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GRENZEN/043: Umstrittene Grenzsicherungsforschung - Rüstungsindustrie in EU-Beratungsausschüssen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. Januar 2013

Migration: Umstrittene Grenzsicherungsforschung - Rüstungsindustrie in EU-Beratungsausschüssen

von Apostolis Fotiadis und Claudia Ciobanu


Bild: © Nikos Pilos/IPS

Migranten, die von der griechischen Küstenwache aufgegriffen wurden
Bild: © Nikos Pilos/IPS

Athen/Warschau, 16. Januar (IPS) - Bei der Entwicklung neuer Systeme zur Überwachung der EU-Außengrenzen ist die Europäische Union eine für Konzerne profitable Zusammenarbeit mit der Industrie eingegangen.

Der erste Schritt zur neuen Grenzsicherung erfolgte 2004, als das Europäische Sicherheitsforschungsprogramm (ESRP) geschaffen wurde. Als Teil des Siebten Rahmenforschungsprogramms (FP7) der EU wird ESPR im Haushalt 2007 bis 2013 berücksichtigt. Beide Programme wurden zunehmend dazu genutzt, um neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur besseren Grenzkontrolle zu gewinnen.

Unter anderem soll auf diesem Weg EUROSUR weiterentwickelt werden. Das System zur Überwachung der EU-Außengrenzen soll die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Ämtern der EU-Mitgliedsstaaten stärken und die Kontrolle der Grenzen durch die EU-Grenzbehörde 'Frontex' vorantreiben.

'Smart Borders' wird ein 'Entry Exit'-Modell einführen, mit dem Personen ausfindig gemacht werden sollen, deren Visa abgelaufen sind. Geplant ist außerdem ein Programm zur Registrierung Reisender (RTP), das bereits überprüften Personen den Grenzübergang erleichtert. Dazu sollen verstärkt biometrische und persönliche Daten gesammelt werden.


Waffenlobby sitzt in EU-Beratungsausschüssen

Große Hersteller von Waffen und Sicherheitssystemen sind seit Beginn in den Ausschüssen vertreten, die die Europäische Kommission dabei beraten, von ESPR und FP7 finanzierte Forschungen voranzubringen. Aus der von der Heinrich Böll Stiftung 2012 veröffentlichten Studie 'Grenzwertig', die sich mit dem neuen Grenzüberwachungssystem der EU befasst, geht hervor, dass Vertreter der Unternehmen 'Finmeccanica', 'Thales' und der europäische Rüstungskonzern EADS bestehend aus den Firmen 'Airbus', 'Astrium', 'Cassidian' und 'Eurocopter' sowie industrielle Lobbygruppen den EU-Sicherheitsberatungsausschüssen angehören.

2006 saß dem Beratungsausschuss zur Europäischen Sicherheitsforschung der damalige EADS-Direktor Markus Hellenthal vor, der dann zu dem französischen Konzern Thales wechselte. 2007 brachte das Europäische Sicherheitsforschungs- und Innovationsforum die Industrie und europäische Politiker erneut zusammen, um einen Ausblick auf 20 Jahre ESPR zu entwerfen, wie die Studie der Böll Stiftung darlegt.

Dieses 'Working 3 Forum' stand unter dem Vorsitz von Frontex. Das italienische Unternehmen Finmeccanica trat als Berichterstatter auf. Das Forum entwickelte ein Konzept für eine umfassende Grenzkontrolle und empfahl den EU-Staaten, der Beschaffung von erschwinglicher Ausrüstung zu diesem Zweck Priorität einzuräumen.

Nach Angaben der Europäischen Kommission saßen nicht in erster Linie Repräsentanten der Industrie in diesen Ausschüssen. Wie aus einer Email-Antwort an IPS hervorgeht, waren in den FP7-Beratungsgruppen Mitarbeiter des deutschen und polnischen Zivilschutzes, nationaler Behörden, Universitäten, Forschungseinrichtungen und des israelischen Roten Kreuzes in den Gremien. Die dort vertretenen Unternehmen profitierten von Sicherheitsfonds, die FP7 bereitstellte. Auf diesem Weg wurden hohe Summen für EUROSUR und Smart Borders zur Verfügung gestellt.

Das ebenfalls von der EU geschaffene Projekt PERSEUS zum Schutz der Meere und Grenzen wird mit 43,6 Millionen Euro finanziert und unter anderem von Tochterfirmen von EADS und Boeing umgesetzt. Das Projekt OPARUS, das den Einsatz von Drohnen vorsieht und 1,4 Millionen Euro kostet, begünstigt die Unternehmen 'Sagen', 'BAE Systems', IAI und zwei Thales-Tochtergesellschaften. SEABILLA zur Kontrolle der Seegrenzen wird mit 15,5 Millionen Euro unterstützt und begünstigt Thales, Sagem und einzelne BAE-Töchter.

Etwa 200 Millionen Euro wurden von FP7 für die "intelligente Überwachung und Grenzsicherung" bereitgestellt. Davon profitierten Tochterunternehmen von Thales, BAE, IAI oder EADS im Verbund mit Forschungsinstituten. Während die Projekte umgesetzt wurden, führte Frontex Vertreter der nationalen Grenzbehörden, der Europäischen Kommission und der Industrie zum regelmäßigen Meinungsaustausch über die notwendige Ausrüstung bei der Durchführung der Programme EUROSUR und Smart Borders zusammen.

"Wir selbst betreiben keine Forschung", sagte Edgar Beugels, Direktor der Entwicklungsabteilung bei Frontex, am Rande einer Tagung zu Smart Borders im September in Warschau. "Wir verlassen uns auf die Erkenntnisse anderer - von internationalen Forschungsinstituten, Industrieunternehmen, Universitäten und Mitgliedsstaaten. Frontex organisiert nicht nur solche Tagungen, sondern auch Schauen, auf denen die Funktionsweise der Sicherheitsausrüstung im größeren Umfang vorgeführt wird."


EU-Kommission sieht keinen Interessenskonflikt

Die Europäische Kommission erklärte, sie sehe keinen Interessenkonflikt in der Zusammenarbeit mit der Industrie bei der Sicherheitsforschung und der Werbung für die Anschaffung der Ausrüstung durch die EU-Staaten. Es sei nicht möglich, ein Forschungsvorhaben ohne eine Firma durchzuführen, die theoretische Analysen zu einer funktionierenden Technik weiterentwickeln könne, erklärte das Büro von Marco Malacarne, dem Leiter der Abteilung für Sicherheitsforschung in der Generaldirektion Unternehmen und Industrie der EU-Kommission. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://europa.eu/legislation_summaries/justice_freedom_security/free_movement_of_persons_asylum_immigration/l14579_en.htm
http://www.boell.de/publikationen/publikationen-grenzwertig-studie-grenzueberwachung-europaeische-union-14657.html
http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-07-346_en.htm
http://www.ipsnews.net/2013/01/people-pay-for-research-against-migrants/

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 16. Januar 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2013