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ARTIKEL/002: TTIP, CETA und die Europäische Bürgerinitiative (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2014
REGulIEREN - ABER WIE?
Vom Sinn und Unsinn der (De-)Regulierung

TTIP, CETA und die Europäische Bürgerinitiative
Eine Faust auf dem Verhandlungstisch

Von Michael Efler


Während die EU-Kommission sich bei der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen der EU und den USA erst im November zum Investitionsschutz äußern will, schafft sie beim Abkommen mit Kanada (Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen, CETA) mitten in der Sommerpause Fakten. Eine Europäische Bürgerinitiative gegen beide Abkommen, die immer mehr Fahrt aufgenommen hatte, wurde zunächst von der EU-Kommission gestoppt.


Mitte Juli hat in Brüssel die sechste TTIP-Verhandlungsrunde stattgefunden. Nach wie vor gibt es nur tröpfchenweise Informationen. Verhandlungstexte, die es für immer mehr Gebiete gibt, werden nicht veröffentlicht, sondern können neben den Verhandlungspartnern nur von einigen wenigen Abgeordneten in einem speziellen Leseraum zur Kenntnis genommen werden. Aus den offiziellen Berichten geht im Übrigen deutlich hervor, dass gerade die EU eine ambitionierte Agenda verfolgt. So möchte die EU-Kommission im Unterschied zu den USA auch Finanzdienstleistungen vom TTIP erfassen, sie möchte eine Negativliste für den Marktzugang bei Dienstleistungen (die USA wollen eine Positivliste) und drängt massiv auf eine Öffnung der Beschaffungsmärkte der US-Bundestaaten und -Kommunen. Fortschritte gibt es beim problematischen Thema regulatorische Kooperation,(1) bei welchem die EU darauf drängt, frühzeitig in Regulierungsprozesse der USA einbezogen zu werden. Es wird zwar auch über Umwelt- und Arbeitsstandards verhandelt, doch selbst aus den vagen Verhandlungsberichten geht hervor, dass es sich hier wohl kaum um "harte" Bestimmungen handeln dürfte. So sollen die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) lediglich "reflektiert" werden. Hinsichtlich des Investitionsschutzes gibt es nach wie vor eine Verhandlungspause bezüglich des Themas Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren. Jedoch wird auf anderen Gebieten des Investitionsschutzes weiter verhandelt (unter anderem zu Marktzugang).

Offensive beim CETA-Abkommen

Während sich die TTIP-Verhandlungen noch mindestens bis Ende 2015 hinziehen dürften, geht es beim EU-Kanada-Abkommen auf einmal ganz schnell. Mitten in der Sommerpause Anfang August wurde von der EU-Kommission und der kanadischen Regierung erklärt, dass die Verhandlungen abgeschlossen seien. Beim EU-Kanada-Gipfel am 25.-26. September 2014 sollen die Verhandlungen offiziell für beendet erklärt werden. Danach muss der Europäische Rat über die Genehmigung der Unterzeichnung beschließen, anschließend erfolgt das Ratifikationsverfahren, bei dem in jedem Fall auch das Europäische Parlament abstimmen muss. Ob auch die nationalen Parlamente zustimmen müssen, ist noch offen.

Der Verhandlungstext ist natürlich immer noch nicht offiziell veröffentlicht worden. Jedoch wurde er geleakt und auf die Homepage der Tagesschau gestellt.(2) Wohl kaum jemand wird es bisher geschafft haben, die 1.500 Seiten Vertragstext (derzeit ausschließlich englischsprachig) durchzuarbeiten - auch ich nicht. Es gibt aber bereits Teilanalysen des Textes und im Bereich Investitionsschutz fällt auf, dass er nahezu wortgleich mit dem Text ist, welcher der öffentlichen Konsultation der EU-Kommission zum TTIP-Investitionsschutzkapitel zugrunde lag. Mit anderen Worten: Die Kommission hat - zumindest für den CETA-Vertrag - ihre eigene Konsultation vollständig ignoriert. Dies lässt nichts Gutes für die im November zu erwartende, offizielle Auswertung der Konsultation hoffen. Natürlich sind auch die besonders kontroversen Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren (ISDS) enthalten, gegen die sich die überwältigende Mehrheit der Eingaben bei der Konsultation grundsätzlich richtete. Mithilfe dieses Verfahrens bekommen kanadische Investoren ein Schwert gegen unliebsame Regulierungen der EU (und natürlich auch umgekehrt EU-Investoren gegen Kanada) in die Hand. Dies würde übrigens auch amerikanischen Investoren mit Sitz in Kanada zugutekommen, da sie somit bereits die Möglichkeit von Schiedsklagen erhalten, vorausgesetzt sie verfügen über "substanzielle Geschäftstätigkeiten" in Kanada.

Während das Investitionskapitel im prozessualen Bereich einige Fortschritte aufweist beispielsweise durch eine erhöhte Transparenz des Verfahrens, sieht das bei einigen substanziellen Regelungen ganz anders aus. So wird der Begriff der Investition und damit der Geltungsbereich des Abkommens extrem weit ausgedehnt. Erfasst sind damit unter anderem das Eigentum an beweglichen und unbeweglichen Sachen, Firmenanteile, Aktien, Anleihen und Portfolioinvestitionen, die so genannten "Rechte des geistigen Eigentums" (wie Urheberrechte, Patente, Marken, Sortenschutzrechte), öffentlich-rechtliche Konzessionen (zum Beispiel im Bergbau) und andere Ansprüche auf Geld oder Leistungen, die einen wirtschaftlichen Wert haben. Und ein Investor muss noch nicht einmal eine Investition getätigt haben. Es reicht bereits aus, dass er eine plant. Auch der Kultursektor sollte sich das Abkommen genau ansehen. So gibt es keine allgemeine Bereichsausnahme für die Kultur, sondern nur für audiovisuelle Dienstleistungen.

Europäische Bürgerinitiative

Noch sind beide Abkommen zu stoppen. Selten hat sich in Europa so schnell ein so breites Bündnis konstituiert, das entschlossen ist, die EU-Kommission zu stoppen. 235 Organisationen aus 21 EU-Mitgliedsstaaten (Stand: 14. September 2014), darunter auch das Forum Umwelt und Entwicklung, haben sich gesucht und gefunden - täglich kommen weitere Initiativen hinzu. Was sie verbindet, ist der Stopp von TTIP und CETA. Die Zeit drängt, die Lage ist ernst. Was und wie hier verhandelt wird, ist ein Generalangriff auf die Demokratie und rechtsstaatliche Standards. Deshalb hat das Bündnis am 15. Juli 2014 eine Europäische Bürgerinitiative (EBI) angemeldet: "Wir fordern die EU-Kommission auf, dem Rat zu empfehlen, das Verhandlungsmandat über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) aufzuheben sowie das Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA) nicht abzuschließen",(3) so der Wortlaut. Kurz vor Redaktionsschluss hat die EU-Kommission die Zulassung dieser Initiative verweigert. Nach Auffassung der Kommission ist das Verhandlungsmandat ein vorbereitender Akt, der nicht durch eine EBI beeinflusst werden kann. Und außerdem legt die Kommission das Instrument so aus, dass nur die Zustimmung zur Ratifikation eines internationalen Vertrages verlangt werden kann, nicht aber dessen Ablehnung. Damit zeigt die Kommission erneut, dass sie auf Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger keinerlei Wert legt. Wahrscheinlich werden die Organisatoren der EBI nun den Europäischen Gerichtshof anrufen und die Kampagne in anderer Form fortführen.

Entleerte Demokratie

Wird in den EU-Mitgliedsstaaten nicht gerade darum gerungen, wie mehr Mitsprache erreicht und Einflussrechte der Bürgerinnen und Bürger gestärkt werden können? Und gleichzeitig wird völlig im Geheimen über Eckpfeiler einer zukünftigen Handels- und Wirtschaftspolitik verhandelt, so als ginge das die Bürgerinnen und Bürger nichts, aber auch gar nichts an. Es geht ja nicht darum, einen Livestream der Verhandlungsrunden einzurichten. Aber eine demokratische Beteiligung an der Erarbeitung des Verhandlungsmandates, also eine Diskussion, wie weit die eine Seite der anderen entgegen kommen sollte, müsste so selbstverständlich sein wie die öffentliche Auslegung eines Bebauungsplans. Von hier aus gedacht, wäre es nur konsequent Mittel und Wege anzubieten, welche die Verhandlungsführung demokratisch kontrollieren könnten. Nichts da. Die demokratische Legitimation beschränkt sich darauf, dass die Abkommen dem Europäischen Parlament und den, sofern dies nicht noch verhindert wird, nationalen Parlamenten vorgelegt werden - mit der Bitte um Zustimmung. Was auch sonst. Es ist kaum davon auszugehen, dass nach jahrelangen und zähen Verhandlungen wegen einzelner Punkte die Abkommen zurückgewiesen werden. Mit dieser Verhandlungsstrategie zeigt sich, wie die Bürgerinnen und Bürger von Rat und EU-Kommission angesehen werden. Jedenfalls nicht als die, von denen jede staatliche Souveränität auszugehen hat. Welchen Stellenwert sollen Wahlen noch haben, wenn so zentrale politische Bausteine nicht nur jenseits der Zivilgesellschaft, sondern auch entzogen vom Einfluss der Parlamentarier zementiert werden? Dies könnte eine fatale Gegenreaktion hervorrufen: Die Bürgerinnen und Bürger könnten den Vertrauensvorschuss, den sie der EU und ihren Organen gewährt haben und der seit der Unterzeichnung des Lissabon-Vertrages eher ab- als zugenommen hat, vollständig vom Vertrauenskonto abbuchen. Die EU entleert sich zu einem seelenlosen Büttel im Dienste der Konzerne.

Es ist Zeit, aufzustehen.

Mit dem europaweiten BürgerInnenprotest werden wir den Widerstand gegen diese Freihandelsabkommen europaweit verstärken und Druck auf die EU-Institutionen, insbesondere das Europäische Parlament, ausüben. Es kommt auf jede und jeden an. Machen wir dieses Europa zu unserer Sache!


Autor Michael Efler ist Bundesvorstandssprecher von Mehr Demokratie e.V. und Mitglied im Bürgerausschuss der Europäischen Bürgerinitiative "Stop TTIP".


Anmerkungen

(1) Siehe hierzu auch in diesem Rundbrief: Kosten und Nutzen einer neuen "Partnerschaft", Rundbrief 3/ 2014, S. 4f.

(2) http://www.tagesschau.de/download/ceta-111.zip.

(3) www.stop-ttip.org.

Mehr Informationen finden sie unter folgendem Link:
www.stop-ttip.org


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2014, Seite 14-15
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2014

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