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INTERVIEW/044: Links, links, links - Besinnung radikal ...    zwei GegenStandpunkt-Aktivisten im Gespräch (SB)


Die Gesellschaft ist ein Schaden für die meisten Leute

20. Linke Literaturmesse in Nürnberg


An dem im Grunde einfachen Sachverhalt, daß die Verfügungsgewalt über Produktionsmittel den kleineren Teil einer Gesellschaft dazu befähigt, auf Kosten derjenigen, die gezwungen sind, die sogenannte eigene Arbeitskraft zu verkaufen, ihre Privilegien und Profite zu generieren und zu sichern, hat sich in kapitalistisch organisierten Ökonomien aus marxistischer Sicht nicht das geringste geändert. Mit Blick auf den Klassenkampf, wie Marx und andere die Auseinandersetzungen zwischen Besitzenden und Besitzlosen nannten, wurden im Laufe der Zeit allerdings vielfältige Schritte unternommen, diesen aus klassisch-marxistischer Sicht in der herrschenden ökonomischen und staatlichen Ordnung unauflösbaren und aus Sicht der von ihr Profitierenden bedrohlichen Konflikt zu entschärfen. Mit Konzepten wie der sozialen Marktwirtschaft konnte eine von einer Bevölkerungsmehrheit getragene Akzeptanz der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse generiert werden, indem die als ungerecht empfundene Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums als prinzipiell veränderungsfähig, weil auf parlamentarischen Wegen demokratischer Politikgestaltung reformierbar postuliert wurde.

Selbstverständlich sind linke Bewegungen, Organisationen oder auch Parteien erste Adressaten derartiger Befriedungsmanöver, läßt doch deren originärer Anspruch, der Herrschaft des Menschen gegen den Menschen ein kompromißloses Nein entgegenzustellen und konsequenterweise auf nicht-menschliche Lebensformen ebenso auszuweiten wie auf die sogenannte Umwelt, aus Sicht herrschender Eliten und am großen Raub partizipierender Menschen nur Schlimmstes befürchten. Wenn auch zur Zeit von einer schlagkräftigen Linken im Sinne einer einheitlichen Stoßrichtung, eines gemeinsamen Aktionsrahmens oder einer kompromißlosen Streitbarkeit nicht die Rede sein kann, bietet ihre Schwäche doch keinen Anlaß zu den Schlußfolgerungen, die ihre Gegner gern ziehen würden - nämlich daß sie historisch längst überholt wäre und in puncto Analyse und Theoriebildung, Solidarisierung und klassenkämpferischer Praxis heute für niemanden mehr von Interesse sein könne.

Im Wettstreit gesellschaftlicher Versprechen haben sich häufig auch linke Bewegungen und Parteien, die Unattraktivität einer klassenkämpferischer Programmatik vor Augen, parlamentarisch ausgerichtet bis hin zur erklärten Absicht möglicher Regierungsbeteiligungen und -übernahmen. Daß eine Partei wie Die Linke, auch wenn sie in Medien und öffentlicher Wahrnehmung eine unübersehbare Präsenz verzeichnet, keineswegs als repräsentativ für die gesamte Vielfalt, aber auch Widersprüchlichkeit einer Linken gelten kann, wird nicht zuletzt bei Gelegenheiten und Anlässen wie der Nürnberger Linken Literaturmesse deutlich.

Zwischen dem 30. Oktober und 1. November 2015 hatten sich Verlage, Publizierende und viele Interessierte aus dem gesamten Bundesgebiet und dem Ausland zu Buchpräsentationen, vielfältigen Veranstaltungen und dem alljährlichen Gedankenaustausch im Nürnberger "Komm" eingefunden, unter ihnen auch Linke, die ihre marxistische Grundpositionierung nicht einzutauschen bereit sind beispielsweise gegen moderne Varianten des sogenannten Postmarxismus.

Heinz und Julius, zwei studentische Aktivisten am Büchertisch des "GegenStandpunktes", einer seit 1992 regelmäßig erscheinenden marxistischen Vierteljahreszeitschrift, erklärten sich am Rande der Messe bereit, dem Schattenblick einige Frage zu ihren persönlichen Auffassungen zu beantworten und den Eindrücken, die sie auf der Nürnberger Literaturmesse gewinnen konnten.


Schattenblick (SB): Könnt ihr kurz sagen, mit welchen Erwartungen ihr hierher kamt und ob ihr zum ersten Mal auf der Nürnberger Messe seid?

Heinz (HE): Wir sind mit dem Büchertisch schon einige Jahre hier auf der Messe vertreten und wollen damit die Schädlichkeit der ökonomisch-gesellschaftlichen Zwecksetzung aufzeigen. Wir möchten den Leuten nachweisen, daß ihre Interessen in der Gesellschaft schlecht aufgehoben sind und daß die Gesellschaft darauf eingerichtet ist, aus einer vorgeschossenen Geldsumme einen Geldüberschuß zu erwirtschaften. Das ist der Zweck der Ökonomie, wie sie betrieben wird. Das kennt jeder, daß Unternehmen gegründet werden, um Profit zu erwirtschaften und daß der Lohnabhängige darin eine rein negative Größe ist. Wenn er denn überhaupt einen Arbeitsplatz findet! Es gibt ja keinen Anspruch auf einen Arbeitsplatz. Sein Lohn hängt also ab von der Rechnung des Kapitals. Nur wenn ein Gewinn des Kapitals zustande kommt, wird ein Lohn gezahlt, sonst nicht. Da der Lohn ein Kostenfaktor für den Unternehmer ist, ist es ein Abzug von seinem Gewinn. Deswegen soll der Lohn immer möglichst gering ausfallen, um die Rentabilität fürs Unternehmen sicherzustellen.

Nur so kommt der Arbeiter oder der Lohnabhängige in der ganzen Rechnung in dieser Republik vor - eigentlich kann man sagen, auf dem ganzen Globus. Da gibt es ja kaum noch Ausnahmen. Das bedeutet, daß die Bedürfnisse des Arbeiters, also die Frage, wieviele Lebensmittel und wieviel Geld er braucht, um in der heutigen Gesellschaft überleben zu können - egal, auf welchem Standard er leben möchte -, überhaupt nicht vorkommen. Das ist nicht die Grundlage der Lohnfindung. Es gibt bei den Gewerkschaften und in der organisierten Arbeiterschaft, natürlich auch in der nicht-organisierten, die Vorstellung eines gerechten Lohns, also daß es ein Äquivalent zu der Arbeitsleistung gäbe, die der Arbeiter da abliefert und weshalb er vom Unternehmen praktisch für seinen Aufwand entschädigt wird. Das ist eine unzutreffende Überlegung, und das würden wir den Leuten natürlich auch hier auf der Messe gerne mitteilen.

Mit dem Lohn, der gezahlt wird, ist in jedem Arbeitsvertrag von vornherein geregelt, daß das Arbeitsprodukt nicht dem Arbeiter gehört und daß er einen Lohn für eine gewisse Arbeitszeit erhält, in der die Arbeitskraft vom Unternehmer verwertet wird. Und der sagt: In den acht Stunden, die ich dich heute angemietet und für die ich deine Arbeitskraft gekauft habe, bringe ich sie für meinen Unternehmenszweck so und so zum Einsatz. Das hat dann wirklich nur zur Folge, daß der Unternehmer schaut, daß er möglichst viel aus dieser Arbeit herausholt. Sie wird also vom Unternehmer möglichst intensiv und extensiv benutzt - zum Schaden des Arbeiters. Arbeitsschutzmaßnahmen sind zum Beispiel auch keine Idee des Unternehmers, denn alles, was Kosten verursacht und dem Arbeiter zugute kommen würde, wäre ein Abzug vom Unternehmenszweck.

Mit diesen Argumenten treten wir hier auf der Messe auf. Meiner Meinung nach sprechen wir damit eine Kritik an der objektiven Lage der Mehrheit der Bevölkerung an. In dem Widerspruch bewegen sich die meisten Leute sowieso, die Lohnabhängigen und die, die nicht einmal einen Arbeitsplatz ergattern konnten, und das möchten wir jetzt einfach jedem sagen. Wir wenden uns auch nicht speziell an Arbeiter. Wir wenden uns an alle in der Gesellschaft, die sich für diesen Widerspruch interessieren oder ihn vielleicht irgendwo ein bißchen entdeckt haben, aber sich die Sache noch nicht bis zu der Frage überlegt haben, wo er eigentlich herkommt.

SB: Nun sind ja auch kleine Verlage nicht frei von den Zwängen einer kapitalistischen Wirtschaft. Wie kann linke Literatur in diesem Spannungsverhältnis ihrem Anspruch gerecht werden?

HE: Der Widerspruch ist natürlich der, daß ein Verlag, der sich nicht nur hobbymäßig, sondern richtig organisiert das Ziel setzt, seine Standpunkte in die Welt zu bringen und publik zu machen, vor der Aufgabe steht, den Druck der Bücher und den Lebensunterhalt der Autoren auch bezahlen zu müssen, und das will man dann natürlich auch über die Buchverkäufe reinholen. Daß viele Leute sich ein Buch von 15 Euro nicht 'mal so eben leisten können, ist leider ein im Kapitalismus unauflösbarer Widerspruch. Wir achten darauf, daß die Preise nicht zu hoch werden und daß sich jeder unsere Schriften - wir haben auch Zeitungen - irgendwie leisten kann. Wir machen auch Veranstaltungen, wo alles das, was da so drin steht, erklärt wird. Da verlangen wir natürlich keinen Eintritt. Und wenn jemand wirklich zu arm ist, um sich die Schriften zu kaufen, aber total interessiert ist, dann findet sich immer auch ein Weg, daß man das für weniger oder gratis hergibt.

Julius (JU): Hier am Stand legen wir nur auf den Tisch, was wir auch zu hundert Prozent vertreten. Da gibt es kein Argument, das wir nicht verteidigen würden und das uns nicht am Herzen liegt. Wenn der Staat die Gesellschaft so einrichtet, daß jeder an seine Lebensmittel nur herankommt, wenn er sich um sich selbst kümmert, ist jeder auf seine Mittel angewiesen und muß sie sich beim Gelderwerb in Konkurrenz zu anderen erwirtschaften. Als Verlag ist man da praktisch dem gleichen Zwang ausgesetzt - es sei denn, man hat vielleicht furchtbar viele Spendengelder, von denen man das alles bezahlen kann. Irgendwie müssen halt das Papier und die Druckerschwärze bezahlt werden.

HE: Ich möchte noch zwei Nachträge machen. Die Artikel des GegenStandpunkts und die MSZ-Archive [1] sind bis zu einem bestimmten Zeitpunkt - beim GegenStandpunkt bis 2012 - gratis im Internet abrufbar. [2] Das sind nicht ältere Publikationen, die längst keinen mehr interessieren, sondern auch viele Grundsatzartikel. Nur die ganz aktuellen Sachen sind nicht kostenlos. Es ist ja nicht so, daß wir die Leute von dem Wissen ausschließen wollen, das wir da produzieren. Auf der Seite www.argudiss.de, zusammengesetzt aus "Argument" und "Diskussion", gibt es aufgezeichnete Vorträge. Die Seite www.sozialistischegruppe.de ist ein bißchen an Studenten gewandt, auch da kann man sich Informationen und Artikel herunterladen. Speziell für die Uni gibt es die Seite www.wissenschaftskritik.de, wo auch viel Material geboten wird.

Dann noch zu deiner ersten Frage, was wir uns von der Messe versprechen. Ein besonderes Augenmerk ist vielleicht das neue Buch, das im Verlag herausgekommen ist: "Der Fall Griechenland". [3] Das sind Artikel, die aus dem GegenStandpunkt der letzten fünf Jahre zusammengesammelt, noch einmal neu eingeleitet und mit ein paar kleinen Veränderungen versehen wurden. In dem Buch wurde der ganze Fall Griechenland noch einmal aufgerollt, der Staatsbankrott, der Kampf Syrizas mit den EU-Geberländern, in erster Linie mit Deutschland, und am Ende gibt es noch einen Artikel zur linken Betrachtungsweise dieses Konflikts, in dem genau erklärt wird, was wir daran zu kritisieren haben.

SB: Da ihr schon öfter auf der Messe hier in Nürnberg wart, an euch noch die Frage: Wie seht ihr die Entwicklung dieser Literaturmesse? Würdet ihr eine Prognose wagen, wie es nach eurem Eindruck mit ihr weitergehen könnte?

HE: Das wird so weitergehen wie bisher, da gibt es keine Entwicklung. Nein, es interessieren sich nach wie vor äußerst wenige Leute für die linken Standpunkte. Das ist der Tatsache geschuldet, daß wir keine Angebote machen, wie man hier in dieser Gesellschaft besser zurechtkommen kann. Die Leute hätten gerne eine Berufsberatung, eine Studienberatung, eine Arbeitslosenberatung, eine Unternehmensberatung. Solche Angebote werden massenhaft angenommen, weil sie nützlich fürs Zurechtkommen in dieser Gesellschaft sind.

Wir sagen ja gerade, die Gesellschaft ist ein Schaden für die meisten Leute, nämlich für alle, die nicht über großes Eigentum verfügen, und für diejenigen haben wir kein anderes Angebot zu machen als zu sagen: Schaut euch die gesellschaftlichen Zwecke doch einmal genau an! Worum geht es dabei? Kommt ihr darin überhaupt vor? Wie sind eure Interessen hier untergebracht? Was kommt für euch unterm Strich dabei heraus, wenn ihr die hier verfolgt? Wäre es nicht besser, diesen Widerspruch aufzulösen und diese gesellschaftliche Ökonomie zu ändern, so daß die Bedürfnisse der Leute, der Bürger hier und natürlich auf dem ganzen Globus, Berücksichtigung finden? Das tun sie nämlich nicht in der Rechnung, von der ich vorhin gesprochen habe.

SB: Vielen Dank, euch beiden, für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] Marxistische Streit- und Zeitschrift - Gegen die Kosten der Freiheit (von 1980 bis 1991)

[2] www.gegenstandpunkt.com/gs/titel/gsnummern.html
www.gegenstandpunkt.com/anamszarx.html

[3] Der Fall Griechenland. Fünf Jahre Krise und Krisenkonkurrenz. Europa rettet sein Geld - die deutsche Führungsmacht ihr imperialistisches Europa-Projekt. J. Köper und U. Taraben. GegenStandpunkt Verlag 2015. ISBN 978-3-929211-15-3


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26. Januar 2016


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