Schattenblick →INFOPOOL →DIE BRILLE → REPORT

BERICHT/001: Die Literatur von morgen - Schreiblaborfinale im Hamburger Literaturhaus (SB)


Die Literatur von morgen

Schreiblaborfinale im Hamburger Literaturhaus


Das Hamburger Literaturhaus bietet einen großen Rahmen. "Normalerweise muß man als Autor schon weit kommen, um hier lesen zu können", meint Mareike Krügel, selbst preisgekrönte Jungautorin; und "die Gelegenheit, im Literaturhaus zu lesen, ist eine seltene Gelegenheit", bestätigt auch Thomas Pletzinger, Verfasser des 2008 erschienenen Romans "Die Bestattung eines Hundes". Sie haben beide am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig studiert, Romane geschrieben und gemeinsam den Frühjahrs- und Herbstkurs 2008 der Schreibwerkstatt "Sprachlabor" geleitet.

Das Hamburger Literaturhaus - Foto: © 2009 by Schattenblick

Das Hamburger Literaturhaus
Foto: © 2009 by Schattenblick


Für Autoren, die vielleicht schon an einem eigenen Projekt arbeiten oder solche, die es werden wollen, war der Abend vom 13. Januar 2009 im Hamburger Literaturhaus besonders aufschlußreich. Hier fand das feierliche Finale des "Schreiblabors" statt und neun ausgewählte Absolventen lasen ihre an zehn Nachmittagen erarbeiteten Texte vor.

Wer bis auf die Bühne des Hamburger Literaturhauses gekommen ist, hat schon einige Hürden hinter sich: Aus den etwa 50 Bewerbungen pro Halbjahr (eingereicht wird ein zweiseitiger Text) wählt eine Jury 15 Kursteilnehmer zwischen 14 und 25 Jahren aus, die dann die Mühe nicht scheuen und den Mut haben, sich unter den deutlichen Worten und der erfahrenen Anleitung von Mareike Krügel und Thomas Pletzinger mit dem Warum, Was und Wie sie schreiben bis ins Detail auseinanderzusetzen. Mit Bedacht heißt diese Kursform "Schreiblabor" und trägt nicht den Titel "kreatives Schreiben". "Wer sich hier bewirbt, schreibt sowieso schon und will das noch verbessern. Das ist nicht zu vergleichen mit einer einfachen Schulklasse, mit der man creative writing-Übungen macht", sagt Mareike Krügel in einem Gespräch mit dem Schattenblick. "Das creative writing ist etwas, was sich auf ein Regelwerk bezieht, was auch wieder bestimmte Gesetze aufgestellt hat. Und wenn man diesen Begriff benutzt, geht man das Risiko ein, daß Leute einen auf diese Regeln festnageln und das möchte ich einfach nicht. Ansonsten benutze ich diesen Begriff relativ frei, nur wenn ich das Gefühl habe, man will mich festnageln, ziehe ich mich zurück und sage 'Literarisches Schreiben'."

Schon zum dritten Mal fand diese Veranstaltung, die sich großen Zulaufs erfreute, in der barocken Atmosphäre des Literaturhaus-Cafés statt. Etwa 100 Besucher lauschten konzentriert und zugewandt den Vorlesenden, die ihre gründlich durchleuchteten, verworfenen, ergänzten, auf den Punkt gebrachten und weiterentwickelten Texte vortrugen.

Was dabei herausgekommen ist, sind am ehesten eigenwillig zu nennende literarische Formen. Es ist ihnen anzumerken, daß der Schwerpunkt der Bearbeitung auf dem Hervorheben des persönlichen Sprachgebrauchs und dem Entwickeln des eigenen Stils liegt, kein Wunder, daß so der autobiographische Anteil bei der Themenwahl überwiegt. Die berührendsten Texte spiegeln den Wunsch, die Variationen bekannter Inhalte und wiedererkennbarer Formenspiele zu brechen und sich den assoziativen Anteilen des Schreibens in aller Widersprüchlichkeit zu widersetzen.

Auf die Frage, woran ein gelungener Text gemessen werden könne, meint Mareike Krügel: "Das ist furchtbar schwierig zu sagen, da gibt es wirklich den Geschmacksfaktor. Der eine sagt, für mich ist das ein witziger Text, jemand anderes sagt, ich kann darüber nicht lachen und schon hat man das Problem. Man muß das in der Runde, in der Gemeinschaft, klären. Es gibt letztlich keine Kriterien, die von außen kommen, sondern man muß innerhalb des Textes schauen, ob das, was transportiert wurde, tatsächlich beim Leser ankommt."

Mareike Krügel stellt eine Nachwuchsautorin vor - Foto: © 2009 by Schattenblick
Mareike Krügel stellt eine Nachwuchsautorin vor
Foto: © 2009 by Schattenblick


Die neun Lesenden hatten teilweise schon Erfahrung mit der Wirkung ihrer Texte, der Schauspieler Niklas Bardeli zum Beispiel, der allerdings aus Zeitgründen nur sporadisch am Schreiblabor teilnehmen konnte. Oder der Werbetexter Christoph Jehlicka, der typische Gespräche zwischen Jugendlichen am Bahnhof beschreibt.


Niklas Bardeli
Foto: © 2009 by Schattenblick


Manche studieren Germanistik wie Mathias Mauser, der von schlaflosen Nächten und Tagen in St. Georg erzählt, von Begegnungen und Erfahrungen mit einer bis dahin fremden und eher abstoßenden, abgründigen Szene; der Autor nennt es Weltanschauungsunterricht.

Bastian Lomscheé lernte Bankkaufmann, bevor er zum Germanistikstudium nach Hamburg kam. Er beschreibt mit einem Auszug aus seinem Roman "Noch schweigen die Vögel" einen Morgen am Waldrand. Für Lucy Astner hat das Schreiben auch eine ganz praktische Seite: "Ich schreibe, weil ich mir sonst alles merken müßte!" In ihrer Kurzgeschichte "Gunnar" konfrontiert sie sozial engagierte, bürgerliche Eltern mit dem "wahren Leben" in Gestalt eines jungen Obdachlosen.

Franziska Hummel studiert Psychologie in Hamburg. "Ich schreibe", sagt sie selbst von sich, "wie ich mir die Haare ausraufe". Die Kulturwissenschaftsstudentin Olivia Wenzel befaßt sich in ihrer Erzählung "Straucheltier" auf ganz eigene Weise mit dem Thema von Jäger und Gejagtem.

Olivia Wenzel - Foto: © 2009 by Schattenblick
Olivia Wenzel
Foto: © 2009 by Schattenblick


Jana Dietz ist Oberstufenschülerin, macht gleichzeitig ein Frühstudium an einer privaten Hochschule für Ökonomie und Management, schrieb bereits für Spiegel online und beschäftigt sich in ihrem Werk "Das Ich in mir" mit der Schwierigkeit, sich eindeutig und ausschließlich als männlich oder weiblich zu definieren. Konstanze Renken hat vor dem Schreiblabor in Iowa/USA einen Kurs in creative writing besucht und liest von Schulerfahrungen "als Looser".

Ein Absolvent meint, es sei spannend gewesen zu erfahren, welcher Mensch hinter dem jeweiligen Text stehe und darüber hinaus zu lernen, eine eigene Stimme zu finden, was harte Arbeit bedeute.

Ein Schreibstudium birgt also nichts weniger als die Herausforderung, im Sog der sprachlichen Beliebigkeit ein eigenes, neues Sprachvermögen zu entwickeln, das Wirkung entfaltet; es kann sich aber auch nur auf eine Anleitung zur produktiven Selbstkritik reduzieren. Auf jeden Fall sollte es im Hamburger Labor nicht um das Herstellen einer erfolgreichen "Paßform" für das Publikum oder den Buchmarkt gehen, da waren sich die beiden Kursleiter einig. "Schreibkompetenz kann man überall im Alltag gebrauchen. Wir machen im erweiterten Sinne Jugendarbeit", meint Thomas Pletzinger, wohl wissend, daß zuallererst der Drang zu schreiben nicht unterbrochen werden darf, "man muß nicht die volle Breitseite an Kritik geben, wenn man Nachwuchsarbeit macht."

Dennoch sind sie überzeugt davon, daß die Werkstattarbeit, die sich ja schon aus didaktischen Gründen an allgemeingültige Kriterien hält, die Absolventen nicht in Phantasie und künstlerischem Streben einschränkt, sondern manchen von ihnen die Möglichkeit gegeben hat, sich weiterhin zu behaupten - was auch immer das im schnellebigen, unterkühlten Literaturbetrieb bedeutet, denn die vielen Angebote und Verlockungen für Schreibwillige lassen einerseits einen geradezu akuten Mangel "guter" Autoren vermuten und zeugen andererseits von der Anpassungswilligkeit derer, die dieses breite Angebot für sich nutzen wollen. In diesem Zusammenhang hegten auch die unangekündigt anwesenden Literaturagenten im relativ geschützten Rahmen des Hamburger Literaturhauses ein verdächtig intensives Interesse für die lesenden Nachwuchsautoren. Ob aber überhaupt die Möglichkeit besteht, den Kurs weiter stattfinden zu lassen und zu entwickeln, hängt von einem noch zu findenden neuen Förderer ab.

Foto: © 2009 by Schattenblick

Foto: © 2009 by Schattenblick


16. Januar 2009