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BERICHT/010: Krimi in der Zeit oder Patchwork der Postmoderne - Autorenlesung mit Frank Schulz (SB)


Erste Schwarze Hafennacht 2013 in Hamburg

Frank Schulz mit "Onno Viets und der Irre vom Kiez" am 5. Februar in der Speicherstadt-Kaffeerösterei



"Ein Detektiv kann eigentlich nicht Onno Viets heißen, wie kommt man denn auf so was?" Das fragt Michael Friederici anläßlich einer Lesung mit Frank Schulz aus dessen neuestem Roman "Onno Viets und der Irre vom Kiez" im Rahmen der Schwarzen Hafennächte in der Kaffeerösterei Speicherstadt in Hamburg am Abend des 05. Februar. "An dem Namen habe ich lange gebastelt", antwortet der Autor, "der Detektiv, der mir vorschwebte, konnte gar nicht anders heißen als Onno Viets."

Foto: © 2013 by Schattenblick

Der Autor Frank Schulz im Gespräch mit Michael Friederici, der den Abend moderierte
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Wer aber ist Onno Viets: Mitte 50, Hartz-IV-Empfänger, mit etlichen Studien- und Ausbildungsgängen gescheitert und zweimal Konkurs gegangen, Noppensockenträger und bekennender Nicht-Schwitzer, leicht phobisch und Mitglied eines Hamburg-Eppendorfer Altherren-Tischtennisquartetts.

Zugegeben, offiziell hatten wir Onno als fehlenden Doppelpartner rekrutiert, insgeheim aber als Sparringssack. Nichts gegen allseits gleiche Spielstärke. Doch für die Psychohygiene der Mehrheit, also für eine harmonische Gruppendynamik, leistete kaum etwas bessere Dienste als ein stabiles Opfer. Keine Pfeife, wohlgemerkt. Mithalten sollte es schon. Nur verlieren. Woran Onno sich dann selten hielt. Das war nicht vorherzusehen gewesen. [1]

Beim "Après-Ping-Pong" haben die Sportsfreunde allerlei Vorschläge, wie Onno seiner Misere entkommen könnte: als Taxifahrer, Pizzabote, Arzneimittelkurier, Maler oder Tapezierer, Imbißkraft, Fahrradkurier - aber alle Ideen scheitern, weil es Onno an Orientierungsvermögen im städtischen Verkehr mangelt, er eine Allergie gegen Farbstoffe und eine Phobie vor Hühnerköpfen hat - und nicht Fahrrad fahren kann. Bademeister geht auch nicht, denn er kann nicht schwimmen. "In einer Gesellschaft, die nach Leistung bezahlte, war er ein Fall für die Organbank."

Aber wie wär's mit Privatdetektiv? Dazu bringt Onno das nötige Rüstzeug mit: Ausdauer, gute Reflexe, ein sagenhaftes Sitzfleisch und eine Art Charisma für Arme. Den ersten Auftrag verschafft ihm der Rechtsanwalt unter den Sportsfreunden, dessen Mandant, der Popmagnat und Juror einer Porno-Castingshow, Nick Dolan, seine Geliebte Fiona Popo, Gewinnerin der letzten Staffel, der Untreue verdächtigt, aber (noch) keine Beweise hat. Die soll Onno beschaffen. Allerdings ist der Nebenbuhler Dolans ein Kerl von zwei Metern und 130 Kilo Lebendgewicht. Den Spitznamen "Händchen" verdankt er seinem Job als unberechenbare, gefürchtete rechte Hand einer Hamburger Kiez-Größe. Die Katastrophe nimmt ihren Lauf.

Foto: © 2013 by Schattenblick

Frank Schulz
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Frank Schulz, sagt Michael Friederici, der die erste Schwarze Nacht im neuen Jahr in gewohnt leichter, kenntnisreicher und dem Publikum wie dem Autor zugewandter Weise moderiert, "liest sein Buch nicht nur, er lebt es". Und in der Tat: Wie Schulz in drei Abschnitten zunächst vom Tischtennisabend der in die Jahre gekommenen Herren, von den frustrierenden Erfahrungen und Tücken des Oberservierens, zumal mit einem Auto, das der Lindensaft verklebt und die Tauben zugeschissen haben, und am Schluß von der unfreiwilligen Begegnung zwischen Fiona Popo mit ihrem Beschatter im Flugzeug nach Mallorca berichtet, schnell und prall und voller Leben vorgetragen, das ist schon großes Vorlesekino.

Mit der Figur des Rechtsanwaltes als Ich-Erzähler gelingt Schulz ein müheloser Wechsel der Sprachebenen zwischen Hochdeutsch und Hamburger Slang, Szenesprache und bitterernsten Kommentierungen, verschiedenen Soziolekten. Die Komik entfaltet sich weniger am Handlungsstrang, obwohl auch der oft abenteuerlich, ja manchmal abstrus und fast surreal ist, sondern eher an einer präzisen Beobachtung und einfalls- wie wortreichen Schilderung alltäglicher Katastrophen, fortgesetzter Mißverständnisse und folgenschwerer Ausreden in sorgfältig "verschwurbelten" Sätzen, nicht ohne sprachliche Anleihen an den Klischees eines zeitgeistmäßigen Umgangstons oder boulevardesker Fernsehformate, in denen sich der Zuhörer wiederfindet, weshalb der Autor auch an diesem Abend die Lacher schnell auf seiner Seite hat. "Aber hallo, wie krass ist das denn?!" Man erinnert den Sprachstil Harry Rowohlts oder auch die Situationskomik eines "Frühstücks bei Stefanie".

Schreiben wollte er, erzählt Frank Schulz im Gespräch mit dem Moderator, schon mit 11 oder 12 Jahren. Zuerst waren es Tagebücher, später dann Versuche nach plagiierter Enid-Blyton-Manier, "absurde, indizienlastige Krimis nach Art eines Schulaufsatzes - da mußte ich mich später rehablitieren", so der Autor.

Seine schulische Laufbahn ist eine Katastrophe, besonders Mathe und die Naturwissenschaften liegen ihm überhaupt nicht. Nach zweimal neunter Klasse fliegt er vom Gymnasium, aber auch auf der Realschule ergeht es ihm nicht besser. Der Schulleiter ist so gnädig, aus drei 6ern im Abschlußzeugnis drei 5er zu machen, damit er sich überhaupt irgendwo bewerben kann. Der Vater bringt den im 450-Seelen-Dorf Hagen bei Stade Aufgewachsenen in einer Lehre zum Groß- und Außenhandelskaufmann in Hamburg unter. "Ein Kulturschock", wie Schulz sagt.

In Hamburg ist er geblieben, hat Psychologie und Germanistik studiert, war für ein Harburger Anzeigenblatt tätig, später bei der Zeitschrift Gala als Dokumentarist, bevor er sich mit seiner eigenen Schreibe aufs freie Parkett wagte.

Foto: © 2013 by Schattenblick

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Die Hagener Trilogie ("Kolks Blonde Bräute", "Morbus fonticuli oder die Sehnsucht des Laien" und "Das Ouzo-Orakel") entstand in den Jahren 1991 bis 2006, ein Gedichtband "Naturlyrik. Anfängerverse" kam 2008 heraus, 2010 dann ein Erzählband mit heiklen Alltagsgeschichten um ein uraltes Thema: "Mehr Liebe" war angeregt durch ein von Marie von Ebner-Eschenbach geborgtes Motto: "Die meisten Menschen brauchen mehr Liebe, als sie verdienen."

Nach diesen Pflichtübungen, so der Autor, hat er sich mit "Onno Viets und der Irre vom Kiez" die Kür gegönnt. Das Buch landete im Jahr seines Erscheinens 2012 auf der Longlist des Deutschen Buchhandels und gehörte somit, so Friederici, "zu den 20 schärfsten Texten dieses Jahres." Frank Schulz selbst nennt seinen Roman eine Krimi-Groteske. Er habe ein sinnliches Verhältnis zum Schreiben, zu Kugelschreibern und weißem Papier und er nimmt sich Zeit für genaue Formulierungen. "Sanft rollte das R, ein R wie geschaffen für ein Wort wie Ruhe. Vervielfältigte man dieses R zu einer Endlosschleife, hörte es sich an wie das Schnurren eines Katers."

Frank Schulz und Michael Friederici während der Lesung - Foto: © 2013 by Schattenblick

Wußten ein großes Publikum bestens zu unterhalten
Foto: © 2013 by Schattenblick

Wo er seine Ideen hernehme, will Michael Friederici wissen. Er sauge, sagt Schulz, Motivisches für ein neues Buch an wie ein Magnet. Das kann überall passieren, auf der Straße, in der Badewanne, beim Tischtennisspielen allerdings weniger. Er macht Notizen, kategorisiert sie, schreibt Sätze, Wendungen und Wörter, Gedanken und Beobachtungen auf, die ihm gefallen. "Ich arbeite sowohl analog als auch digital." Nein, im Milieu selbst recherchiere er nicht, "was soll ich da?" Aber das Fernsehen ist für ihn durchaus eine Quelle der Anregung - das Dschungelcamp zum Beispiel oder Serien wie die Sopranos, "die waren eine Offenbarung" -, der er sich nicht wie andere Schriftsteller verschließt.

Frank Schulz hat sich inzwischen einen Namen gemacht, wurde mit Preisen dekoriert, von Kritikern und Rezensenten mit Eckhard Henscheid, Charles Bukowski und Arno Schmid verglichen. Ein Geheimtip ist er längst nicht mehr. Nur reich geworden ist er mit der Schriftstellerei noch nicht. Der Vorschuß für Onno I und II sei bereits im letzten Herbst "abgefrühstückt" gewesen, jetzt lebe er vom Vorschuß für Onno III. Auch so entstehen Fortsetzungsromane.

Demnächst soll Onno Viets verfilmt werden, eine Drehbuchfassung (Hendrik Hölzemann) ist in Arbeit, ein Hörbuch mit Frank Schulz, Harry Rowohlt, Rocko Schamoni, Karen Duve, Sven Regener, Jan Georg Schütte, Tina Kemnitz und Joachim Seidel als Live-Mitschnitt aus dem Hamburger Musikclub "Uebel & Gefährlich" gibt es bereits.

Blick in die Speicherstadt-Kaffeerösterei - Foto: © 2013 by Schattenblick

Ort für Genüsse vielfältigster Art
Foto: © 2013 by Schattenblick

Am Ende des Abends wird die Geschichte nicht zu Ende erzählt. Ob Onno seinen Auftrag erledigt hat, sein Gegenspieler "Händchen" im Knast landet und wie es Monate später zu dem Geiseldrama auf dem Alsterdampfer Haselbeck kommt, erfahren die weit mehr als 100 Besucher in der Speicherstadt nicht. Aber schließlich will das Buch auch noch verkauft werden.


Anmerkung
[1] Frank Schulz, Onno Viets und der Irre vom Kiez, Galiani-Verlag Berlin 2012, S. 35

8. Februar 2013