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BERICHT/016: Lyrik gelebt - Bitter ironisch, nachdenklich lakonisch (SB)


Lyrik aus der Bewegung
Lesung mit Volker Maaßen und Detlev König in Hamburg-Harburg
am 22. Januar 2014 im Kulturcafé Komm du



Der Rückblick auf das zweistündige Programm, das der Harburger Volker Maaßen gemeinsam mit dem Autor von Kurzgeschichten und Gedichten Detlev König und den zwei Musikern der Tüdelbänd unter dem Titel "Was uns bewegt, was wir bewegen" gestaltet hat, beginnt mit einem beherzten Sprung in die Schlussszene der Lesung. Sie vermag, vergleichbar dem letzten Bild, das einen Film komplett und seine Geschichte erst gänzlich erfassbar macht, den Abend im Komm du einerseits zu vervollständigen und andererseits den Blick auf zuvor erlebte Details zu klären.

Nach fast zwei Stunden Programm, um kurz vor 22 Uhr, rücken sich die beiden Autoren im Schein des Stehlampenlichts auf der Bühne die Stühle zurecht. Das erste und einzige Mal nehmen sie nebeneinander am Tisch und hinter den Mikrofonen Platz, um gemeinsam zu lesen. Volker Maaßen kündigt den Zuhörern zum Abschluss ein Medley der gehörten Gedichte an, das ihre jeweiligen Kernaussagen wiederholt und gleichzeitig das Improvisationstalent der Autoren unter Beweis stellt, indem die beiden Lyriker je eine Gedichtzeile lesen, die aus der Feder des anderen stammt. Volker Maaßen beginnt mit "Alle reden vom Euro-Rettungsschirm" und zitiert damit Detlev König. Der ergänzt aus einem Maaßen-Gedicht: "Doch habt Geduld, denn Wetter gibt es immer."

Zwei Autoren, eine Lesung - Foto: © 2014 by Schattenblick

Gedichte im Wechselspiel
links: Detlev König, rechts: Volker Maaßen
Foto: © 2014 by Schattenblick

Mit der dann folgenden Zeile "Dann gibt es Thunfisch in Öl für alle", die Detlev König geschrieben und Volker Maaßen gelesen hat, soll das Prinzip des knapp dreiminütigen Finales, zu einem eigenen Vers oder Gedanken in dem lyrischen Schaffen des anderen eine passende oder auch nur entfernt sinnvolle Ergänzung zu finden, hinreichend erläutert sein. Gewiss hat niemand erwartet, dass aus der Aufreihung scheinbar anschlussfähiger Verse ein neues Gedicht mit klarer Aussage oder Überzeugungskraft entsteht, dennoch mag sich der eine oder andere im Publikum geschüttelt haben, ehrlich bemüht darum, sich einen Reim darauf zu machen, warum die beiden Lyriker mit dieser speziellen Gemeinschaftsarbeit ihre eigenen Gedichte so bereitwillig zerstückeln. Andere Gäste schüttelte es vor Lachen, weil, ebenfalls erwartungsgemäß, absurd Komisches aus diesem Gedichtzeilen-Wechselspiel entstand. So bleibt denn auch dem Skeptiker dieses Verfahrens nicht verborgen, dass die Autoren, im Bestreben ihre Zuhörer zu unterhalten, erfolgreich waren und zwar, wenn man die Wellen der Heiterkeit im Publikum als Gratmesser annimmt, mit diesem Vortrag besonders. Obwohl überhaupt nichts dagegen spricht, sich bei einer Lyrik-Lesung zu amüsieren, lauthals oder auch Tränen zu lachen, regt sich die Frage, warum die beiden Autoren, die über fast zwei Stunden die Aufmerksamkeit ihres Publikums mit ihren Gedichten und jeweils einer Kurzgeschichte zu binden vermochten, ihr durchgängig spürbares und keinesfalls vergebliches Bemühen, ihre Zuhörer zu unterhalten, mit dieser Performance zu Lasten des Inhalts auf die Spitze getrieben haben?

Vielleicht stellt sich diese Frage aber auch nur, wenn man davon ausgeht, dass ein Gedicht, Wort für Wort einem Sinn entgegengewachsen und deshalb unmöglich auseinanderzureißen ist. In jedem Fall lohnt sich ein zweiter Blick auf die Szene, der den Inhalt dieses lyrischen Experiments absichtlich außer Acht lässt und den dadurch gewonnenen Raum für eigene Gedanken und Interpretationen nutzt. So betrachtet wird augenscheinlich, dass Volker Maaßen und Detlev König, indem sie Seite an Seite auf der Bühne sitzen und jeweils die Zeilen des anderen lesen, einander Respekt erweisen, die Arbeit des jeweils anderen Lyrikers würdigen. Obwohl sich die losen Enden ihrer Gedichte nicht zu einem Ganzen fügen wollen, erscheint es möglich, dass die beiden Autoren auf der Bühne Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen pflegen. Vielleicht wissen sie voneinander, dass die Gedichtzeilen meist nachts entstehen, wenn ein Gedanke schlaflos macht. Vielleicht sind sie sich einig darin, dass das wichtigste am Schreiben das Schreiben selbst ist und nicht die Reaktion des Publikums, ein interessierter Verleger oder eine Veröffentlichung der eigenen Werke in hoher Auflage. Vielleicht kennen sie die gleiche Mühe und Qual, die es bedeutet, einen Gedanken so lange zu verfolgen und zu verdichten, bis er dem eigenen Anspruch gerecht und bestenfalls auch als Gedicht lesbar wird. Vielleicht haben beide aus Erlebtem schmerzhafte Lehren gezogen und zu einem Gedicht verarbeitet. Möglicherweise sind Volker Maaßen und Detlev König aufgrund solcher oder ähnlicher Gemeinsamkeiten sicht- und hörbar freudvoll imstande, Gedichtzeilen aneinanderzureihen und mit den Worten des anderen zu spielen, ohne dabei fremde Blicke zu scheuen. Dem Spektrum dieser angenommenen Gemeinsamkeiten steht die offenbarte Unterschiedlichkeit der beiden Lyriker als Tatsache gegenüber. Im Wechsel der wiedererkennbaren Gedichtzeilen, der an einen Schnelldurchlauf erinnert, transportieren die beiden Autoren auch die Verschiedenartigkeit ihrer lyrischen Arbeit besonders deutlich.

Foto: © 2014 by Schattenblick

Detlev König, Gedichte als Lebenslauf
Foto: © 2014 by Schattenblick

Detlev König hatte seine Gedichte für diese Lesung biografisch geordnet und erzählte zunächst, wann und unter welchen Umständen sein erstes Gedicht veröffentlicht wurde. Geschrieben hat er es als 16jähriger für die Schülerzeitung eines Bremer Gymnasiums, deren Inhalt er selbst als Schülerzeitungsredakteur zu verantworten hatte und bestimmen konnte. Diese Spur Selbstironie fand Anklang beim Publikum, das von Detlev König Gedichte hörte, die erkennbar einen politischen Anspruch verfolgen, die Meinung und Moral nicht vermissen lassen, aber bisweilen etwas plakativ wirken. Detlev König sucht nicht nach Reimen, er lässt Worte und Gedanken einfach frei. Manche seiner Verse klingen verbittert und nach Klage, andere malen ein nahezu träumerisches Bild von einer besseren Welt, wieder andere sind vielleicht als Provokation gedacht, ohne zwingend als solche zu wirken. Detlev König widmet sich seit seiner Frühverrentung vor 10 Jahren vollständig dem Schreiben von Gedichten und Reisetagebüchern. Der 60jährige schreibt für sich und nicht, um Geld zu verdienen oder einen Verlag reich zu machen, erzählt er im Pausengespräch. Das Feedback, das er bekommt, ergänzt er, zeige ihm allerdings, dass es Menschen gibt, denen das, was er schreibt, ebenfalls etwas sagt. Aus diesem Grund habe ihn auch die Einladung von Volker Maaßen zu dieser Lesung gefreut.

Foto: © 2014 by Schattenblick

Der Hauptakteur des Abends: Volker Maaßen
Foto: © 2014 by Schattenblick

Volker Maaßen war zum zweiten Mal für das Publikum im Kulturcafé Komm du als Akteur auf der Bühne. Erneut stellte er seine bitterleichte Lyrik ins Zentrum seines Vortags und löste das im Veranstaltungsflyer gegebene Versprechen ein, dass es romantisch, satirisch und tierisch werden würde. Er schaffte es als Moderator des Abends zudem, im gut besuchten und bestens dafür geeigneten Komm du eine ausgesprochen private Atmosphäre herzustellen. In seinen Moderationen hat er unaufdringlich, aber deutlich Bezüge zu seinem eigenen Leben hergestellt, vorweggeschickt oder nachgeliefert, was ihn zu einem bestimmten Gedicht bewogen hat. Volker Maaßen schreibt in Reimen, die rhythmisch und gefällig ins Ohr gehen. Seine Gedichte klingen nach leichter Feder, auch weil sie häufig kurz vor Ende eine Kurve und Kurs auf einen heiteren Schluss nehmen. In seiner Wiederholung wirkte dieses Muster bisweilen wie die Absicht, den ernsthaften und impulsgebenden Gedanken noch vor Erreichen der Vollständigkeit mit einem Lachen zu unterbrechen, um das Bittere fernzuhalten und dem Leichten den Vorrang einzuräumen. Das mag der eine oder andere Zuhörer bedauern und sich wünschen, den bitteren Gehalt voll auszukosten, zumal Volker Maaßen keinesfalls nur heitere Themen lyrisch bearbeitet. Sie reichen von der Liebe und ihren Begleiterscheinungen über Schönheitskult und Jugendwahn bis hin zu Missbrauch in der katholischen Kirche und gesellschaftlicher Ausgrenzung.

"Was uns bewegt, was wir bewegen", dieser Ankündigung zu der Lesung entsprechend haben Volker Maaßen und Detlev König, jeder auf seine spezielle Weise, freimütig und zugewandt, den ersten Teil eingelöst und deutlich gemacht, was sie bewegt. Als Volker Maaßen die Gäste im Komm du begrüßte, sagte er: "Ich glaube, Lyrik ist gut, wenn sie bewegt." Eigene Erfahrungen und Emotionen so zu kodieren, dass sie die Leser oder Zuhörer erreichen und bei ihnen ebenfalls Emotionen freisetzen, das sei für ihn die Aufgabe des Lyrikers. Was Volker Maaßen und Detlev König, die beiden Autoren des Abends, mit ihren Gedichten und Geschichten bewegt haben, ist schwerlich zu greifen. Zumindest wenn nicht ausschließlich körperliche Regungen wie zustimmendes Kopfnicken, Klatschen der Hände oder lachende Münder, mit denen das Publikum direkt und unmittelbar auf die Geschichten und Gedichte der Autoren reagierte, als Antwort auf diese Frage genügen sollen. Ob beispielsweise die Gedicht-Biografie von Detlev König, die sich nach der Geburt in der Provinz fortschreibt in Widerständen und erlittener Gewalt - bei den Demos in Brokdorf, im Hamburger Kessel, in Gorleben und in Heiligendamm, bei den Protesten gegen den G8-Gipfel -, die Überzeugungskraft hat und entfaltet, dem eigenen Gedankenkarussell neuen Schwung oder eine andere Richtung zu geben, lässt sich kaum sagen. Ebenso bleibt offen, ob und in wie vielen Köpfen etwa das Gedicht "Elitär wozu?" von Volker Maaßen über die Gans, die den heimischen Hof verlässt, um in ihrer Besonderheit gefördert zu werden und schließlich am Ende des kurzen elitären Lebens als Gänseleber im Feinkostladen zu landen, den Beginn eines gedanklichen Prozesses markiert.

Das Potential, den Blick auf die fortschreitende Zerstückelung des menschlichen Miteinanders durch die Sortierung in immer kleinere Gruppen zu richten und Empörung darüber freizusetzen, dass Rang, Bedeutung und Existenzrecht von Menschen allein durch ihre Verwertbarkeit für die Gesellschaft definiert werden, haben die Verse. Besonders durch die Einordnung, die Volker Maaßen in seinen Moderationen vornimmt, gewinnen sie an Schlagkraft. Das gilt auch für sein Gedicht "Da oben". Durch den voran geschickten Verweis auf die eigene Erfahrung wird die Entscheidung in Versform, den Preis anwachsender Einsamkeit nicht länger für einen sicheren Stand auf der Karriereleiter zahlen zu wollen, überzeugender und auch bewegender.

Zwei Gitarrenspieler - Foto: © 2014 by Schattenblick

Musikalischer Begleiter: Die Tüdelbänd
Foto: © 2014 by Schattenblick

Volker Maaßen als zuvorkommender Gastgeber dieser Lesung hat nicht nur freundlich durch ein strukturiertes Programm geführt und für ausgesprochen gute Musik gesorgt, indem er die Tüdelbänd eingeladen hat, die Gipsy Swing a la Django Reinhard spielte und mit virtuosem Gitarrenspiel Gelegenheit lieferte, die gehörten Texte sacken zu lassen und eigenen Gedanken nachzugehen. Er hat es auch verstanden, gleich zu Beginn einen unbescheidenen Wunsch zu äußern: "Wir möchten gern, dass, wenn ihr bewegt sein solltet, ihr auch etwas bewegt, heute, morgen, übermorgen", ohne auf seine Erfüllung zu drängen. Seiner Überzeugung, dass gute Lyrik daran zu erkennen sei, dass sie bewegt, ließ er scherzhaft den Hinweis folgen: "Und wenn ihr jetzt alle rauslauft, dann wissen wir auch, dass wir gute Lyriker waren." Damit hat Volker Maaßen das Publikum, sich und seinen Autorkollegen gleichermaßen entlastet. Alles konnte passieren bei dieser Lesung, ohne dass daran die Frage nach Erfolg oder Misserfolg zu knüpfen gewesen wäre. Die Frage "Was wir bewegen?" hingegen dürfte diese Lesung überdauern und den beiden Autoren fortgesetzt unruhige Quelle für die weitere lyrische Arbeit sein.

28. Januar 2014