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INTERVIEW/124: 24. Linke Literaturmesse - Edition Mezopotamya ...    Martin Birkner im Gespräch (SB)


Martin Birkner ist beim Mandelbaum Verlag zuständig für die politische Reihe kritik & utopie. Auf der 24. Linken Literaturmesse in Nürnberg präsentierte er zusammen mit Esther Winkelmann vom Antiquariat Walter Markov in Bonn das verlegerische Solidaritätsprojekt Edition Mezopotamya [1], für das sich drei Verlage zusammengefunden haben, um gegen das von Bundesinnenminister Horst Seehofer im Februar 2019 ausgesprochene Verbot dieses multiethnischen und multilingualen Buchverlages zu protestieren.



Auf der 24. Linken Literaturmesse - Foto: © 2019 by Schattenblick

Martin Birkner
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Der Mandelbaum Verlag ist an der Neuherausgabe von Büchern des verbotenen Mezopotamien Verlages im Rahmen der Edition Mezopotamya beteiligt. Könnte man das als eine Art verlegerische Protestinitiative bezeichnen?

Martin Birkner (MB): Ja, das kann man durchaus so nennen. Es haben sich drei Verlage aus dem deutschen Sprachraum, aus Deutschland der Unrast Verlag, die edition 8 aus der Schweiz und der Mandelbaum Verlag aus Österreich zusammengefunden, nicht nur um gegen die Beschlagnahme der Bücher des Mezopotamien Verlages zu protestieren, sondern wir haben auch einen Teil der deutschsprachigen Bücher der Edition wieder herausgebracht und somit zugänglich gemacht.

SB: In der gestrigen Präsentation hast du den interessanten Vergleich zum Verbot von Indymedia linksunten in Deutschland hergestellt. Dazu mußte der Bundesinnenminister eigens einen Verein erfinden, um die Plattform überhaupt verbieten zu können. Täuscht der Eindruck, oder geht es bei diesem Vorgehen gegen linke Kommunikationsstrukturen vor allem darum, ihre Tätigkeit erst einmal zu unterbinden?

MB: Ganz genau, ich würde sagen, das ist eine Dimension des Verbotes. Jetzt läuft ja der Prozeß, und wir wissen nicht, wie lange er sich noch hinzieht. Man weiß nur, daß die Bücher für die Dauer dieses Prozesses dem Markt entzogen sind. Vor allem geht es da auch um die kurdischsprachigen und auf türkisch und in Farsi verfaßten Bücher, die ja nicht mehr zugänglich sind. Und das ist eine effektive Bestrafung jenseits dessen, wie das Urteil schließlich ausfällt. Es kann sein, daß in eineinhalb, zwei oder drei Jahren dem Mezopotamien Verlag Recht zugesprochen wird, aber für die Zeit dessen kann er nicht arbeiten. Das gefährdet natürlich ein Projekt. Da haben ja auch Menschen gearbeitet, und das wurde sozusagen zerstört, auch wenn man im nachhinein Recht bekommt. Das ist eine Strategie, die man seitens staatlicher Repression kennt.

Als vielleicht neue Dimension kann man feststellen, daß eine Verschiebung im Vorgehen des Staates stattfindet. Es wird kein Text in einem Buch inkriminiert, weil da etwas Verbotenes steht mit der Folge, daß er geschwärzt und das Buch beschlagnahmt wird, sondern über die Konstruktion der vermeintlichen Finanzierung der PKK durch den Mezopotamien Verlag - jeder linke Verleger kann da nur lachen, auch aus ökonomischen Gründen -, sind die Bücher automatisch vom Markt genommen. Also kommt es zu einer Beweislastumkehr, weil nicht mehr bewiesen werden muß, daß die und die Stelle gegen geltendes Recht verstößt, sondern aufgrund dieser Konstruktion automatisch alle Bücher dem Publikum entzogen werden. Nun muß umgekehrt bewiesen werden, daß mit ihrem Verkauf nicht die PKK finanziert wird. Solange, bis das alles geklärt ist, sind die Bücher weg. Die Tendenz geht ein Stück weit zum autoritären Staatsprojekt, wenn die Exekutive im Rahmen der Gewaltenteilung den Vorrang hat.

SB: In Österreich gibt es eine starke rechte Bewegung innerhalb und außerhalb des Parlamentarismus. Wie wirkt sich das auf die Möglichkeit aus, linke Texte zu publizieren?

MB: In Österreich gab es traditionellerweise aufgrund der viel größeren Nähe, die die kurdische Bewegung zur österreichischen Sozialdemokratie als in Deutschland hatte, zumindest solange die Sozialdemokratie an der Macht war meines Wissens eigentlich keine Repression, zumindest keine im großen Rahmen. Ich weiß nicht, ob es heute noch so ist, aber bis vor kurzem war es üblich, daß zum Aufmarsch der Sozialdemokratischen Partei am 1. Mai riesige Öcalan-Fahnen mitgetragen wurden und die kurdische Delegation von den SprecherInnen der Sozialdemokraten offiziell begrüßt wurde. Solche Verhältnisse kennt man in Deutschland nicht.

Die rechtsextreme Regierung hat aber erste Schritte in Richtung Kriminalisierung unternommen, und zwar im Rahmen eines Verbotsgesetzes von bestimmten politischen Symbolen. Und das haben sie vermeintlich geschickt gemacht, indem sie die Fahne und Symbolik des sogenannten Islamischen Staates verboten und dabei das PKK-Logo mitkassiert haben. Es gibt meines Wissens noch keine Repression gegen die Organisationen, aber es gibt schon Repression gegen die Symbolik, das heißt, da wird was vorbereitet. Wenn der gesellschaftliche und politische Rechtsruck in Österreich weitergeht, ist es sicher nur einer Frage der Zeit, bis es hier auch zu dementsprechend repressivem Vorgehen kommt.

SB: Kann man sagen, daß die SPÖ den Wurzeln der sozialistischen Arbeiterbewegung noch nicht so entfremdet ist wie die SPD? Immerhin gab es in Österreich Entwicklungen wie das Rote Wien, die stark mit der österreichischen Sozialdemokratie verkoppelt waren, und Bruno Kreisky hatte immer den Ruf, ein linker Kanzler zu sein. Oder würdest du beide Partein im allgemeinen gleichsetzen?

MB: Ich würde sie im allgemeinen gleichsetzen, weil diese Unterschiede, die es tatsächlich noch gibt, sehr themen- und regionalspezifisch sind. Wenn man sich die Politik zum Stabilitätspakt und zur Währungsunion, zu den ganzen großen neoliberalen Projekten auf EU-Ebene ansieht, ist das 100 Prozent identisch. In der Sozialpolitik ist es ein bißchen weniger verheerend, wir haben kein Hartz IV, aber wir haben natürlich repressive Gesetze gegen arme Menschen. Ich würde nicht sagen, es ist besser, sondern es ist ein Stück weniger schlecht. Was es schon gibt, sind kleine Teile der SPÖ in Wien, die noch ein bißchen traditionalistischer sind, wobei es auch am Roten Wien und Kreiskys Politik gegenüber ehemaligen Kriegsverbrechern Dinge zu kritisieren gibt. Aber der eine Unterschied hinsichtlich der Nähe zur kurdischen Bewegung ist möglicherweise der größte. So kann sich Andreas Schieder, ein hochrangiger SPÖ-Politiker, öffentlich solidarisch mit der kurdischen Bewegung zeigen. Das ist schon ein Unterschied. In der Politik ist es ein bißchen wie in den Wahlergebnissen, sie werden sich immer ähnlicher.

SB: Merkt ihr als linker Verlag den Einfluß rechter Kräfte etwa im Sinne von Kürzungen in der Kulturförderung oder anderer Behinderungen?

MB: Bis jetzt nicht. Es gab allerdings in rechten Foren schon Angriffe auf den Verlag, weil wir in Österreich wie fast jeder Verlag Fördermittel bekommen. Weil das Land gegenüber dem großen Bruder so klein ist, würde die Verlagslandschaft ohne Förderung im wesentlichen zusammenbrechen. Es gab in dieser Hinsicht schon Vorstöße von rechtsextremer Seite. Ich hoffe, daß es nicht nur, aber auch so war, daß diese Regierung jetzt zu kurz am Ruder war, um sich so kleinen Dingen wie der Verlagsförderung zu widmen. Noch sind wir nicht betroffen, aber die Gefahr besteht natürlich.

SB: Der Mandelbaum Verlag hat ein sehr ambitioniertes Programm. Seid ihr zufrieden mit der Entwicklung, wird überhaupt noch gelesen, werden noch Bücher gekauft?

MB: Ja, im allgemeinen sind wir eigentlich ziemlich zufrieden. Es gab ja immer Prophezeiungen, daß das E-Book das Buch ablöst und alle Leute nur noch digital lesen. Ein Stück weit ist die Branche natürlich niedergegangen, und auch wir sind davon betroffen gewesen. Aber gerade in letzter Zeit gibt es, wie auch in einigen Texten beschrieben, eine Tendenz, daß die Leute in Zeiten von Fake News und immer unsicherer Quellenlagen bei der Informationsbeschaffung im Internet wieder ein bißchen mehr dem Sachbuch vertrauen, das merken wir in gewissem Umfang. Ansonsten ist es nicht so, daß wir als linker Verlag großartig verdienen.

SB: Martin, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnote:

[1] http://schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbrb0101.html


9. November 2019


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