Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → MEINUNGEN

DILJA/017: Sachzwanglogik in Griechenland - "Die Märkte" tolerieren keinen Volksentscheid (SB)


Entlarvende Reaktionen auf Papandreous Ankündigung, über das Spardiktat abstimmen zu lassen


Insubordination! Unausgesprochen kreist dieses Wort durch den deutschen wie internationalen Blätterwald. Im Fadenkreuz der Kritik und Empörung steht fraglos der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou von der regierenden sozialistischen Partei "Gesamtgriechische Sozialistische Bewegung" (PASOK). Sein Vergehen: Ohne Zustimmung und Absprache mit den Kreditgebern seines Landes hat der griechische Regierungschef am Montagabend den Beschluß verkündet, sich selbst mit einer Vertrauensfrage im Parlament zur Disposition zu stellen und, schlimmer noch, die griechische Bevölkerung in einem Referendum die Frage entscheiden zu lassen, ob das Land den sogenannten Rettungsplan der EU, sprich den noch rigideren Sparkurs, an dessen Annahme die Auszahlung der nächsten Kredittranche gekoppelt wurde, akzeptieren will oder nicht.

Würde man den medialen Verlautbarungen, den Vorwürfen und Drohungen, die kübelweise über die griechische Regierung respektive die Bevölkerung des Landes daraufhin ausgeschüttet wurden, Glauben schenken, müßte angenommen werden, daß nicht weniger als die Funktionsfähigkeit der Weltwirtschaft in Reaktion auf diesen Fehltritt eines kleinen europäischen Landes recht unmittelbar auf dem Spiel stünde. In Griechenland selbst begann sofort ein mediales Sperrfeuer, um die Abstimmungsberechtigten, die aller Voraussicht nach Anfang kommenden Jahres zu dieser nicht nur in nationaler, sondern globaler Hinsicht buchstäblichen Schicksalsentscheidung gerufen werden, auf die "richtige" Stimmabgabe einzustellen. Wer das Abkommen, das am vergangenen Donnerstag in Brüssel beschlossen wurde und einen fünfzigprozentigen "Schuldenschnitt" und ein weiteres, 130 Milliarden Euro schweres Kreditprogramm umfassen soll zu noch unklaren Bedingungen, ablehnt, so war zu vernehmen, sei für den dann drohenden bzw. eintretenden unkontrollierbaren Bankrott verantwortlich.

Dem Land und seinen Bürgern würden in diesem Fall extreme Armut und Arbeitslosigkeit bevorstehen, lautete eine weitere Drohung, durch die versucht wird, die Existenz eines bereits bestehenden Übels, nämlich eine rapide wachsende Arbeitslosigkeit und Armut infolge der sogenannten Sparbeschlüsse, die der griechischen Regierung von ihren Kreditgebern aufgezwungen werden, durch die Androhung ihrer Steigerung ins noch Unerträglichere irgendwie akzeptabel zu machen. "Die Stunde ist gekommen, in denen der Bürger verantwortungsbewußt antworten muß", lautete die Botschaft Papandreous, der sich, überraschend für Merkel, Sarkozy und die Repräsentanten der EU, als Verfechter direktdemokratischer Verfahren präsentierte mit den Worten: "Will er [der Bürger], daß wir [das Abkommen] umsetzen oder daß wir es ablehnen. Wenn das Volk es nicht will, wird es nicht umgesetzt. Wenn ja, machen wir weiter." [2]

Pikanterweise gilt gerade Griechenland im christlichen Abendland als Urquell demokratischer Traditionen, was historisch gesehen nur bedingt zutreffend ist, da das antike Griechenland nur dann als "Demokratie" verstanden werden kann, wenn man gewillt ist außer acht zu lassen, daß die Freiheits- und Beteiligungsrechte gegenüber dem Staat selbstverständlich nur den Athener Bürgern, nicht jedoch ihren Sklaven zustanden. Von "Demokratie" ist im nationalen wie internationalen Medienhype jedoch nur in marginaler Weise die Rede, steht doch weit im Vordergrund die Behauptung, daß die Ablehnung des "Rettungsplans" zu einem Staatsbankrott Griechenlands führen würde, dem wiederum ein Zusammenbruch des internationalen Finanzwesens und Bankensystems folgte, demgegenüber sich das 2008 angeblich durch den Zusammenbruch der Lehman-Bank ausgelöste Desaster noch vergleichsweise harmlos ausnehmen würde.

So gesehen, läge das Schicksal der Weltbevölkerung in den Händen der griechischen Wählerinnen und Wähler, so sie denn, wie inzwischen auch vom Kabinett beschlossen, in rund zwei Monaten zu diesem Referendum gerufen werden. Griechische Medien tun bereits das Ihre, um das Wahlvolk auf Zack zu bringen und beschuldigen all jene, die einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone und eine Rückkehr des Landes zur eigenen Drachme auch nur in Erwägung ziehen, des sozialfeindlichen Eigennutzes. Wer so etwas vertrete und fordere, handele aus egoistischen Motiven und stelle sich gegen die Interessen des Gemeinwohls, wobei nicht einmal ganz klar ist, wessen Interessen hier als "Gemeinwohl" deklariert werden - die der griechischen Eliten oder die der führenden westlichen Staaten, ihrer Großbanken oder der internationalen Institutionen, die sich einem Krisenmanagement zur bestmöglichen Wahrung des Status quo verschrieben haben?

Unbedingt plausibel sind diese Androhungen keineswegs. Der bereits vielfach geäußerte Verdacht, daß es sich bei dem angeblichen Griechenland-Rettungsplan um einen Plan zur Rettung der Einlagen großer Banken handelt, wird nicht eben entkräftet durch die etwaige Ankündigung, die nächste Kredittranche werde unabhängig von den jüngsten Eskapaden des griechischen Ministerpräsidenten ausbezahlt. Diese Erkenntnis zumindest will die Zeitung mit den vier Großbuchstaben gewonnen haben. Wie sie aus "Kreisen der Bundesregierung" erfahren habe, lasse sich die Auszahlung der nächsten Tranche, die bis zum 11. November an die griechische Regierung überwiesen werde, nicht mehr stoppen. [2] Daß ein kleines Land wie Griechenland, auf das in etwa drei Prozent des gesamteuropäischen Bruttoinlandsproduktes entfallen, eine solche Sogwirkung entfalten können soll, daß ein möglicher Staatsbankrott die Aktienkurse an sämtlichen internationalen Börsen einknicken läßt, ist eine nicht unbedingt plausible Annahme. Andersheraum ausgedrückt: Wie muß es um die sogenannten Finanzmärkte bestellt sein, wenn der Krisenfall Griechenland ihre Substanz und Existenz gefährdet?

In Griechenland selbst ist die Ankündigung Papandreous' ebenfalls auf Kritik gestoßen. Die konservative Nea Dimokratia möchte die Situation nutzen, um durch vorgezogene Neuwahlen selbst wieder an die Regierung zu kommen. Wäre dies der Fall, würde sie aller Voraussicht nach ein nicht minder katastrophales "Spar"-Programm durchziehen als die regierende PASOK. Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) kritisierte die Ankündigung Papandreous und sprach in Hinsicht auf das Referendum von einem "riesengroßen Mechanismus zur Nötigung des Volkes", durch den die Regierung im Bunde mit der Europäischen Union "alle Mittel, Drohungen, Provokationen nutzen werden, um die Arbeiterklasse und die Volksschichten zu unterwerfen und ein Ja für das neue Abkommen zu ergattern" [3]. Auch die KKE fordert sofortige Neuwahlen.

Daß Papandreou durch den Griff zum ersten Referendum, das in Griechenland seit dem Ende der Diktatur abgehalten werden würde, die noch größere Katastrophe, nämlich einen tatsächlichen Linksrutsch, im Lande verhindern will, ist keineswegs abwegig, und so kann nicht ausgeschlossen werden, daß das mediale Getöse, mit dem seine aufsehenerregende Ankündigung quittiert wurde, Bestandteil eines Befriedungsszenarios gegen die bereits seit Jahren protestierende griechische Bevölkerung ist.

Anmerkungen

[1] Erpressungsplan. In griechischer Opposition hagelt es Kritik an Papandreous Ankündigung eines Referendums über Schuldenschnitt. Von Heike Schrader, junge Welt, 02.11.2011, S. 7

[2] Alle Infos zur Griechenland-Krise, Online-Ausgabe der BILD-Zeitung, 02.11.2011,
http://www.bild.de/politik/ausland/griechenland-krise/griechenland-euro-referndum-papandreou-stellt-vertrauensfrage-merkel-sarkozy-g-20-gipfel-in-cannes-20776246.bild.html

[3] Zit. aus: Papandreous Trick, junge Welt, 02.11.2011, S. 8


2. November 2011