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SCHULE/031: Ein exemplarisches "Lehrbeispiel" (research*eu)


research*eu - Sonderausgabe Juni 2007
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Ein exemplarisches "Lehrbeispiel"

Von Yves Sciama


Fragen aufwerfen, Hypothesen aufstellen, experimentieren - das ist bereits ab einem Alter von sechs Jahren und sogar noch früher möglich. Darauf basieren die Prinzipien von La main à la pâte - was soviel heißt wie "die Hand im Teig" - einer Bildungsinitiative, die aus einem Zusammentreffen zwischen dem Physiknobelpreisträger Georges Charpak und jüngeren Kindern hervorgegangen ist. Die Idee, die auf ein amerikanisches Experiment zurückgeht, ist in Frankreich seit etwa 10 Jahren fest verankert und hat in vielen anderen Ländern Nachahmer gefunden.


Es war an einem Junitag in einer Vorschulklasse in einem Pariser Vorort", erinnert sich Yves Quéré, Physiker und Mitglied der französischen Akademie der Wissenschaften. Die Lehrerin forderte die Kinder auf, jede Stunde im Hof mit einem Kreidestrich den Schatten eines Kindes nachzuziehen. Angesichts der Blütenblätter, die am Ende des Tages entstanden waren, überlegte die Klasse, was wohl passiert war. Ein vierjähriges Mädchen rief: 'Frau Lehrerin, das hat sich gedreht'. Mit diesem zwar ungeschickten Ausruf hat sie doch ganz klar gezeigt, dass sie verstanden hatte, dass es eine Art Drehung gegeben hat."


Ich weiß es nicht...

Echte Gegenstände werden untersucht - nicht auf dem Bildschirm und keine Fotos - Kinder interagieren und führen Versuche selbst durch, die Forschung beginnt ("Die Wissenschaft basiert auf dem Satz ich weiß es nicht und nicht umgekehrt", betont der Physiker). In dieser Episode finden wir alle Zutaten, die wir für den Erfolg von La main à la pâte benötigen. Diese 1996 gestartete Initiative rief drei französische Akademiker auf den Plan, die den wissenschaftlichen Unterricht erneuern und sein Ansehen wieder herstellen wollten. Neben Yves Quéré waren auch der Astrophysiker Pierre Léna und Georges Charpak, Physiknobelpreisträger 1992, mit dabei. Drei Forscher, die damit unzufrieden waren, dass die wissenschaftliche Bildung in der Primarstufe immer weniger Platz einnahm. Der Auslöser? Unter Führung von Professor Leon Ledermann, einem amerikanischen Kollegen von Georges Charpak, der Besuch in einem Chicagoer Ghetto, in dem ein pädagogisches Experiment mit dem Titel Hands On stattfand. "Es war eine relativ typische Schule für das Stadtviertel mit 99 % farbiger Bevölkerung, von denen die meisten weit unter der Armutsgrenze lebten", erinnert sich der Nobelpreisträger. "Ich habe fröhliche Kinder, fröhliche Lehrer und ein intelligentes Programm gesehen. Die Kinder hatten eine Stunde naturwissenschaftlichen Unterricht pro Tag und sie füllten, seit sie fünf oder sechs Jahre alt waren, mit Begeisterung ein Experimentierheft aus, in das sie alles eintrugen, was sie taten."

Nach seiner Rückkehr nach Frankreich erhielt Georges Charpak die Unterstützung des Bildungsministeriums und der Akademie der Wissenschaften für ein Experiment an ungefähr 350 Schulen.


Mit Unterstützung der Wissenschaftler

Zehn Jahre später hat sich La main à la pâte in diesem Land zu einer festen Einrichtung entwickelt. Die Initiative hat ihre eigene Website, ihre zehn Grundprinzipien, eine eigene Charta, einen jährlichen Preis (der durch die Akademie der Wissenschaften an die aktivsten Schulen verliehen wird), Textmaterial - Bücher und Broschüren - eigene Kolloquien und sogar eigene Radiosendungen, dank der Partnerschaft mit dem nationalen Nachrichtenradiosender France info. Vor allem verfügt sie jedoch über eine beeindruckende Sammlung von Experimenten für den Unterricht, die sich an die Akademien der Wissenschaften anlehnen, den Garanten für wissenschaftliche Exzellenz. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass La main à la pâte, das aus einem durch und durch internationalen Konzept mithilfe der amerikanischen Unterlagen von Insight entstanden ist, seinerseits ebenfalls wahre Begeisterungstürme im Ausland ausgelöst hat. "Viele Leute haben die gleichen Feststellungen gemacht wie wir", bemerkt Yves Quéré. Die Akademien der Wissenschaften in etwa 15 Ländern haben sich über das IAP (1) bei dem ich bis zum vergangenen Jahr einer der Vorsitzenden war, an dieser Methode beteiligt, und das sowohl in den wichtigsten Industrieländern als auch in Schwellenländern, wie z. B. China, Brasilien, Malaysia, aber auch in Ländern wie dem Senegal, Marokko usw."

Ein Begeisterungssturm, der natürlich die Projektinitiatoren freut. Denn für sie geht es nicht nur um die Zukunft der Naturwissenschaften. Die an diesem Projekt teilnehmenden Lehrer stellen beispielsweise eine einhergehende Verbesserung der Sprachbeherrschung fest. Die Kinder müssen Fragen formulieren, Hypothesen aufstellen und die Antworten verstehen. "Die Syntax nimmt Gestalt an, sobald ein rigoroser logischer Denkvorgang stattfindet", unterstreicht der Forscher. Im Übrigen sind die Teamarbeit und das gegenseitige Zuhören, die das Herzstück des Projektes bilden, eine gute Schule für Toleranz und Offenheit. -

Anmerkung:
(1) Interacademy Panel, weltweiter Zusammenschluss von Akademien der Wissenschaften.


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Quelle:
research*eu - Sonderausgabe Juni 2007, Seite 14
Magazin des Europäischen Forschungsraums
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. September 2007