird durch das zweite Paket nicht nur fortgesetzt, sondern über das bisherige Maß hinaus noch weiter beschleunigt durch abermalige und zusätzliche "Sparmaßnahmen", die einem Brandbeschleuniger gleichkommen werden. Es bedarf keiner Prophetie oder tiefen Sachkenntnis, um vorhersagen zu können, daß eine bereits am Boden liegende Volkswirtschaft auf diese Weise geradezu in kürzestmöglicher Zeit vollends ruiniert wird. Gleichwohl bedarf diese Behauptung der Präzisierung. Was genau wäre unter einer "ruinierten Volkswirtschaft" zu verstehen?

Echte und belastbare Prognosen können tatsächlich nicht erstellt werden, da derartige Aussagen immer daran kranken, daß der Widerstandsfaktor, also die Frage, ob und in welchem Maße sich die von dem Spardiktat betroffenen Menschen gegen das ihnen von der Troika EU, IWF und EZB zugedachte "Schicksal" erheben werden, in keiner Weise berechenbar sein kann. Und so läßt sich bestenfalls konstatieren, daß die durch diese Troika repräsentierten Kräfte daran arbeiten, aus Griechenland das erste Sozialprotektorat der Europäischen Union, in dem sämtliche Entscheidungen durch externe Experten getroffen werden, herzustellen - mit Beispiel- und Vorbildcharakter womöglich letztlich für sogar alle übrigen EU-Staaten.


Anmerkungen:

[1] Raub durch Umverteilung. Griechisches Parlament ratifiziert zweites "Rettungspaket". Protest Zehntausender Anhänger der KKE, von Heike Schrader, junge Welt, 22.03.2012, S. 6

[2] Abstieg beschleunigt. EU-Beschlüsse zu Griechenland. Gastkommentar von Andreas Wehr, junge Welt, 22.02.2012, S. 8


26. März 2012