Schattenblick → INFOPOOL → EUROPOOL → BRENNPUNKT


PARLAMENTE/001: Wahlen - Glücksrad Italien ... (Gerhard Feldbauer)


Beginn der Wahl des neuen Staatspräsidenten in Italien

Für PD kandidiert früherer Christdemokrat und Moro-Anhänger Sergio Mattarella

Premier Renzi bringt linke PD-Wähler auf Vordermann

von Gerhard Feldbauer, 29. Januar 2015


Der Showdown für die heute (Donnerstag) 15 Uhr im Montecitorio (Sitz der Abgeordnetenkammer) beginnende Wahl eines Nachfolgers für den am 14. Januar vorzeitig zurückgetretenen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano erreicht seinen ersten Höhepunkt. Zunächst setzte im Vorfeld scharfe Kritik der Partei "Linke und Umwelt" (SEL) und der linken Minderheit in der regierenden Demokratischen Partei (PD) an der Kollaboration des PD- und Regierungschefs Matteo Renzi mit dem Chef der faschistoiden Forza Italia (FI), Silvio Berlusconi, zur Nominierung eines gemeinsamen Kandidaten ein. Beide Parteiführer wollten, schrieb der Corriere della Sera, in "voller Übereinstimmung" antreten. Der legendäre linksliberale Journalist Eugenio Scalfaro, Herausgeber der Repubblica, schrieb in seinem Blatt, Renzi habe damit "die Rehabilitierung des Berlusconismus" herbeigeführt.


Wählt PD zunächst Scheda bianca?

Das scheint nun - zumindest vorerst - gescheitert. Als Berlusconi mitteilte, der Mitbegründer seiner FI, Antonio Martino, werde als Kandidat antreten (später zog der Ex-Premier dessen Nominierung zurück), gab Renzi am Montag zunächst bekannt, die PD werde zu den ersten drei Wahlgängen (zu denen eine Zweidrittelmehrheit erfoderlich ist) Scheda bianca (weiße Wahlscheine) abgeben und ab dem für Sonnabend angesetzten vierten Votum (zu dem die einfache Mehrheit genügt) mit einem eigenen nur von ihr benannten Bewerber antreten. Der Regierungschef gab sich, wie die Nachrichtenagentur ANSA berichtete, zuversichtlich, dass am Sonnabend ein neuer Präsident gewählt werde. Gegen weiße Wahlscheine gab es Widerspruch in der PD, sodass noch nicht sicher ist, ob so verfahren wird.


Einfluss von Syriza offensichtlich

Auf die Entscheidungen in der PD wirkte offensichtlich der Wahlsieg von Syriza und die Berufung von Alexis Tsipras, ein großes Idol der PD-Linken, und sein anschließendes Bündnis mit der am rechten Rand stehenden nationalistischen Partei "Unabhängige Griechen". Jedenfalls zeigte Stefano Fassino von der PD-Linken, der vorher Renzis Absprachen mit Berlusconi verurteilt hatte, laut Repubblica online plötzlich Verständnis "für einen Dialog" mit dem Forza-Chef. Auch SEL-Chef Nicchi Vendola, Präsident der Mitte-Links-Regierung in Apulien, scheint zur PD umzuschwenken, so dass Renzi dann zusammen mit den 450 Stimmen seiner PD, denen der Liste des Übergangspremiers Mario Monti, wie Repubblica heute schreibt, sogar auf 600 der insgesamt 1.008 Mitglieder zählenden Versammlung der Abgeordneten, Senatoren und Vertretern der Regionen (Länder) kommen könnte.


Kaum Chancen für Prodi

Obendrein könnten sich noch 10 Dissidenten der Protestbewegung M5S auf die Seite Renzis schlagen. Ihr Chef Beppe Grillo hatte abgelehnt, aber vorher bekundet, den früheren Ministerpräsidenten von Mitte Links, Romano Prodi, zu wählen, wenn er aufgestellt wird. Renzi ist jedoch strikt gegen eine Bewerbung Prodis, der ihm viel zu links steht. Damit dürfte dieser kaum Chancen haben.


Moro-Anhänger mit Chancen

Zwei Gesichtspunkte spielten eine Rolle: Berlusconi hatte sich überreizt, als er durch seinen Fraktionschef in der Abgeordnetenkammer, Renato Brunetta, verlauten ließ, für eine Zustimmung zu einem PD-Kandidaten müsste der gewählte Staatschef anschließend das gegen Berlusconi verhängte Ämterverbot aufheben. Der engste Verbündete des Ex-Premiers, Lega-Chef Roberto Calderoni, hakte nach, damit wäre für den FI-Chef die Rückkehr in die Politik frei und "eine Rückkehr zu einer Regierung unter Berlusconi" möglich. Selbst seinem Regierungspartner Angelo Alfano, Chef der von der FI 2013 abgespaltenen neuen Rechtspartei NCD ging das zu weit. Er protestierte, wie ANSA berichtete, ein gemeinsamer Kandidat könne nicht das Ergebnis "exklusiver Absprachen zwischen Renzi und Berlusconi" sein.

Zum anderen dürfte die Person, die Renzi für den vierten Wahlgang am Sonnabend ankündigte, eine Rolle spielen. La Repubblica bestätigte heute, das ist der aus der früheren Democrazia Cristiana (DC) kommende Sergio Mattarella, der bei der Fusion der Linksdemokraten mit dem DC-Nachfolger Margherita 2007 zur PD stieß. Was ihn für die PD-Linke wählbar macht, sein Bruder, Piersanti war ein Anhänger der Regierungszusammenarbeit Aldo Moros mit IKP-Generalsekretär Enrico Berlinguer. Auch nachdem der DC-Führer einem Mordkomplott der CIA zum Opfer fiel, hielt er als Ministerpräsident von Sizilien an dem Bündnis mit den Kommunisten fest und wurde deshalb von Faschisten und Mafia-Killern 1979 ebenfalls umgebracht.

Berlusconi lehnte, wie ANSA meldete, Mattarella ab und wollte nun den konservativen früheren mehrmaligen Ministerpräsidenten Giuliano Amato aufgestellt haben. Der frühere Sozialist und enge Vertraute des korrupten ISP-Chefs Bettino Craxi (1992/92 zu 26 Jahren Haft verurteilt) ist heute Verfassungsrichter und von ihm erhoffte sich der Ex-Premier die Aufhebung seines Ämterverbots. Renzi, der dabei befürchtete, seine gerade mühsam auf Vordermann gebrachte Wählerschaft der PD könnte wieder bröckeln, lehnte ab.


Überraschungen nicht ausgeschlossen

Falls Mattarella scheitern sollte, steht der frühere Ministerpräsident und Ex-Kommunist, Walter Veltroni, 2007 erster PD-Chef, in Reserve. Der einstige FIAT-Chef Giovanni Agnelli hatte Veltroni einst als Regierungschef eine "ausgezeichnete Wahl" genannt.

Für Donnerstag ist vorerst nur ein Wahlgang angesetzt. Eine Entscheidung wird, wie auch bei den wahrscheinlich am Freitag folgenden zwei weiteren Abstimmungen nicht erwartet. Damit wird frühestens ab viertem Wahlgang am Sonnabend bei einfacher Mehrheit gerechnet. Wenn Renzi einen von ihm aufgestellten Kandidaten durchbringt, würde das seine Position als Regierungschef auf alle Fälle beträchtlich stärken.

Überraschungen werden jedoch, wie der für gewöhnlich gut informierte Il Sole 24 Ore (24 Stunden die Sonne ) schrieb, nicht ausgeschlossen.

*

Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Januar 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang