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FISCHEREI/002: Die kulinarische Zukunft der Meere (research*eu)


research*eu Sonderausgabe - Dezember 2007
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Aquakultur - Die kulinarische Zukunft der Meere

Von Julie Van Rossom


Fisch ist für einige Völker lebenswichtige Eiweißquelle, für andere Gesundheitskapital. Sein Verbrauch ist derart gestiegen, dass die natürlichen Ressourcen nicht mehr ausreichen, um der weltweiten Nachfrage gerecht zu werden. Eine hervorragende wirtschaftliche Chance für die Aquakultur, die jedoch mit zahlreichen gesundheitlichen Risiken und Umweltproblemen einhergeht.


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Zu einem Zeitpunkt, an dem die Fangquoten insgesamt bei um die 95 Mio. Tonnen pro Jahr stagnieren, konzentrieren sich die Hoffnungen auf die Aquakultur, die bereits 46 % der für den Verzehr vorgesehenen Produktion abdeckt. In Europa wird hauptsächlich der Bereich der marinen Aquakultur ausgebaut, der in der EU nur wenig entwickelt ist, obgleich er mehr als die Hälfte der weltweiten Aquakulturproduktion liefert. "Mehr als die Hälfte der europäischen Küsten sind zu stark den Wellen und Winden des Atlantiks ausgesetzt - ein Faktor, der die Einrichtung dieser Art von Zucht erschwert", erklärt Alistair Lane, Direktor der Europäischen Gesellschaft für Aquakultur (EAS - European Aquaculture Society). "Zahlreiche Innovationen ermöglichen jedoch in absehbarer Zeit die Erweiterung der europäischen marinen Aquakultur. Eine vielversprechende Aussicht, vor allem für die Fischer, die bereits aufgrund der Überfischung mit dem Verlust vieler Arbeitsplätze zu kämpfen haben. Die Beteiligung der Fischer an der Entwicklung der Aquakultur im Meer ist ein großer Vorteil, denn keiner kennt dieses Milieu besser als sie", schließt Alistair Lane.

Die Aquakultur könnte folglich eine hervorragende Alternative zur Überfischung darstellen, sofern diese althergebrachte Technik im Einklang mit ihrer Umwelt praktiziert wird. Davon hängt sowohl eine gesunde Population wild lebender Arten als auch die Nachhaltigkeit des gesamten Sektors ab. Diesbezüglich hat die Europäische Kommission 2002 ihre erste Strategie für die europäische Aquakultur eingeführt, die die Forschungsbereiche festlegt, um die Produktion zu erhöhen, eine optimale Qualität für die Verbraucher aufrechtzuerhalten und Umweltschutz auf hohem Niveau zu gewährleisten. Obwohl diese Strategie 2007 Gegenstand einer breit angelegten Konsultation zur Verbesserung des Systems war, sind die drei ursprünglichen Ziele auch weiterhin aktuell.


Begrenzung der Umwelteinflüsse

Die Aquakultur bringt zahlreiche Umweltprobleme mit sich: Nitrate und Phosphate aus Exkrementen, Antibiotika, Reinigungsmittel oder Einschleppung faunenfremder Arten. Ein schwieriges Problem, dem die Forscher besondere Aufmerksamkeit widmen, denn über die genaue Funktionsweise der Meeresökosysteme ist bisher nur wenig bekannt. Nach dem Vorsorgeprinzip, das insbesondere durch die neue Gemeinsame Fischereipolitik (1) von 2002 vorgeschrieben wird, muss die wissenschaftliche Unsicherheit hinsichtlich einer Aktivität im Meer zumindest durch eine vorherige vollständige wissenschaftliche Bewertung der Umweltrisiken abgefedert werden. Ein derartiger Ansatz ist auch im Interesse der Aquakulturen, deren Rentabilität zum großen Teil von einer gesunden Umwelt abhängt. Deutlicher Beleg hierfür sind die regelmäßigen Verluste der Schalentierproduzenten aufgrund der starken Vermehrung bestimmter Algen, die Toxine produzieren. Es bleiben allerdings andere unbekannte Faktoren, insbesondere in Bezug auf Schadstoffe, denn die Zuchtanlagen können nicht mit Wasserumlaufsystemen ausgestattet werden, und alle Abfälle werden ins Meer eingeleitet. Außerdem befürchten die Spezialisten eine Veränderung des genetischen Erbes der wild lebenden Arten, die sich mit Fischen kreuzen, die aus den Zuchtanlagen entwichen sind. Doch unsere Erkenntnisse auf diesem Gebiet sind noch recht spärlich. Die Gefahren der Aquakultur quantitativ zu bestimmen, ist das Hauptziel von Ecasa (2). Dieses Projekt soll die besten Indikatoren ermitteln, anhand derer sich die Umweltbelastung durch die Aquakultur bewerten lässt, um dann geeignete Modelle für die verschiedenen europäischen marinen Aquakulturen entwickeln zu können. Da die marine Aquakultur sich den Raum außerdem mit anderen Nutzern des Meeres teilen muss - Touristen, Freizeithäfen, Fischer usw. - soll das Projekt auch die Standorte auswählen, die sich für die Entwicklung von Fischfarmen am besten eignen. Die Hauptaufgabe dieses Maßnahmenkatalogs besteht darin, den Betreibern ein besseres Verständnis für die Wechselbeziehung zwischen Aquakultur und Umwelt zu vermitteln.


Nachhaltiges Fischfutter

Die europäische marine Aquakultur konzentriert sich insbesondere auf die Zucht von Raubfischen. Die drei hauptsächlich produzierten Arten, Atlantischer Lachs, Steinbutt und Seebarsch, ernähren sich in ihrem natürlichen Lebensraum ausschließlich von Fischen. Um 1 kg Lachs zu produzieren, sind jedoch Mehl und Öl aus 4 kg Fisch notwendig. Eine Praxis, die ernste Probleme für die Nachhaltigkeit in sich birgt. Die verstärkte Raubfischzucht setzt folglich einen stärkeren Druck auf die pelagischen Fischbestände (3) mit geringem Handelswert voraus, die für die Herstellung der notwendigen Mengen Fischmehl und -öl benötigt werden. Ersatzstoffe pflanzlichen Ursprungs werden schon jetzt den Futtermitteln für die Fischzucht beigemischt, jedoch muss die Technik verbessert werden um die Auswirkungen der Aquakultur auf die frei lebenden Fischbestände zu begrenzen. Gleich mehrere Forschungsprojekte versuchen, dieses Problem zu lösen, unter ihnen auch AquaMax(4), das zum Großteil von der Europäischen Kommission finanziert wird. Dieses Projekt soll neue Futtermittel entwickeln und deren Qualität und Auswirkungen auf den Lebenszyklus der einzelnen Fische in der Aquakultur, auf die Zucht sowie auf die Verbraucher und die Umwelt bewerten. "Die größte Schwierigkeit besteht darin, die ideale pflanzliche Zusammensetzung zu finden, die eine qualitativ hochwertige Ernährungsalternative gewährleistet. Eine langwierige Arbeit, denn jede Art hat ihre spezifischen Bedürfnisse", erklärt Bente Torstensen, Forscherin am NIFES (5) und verantwortlich für den Teil Fettstoffwechsel der Lachse im Rahmen von AquaMax. Dieser Ansatz hat nicht nur den Vorteil, die Verwendung von Wildfängen zu beschränken, sondern verbessert auch die Produktqualität. "Die natürliche Umgebung enthält oftmals zahlreiche Schadstoffe, die von den wild lebenden Wasserorganismen aufgenommen werden", erklärt Bente Torstensen. "Durch die geringere Verwendung von Fangfisch lässt sich die Kontaminierung der Zuchtfische besser kontrollieren, wodurch natürlich auch die Gefahren für die Verbraucher gesenkt werden können. Jedoch könnte durch die Verwendung von pflanzlichen Ressourcen der Pestizidgehalt der Produkte steigen. Leider gibt es keine Patentlösung. Daher müssen die Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen werden, um das ideale Ersatzmittel zu finden."


Optimierung der Aquakulturproduktion

Ein gesundes Produkt ist sicher ein wichtiges Anliegen für den Verbraucher, es ist jedoch nicht das einzige Qualitätskriterium. Das Auge isst bekanntlich immer mit: Ein missgebildeter Fisch würde folglich keinen Platz auf unserem Teller finden. Dieses Phänomen wird in natürlichen Lebensräumen automatisch durch Prädation geregelt, was für die Zuchtanlagen jedoch einen drastischen Gewinnverlust bedeutet, denn ein missgebildeter Fisch frisst mehr und wird folglich aus der Produktion entfernt. Durch Ermittlung und Abänderung der Faktoren, die das Auftreten von Missbildungen fördern, lassen sich Verluste senken und damit die Produktivität der Zuchtanlagen erhöhen. Eine derartige Verbesserung würde zu einer Senkung der Produktionskosten für Satzfische führen, was für den gesamten Aquakultursektor von Vorteil wäre. Finefish (6), ein Projekt unter Leitung des Verbandes der Europäischen Aquakultur-Produzenten (FEAP, Federation of European Aquaculture Producers), versucht genau dieses Problem durch die Untersuchung der drei Hauptfaktoren zu erreichen, die offensichtlich für Missbildungen bei Jungfischen verantwortlich sind: Temperatur, Futter und Umgebung des Zuchtbeckens. "Wir versuchen herauszufinden, wie diese Faktoren optimiert werden können, um den Anteil missgebildeter Fische bei den fünf verschiedenen Zuchtarten zu begrenzen", sagt Margreet van Vilsteren, Projektassistentin bei der FEAP. "In Forschungszentren wird eine experimentelle Phase durchgeführt. Die Ergebnisse werden dann vor Ort in den zehn Zuchtanlagen, die an dem Projekt teilnehmen, getestet. Auf diese Weise können wir sie in der Praxis unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten bewerten und ihre optimale Wirksamkeit gewährleisten."

Andere Studien versuchen, die Kontrolle sämtlicher Entwicklungsstadien der Fische durch die Aquakultur zu nutzen, um die vorteilhaften Eigenschaften der Meeresprodukte zu erhöhen. Im Rahmen von Seafoodplus(7), einem weiteren umfassenden EU-finanzierten Forschungsprogramm mit dem Ziel, Meereserzeugnisse aufzuwerten, versucht Edward Schram, Forscher bei IMARES(8), die Fischfilets mit organischem Selen anzureichern, wovon einige Bestandteile krebshemmende Eigenschaften haben sollen. Daher hat der Wissenschaftler den Futtermehlen für die Aquakultur Knoblauch zugesetzt, der bekanntermaßen reich an organischem Selen ist. Das Experiment war ein Erfolg: Im Fleisch der Versuchstiere, Afrikanische Welse, wurde eine deutliche Selenanreicherung festgestellt, ohne dass ihr Stoffwechsel gestört wurde. "Wir warten jetzt darauf, dass die Universität Madrid eine Versuchsmethode entwickelt, mit der sämtliche Selenbestandteile identifiziert und quantifiziert werden können, die in den Fischfilets festgestellt werden. Der Übergang des Selens wurde nachgewiesen, aber wir müssen sicher gehen, dass die betreffende Substanz auch tatsächlich im Fischfleisch vorhanden ist", erklärt Edward Schram. Bleibt abzuwarten, wie die Verbraucher reagieren. Eine Studie im Rahmen von Seafoodplus zeigt, dass sie den neuen, verbesserten Naturprodukten etwas zurückhaltend gegenüber stehen...



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Mehr Einzelheiten
Aquakultur - Kurzer geschichtlicher Überblick

Die Spuren der ersten rudimentären Fischzuchten stammen aus der Zeit um 2000 v. Chr. und wurden in China und Ägypten entdeckt. Anderthalb Jahrtausende später begannen die Griechen mit der Austernzucht, während die Vallikultur, bei der die auf ihrem Weg ins Brackwasser gefangenen Fische zurückgehalten werden, erst im 15. Jahrhundert aufkommt.

Erst mit der Entdeckung der künstlichen Befruchtung der Lachse im 17. Jahrhundert wurde der gesamte Lebenszyklus einer Fischart kontrolliert. Das 20. Jahrhundert sieht den Boom der Aquakultur als neue Eiweißquelle für die rapide wachsende Weltbevölkerung.

Die ersten Aalzuchten kamen in Japan in den 50er Jahren auf. In den folgenden zehn Jahren etablierte sich die Zucht der Regenbogenforelle in Europa und den USA. Ab den 70er Jahren kamen mit Makrele, Wels und bestimmten Muschelarten die ersten Besatzfischereien auf, bei denen die frühen Entwicklungsstadien kontrolliert werden, um den natürlichen Lebensraum wieder neu zu besetzen. In den folgenden Jahrzehnten verbreiteten sich neue Aquakulturen, hauptsächlich im Meer, mit der Produktion von Lachs, Garnele, Seebarsch bzw. Dorade und seit kurzem mit der Zucht von Thunfisch, dessen Vermehrung jedoch noch unzureichend kontrolliert wird. Hier werden die Satzfische im Meer gefangen und dann in der Aquakultur gemästet. Diese Praxis hat sich jedoch den Zorn einiger Umweltschutzorganisationen zugezogen...


Internet:
www.ecasa.org.uk/
www.aquamaxip.eu/
www.aquamedia.org/finefish/
www.seafoodplus.org/


Anmerkungen:

(1) Siehe Fischereiartikel S. 16-18. [Im Schattenblick unter EUROPOOL\ERNÄHRUNG\FISCHEREI/001: ]

(2) An Ecosystem Approach for Sustainable Aquaculture. Die Europäische Kommission finanziert das Projekt mit 2,5 Mio. EUR.

(3) Fische im offenen Meer in den oberen Schichten der Wassersäule (0 bis 200 m).

(4) Sustainable Aquafeeds to Maximise the Health Benefits of Farmed Fish for Consumers - Die Europäische Kommission unterstützt hier mit 10,5 Mio. EUR bei einem Gesamtbudget von 15 Mio. EUR.

(5) National Institute for Nutrition and Seafood Research (NO).

(6) Improving sustainability of European fish aquaculture by control of malformations - Das Gesamtbudget beträgt 4,8 Mio. EUR, wovon 3 Mio. EUR von der Kommission getragen werden.

(7) Health promoting, safe seafood of high eating quality in a consumer driven fork-to-farm concept.

(8) Institute for Marine Resources and Ecosystem Studies (NL). Pelletsfütterung in den Seebarschkäfigen bei Cannes Aquaculture in Golfe-Juan(Frankreich).


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

> Lachszucht in Vestnes (Norwegen). Eine Praxis, die die Überfischung "ausgleichen" und die Wildarten in der Nähe schützen könnte.

> Die norwegische Station für Aquakulturforschung (Fiskeriforskning) in Tromsö bildet den Kern von Ethiqual, das im Rahmen des europäischen Seafoodplus-Projekts durchgeführt wird. Die Forscher beobachten insbesondere das Verhalten und die Stresstoleranz der verschiedenen Zuchtfischstämme.

> Aquakultur in der Türkei. Diese Farm befand sich in der Nähe eines Feriendorfs und musste verlegt werden, um nicht die Entwicklung des örtlichen Tourismus zu behindern.


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Quelle:
research*eu Sonderausgabe - Dezember 2007, Seite 19
Magazin des Europäischen Forschungsraums
Copyright: Europäische Gemeinschaften, 2007
Herausgeber: Referat Information und Kommunikation der
GD Forschung der Europäischen Kommission
Chefredakteur: Michel Claessens
Redaktion: ML DG 1201, Boîte postale 2201, L-1022 Luxembourg
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Internet: http://ec.europa.eu./research/research-eu

research*eu erscheint zehn Mal im Jahr und wird auch
auf Englisch, Französisch und Spanisch herausgegeben.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2008