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SPRÜNGE/013: Der Internationale P.E.N. - des Autoren Renommee (SB)


Der Internationale P.E.N. - des Autoren Renommee


Diesmal geht es in SPRÜNGE nicht um unbekannte, vernachlässigte oder ungelesene literarische Produkte, sondern um die nicht unwesentliche "Randerscheinung" des Schriftstellers selbst.

Das Selbstverständnis der Autoren, ihr gesellschaftspolitisches Engagement und ihre Ansichten über die umstrittene Funktion der Literatur findet man in den Medien bzw. Feuilletons mindestens ebenso wortreich kommentiert wie ihre Werke. Denn das gewünschte Bild des Literaten im Streit für Freiheit und Demokratie, kurz des intellektuellen Warners, macht sich gut als Aushängeschild für staatspolitische Tendenzen und Interessen.

Man wird schon ein wenig als repräsentative Staffage mißbraucht", sagt Lutz Rathenow, Schriftsteller und DDR- Dissident, in einem Interview mit Martin Gerner vom DeutschlandRadio Berlin am 24.1.2002. "Ich denke, daß so eine Veranstaltung nicht umsonst im Wahljahr gemacht wird, und wir werden sehen, ob das dann weitergeführt wird und ob es dann nächstes Jahr Brotzeit heißen muß, der kleine Imbiß danach" (aus: "Schröder fordert Künstler auf, sich mehr in die Politik einzumischen", DeutschlandRadio Berlin, 24.1.2002).

Vorsprecher, die den Bürger beim Gewissen packen (und ganz nebenbei daran erinnern, daß man auf eine solche Elite nicht verzichten kann), sind unentbehrlicher Bestandteil politischer Ausdrucksformen. Nur um dem Ansehen Genüge zu tun, fühlt sich mancher Autor berufen oder aufgefordert, sich als Zugpferd vor den Wagen der gesellschaftlichen Mehrheit spannen zu lassen. Dies konnte man spätestens seit dem 11. September 2001 am grauen Konformismus scheinbar kontroverser Thesen deutscher Intellektueller ablesen, deren öffentliche Kundgebungen von oberster Stelle so unverhohlen kontrolliert und gesteuert wurden, daß sich selbst wohlgeneigte Kommentatoren der spitzen Bemerkungen über das öffentliche Theater nicht enthalten konnten.

Als sich am Samstag der Kanzler und sein Innenminister mit Günter Grass, Martin Walser, Stefan Heym, Volker Braun, Christoph Hein, Peter Sloterdijk und Christa Wolf zum Abendessen trafen, ging es allerdings nicht um den Zusammenhang von Versmaß und Mobilmachung. Meinungen wurden ausgetauscht. Über den Inhalt der Gespräche habe man, meldet dpa, Vertraulichkeit vereinbart. [...] Der Kanzler hatte sich zuvor schon generös gezeigt und den Intellektuellen zugestanden, es sei ihre Rolle, "gelegentlich kritische, manchmal sogar unangenehme Fragen" zu stellen. Wer so spricht, wird von keiner Kritik mehr getroffen. Er schätzt sie, Willy Brandt bloß imitierend, als Begleitgeräusch zum Essen. Selbst wer von Intellektuellen schlechte Verse fürs Militär verlangte, nähme sie ernster.
(aus Süddeutsche Zeitung, jby: Manchmal kritisch, Die Dichter und der Kanzler haben Vertraulichkeit vereinbart, 12.11.2001)

Den oben erwähnten Anpassungsbestrebungen entsprechend scheinen die deutschen Schriftsteller Debatten über die gesellschaftsverändernde Rolle der Literatur vergessen zu haben, und die ehemaligen Versuche, Literatur gar als Sprachrohr des Widerstands gegen politische Unterdrückung einzusetzen, sind auffällig dem Bemühen gewichen, die Werke um den Einzelmenschen kreisen zu lassen, wobei das gesellschaftliche Umfeld weitgehend ausgespart bleibt. "Und was heißt das eigentlich, ein politischer Schriftsteller? Ich kann nicht zu jedem politischen Ereignis etwas schreiben, das ist doch fatal. Ich kann nur über das schreiben, was mich berührt. Ich brauche viel Abstand", sagt Edward Said in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 24.05.2000 ("Ein Lyriker blüht auf in den Zeiten der Unruhe, Macht und Teilnahme, Politik und Poesie": Ein Gespräch mit Said, dem neuen Präsidenten des deutschen Pen-Zentrums).

Für das gesellschaftspolitische Renommee suggeriert die Mitgliedschaft in außerstaatlichen Institutionen wie dem VS (Verband deutscher Schriftsteller) oder dem P.E.N.-Club (Vereinigung der Poets, Essayists and Novelists), daß man sich dort - ordentlich verwaltet und im Rahmen einer verbindlich festgelegten Richtung der Kritik - für das Wohl der Menschen einsetzen und es gegen die Interessen etablierter Kräfte verteidigten könne. So läßt sich die Möglichkeit rechtfertigen, Abstand zu halten und durch die rückwärts gerichtete Aufarbeitung tagespolitischer Ereignisse aktuelle Fragen politischer Willkür zunächst unberührt und damit unverändert zu lassen.


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Im folgenden soll hier der wohl nobelste und älteste Verein für solche Stimmen, die sich zuständig fühlen, die Ereignisse und Verhältnisse zu kommentieren, ein wenig mit dem Blick durch die BRILLE auf seine Absichten und öffentliche Wirkung hin "unter die Lupe" genommen werden - der Internationale P.E.N., die Vereinigung der "p"oets, "e"ssayists and "n"ovelists, der am 5. Oktober 2001 80 Jahre alt geworden ist.

Die Feder des Schreibenden, englisch PEN, gilt weltweit als Symbol für das, was mit den drei Buchstaben "P.E.N." - "Poets, Essayists, Novelists" - gemeint ist: Verteidigung des freien Wortes ohne Behinderung durch Landesgrenzen, Einmischung gegen Verletzung der Freiheitsrechte und gegen Gewalt. "Gebieterisch" verlangt die Charta ein solches Engagement. Nach acht Jahrzehnten seines Bestehens hat die internationale Vereinigung von Literaten zeitgeschichtliches Gewicht und einen Nimbus, der zuweilen die Spannung zwischen den erklärten Zielen und dem Handeln der Mitglieder überdeckt, das, was Albert Camus den Zwiespalt zwischen sehnsüchtigem Geist und der enttäuschten Welt genannt hat.
(Christa Dericum: Freiheit, Frieden, Toleranz und Freundschaft - Aus der Geschichte des P.E.N., aus der Broschüre zur P.E.N.- Jahrestagung 2000 in Nürnberg, S. 54)

Am 5. Oktober 1921 wurde der P.E.N. bei einem Dinner in London gegründet. Die Idee der Gastgeberin und englischen Schriftstellerin Catherine Amy Dawson-Scott (1865-1934) war, einen internationalen Bund der Literaten zu bilden. Sie stand der Friedensbewegung nach dem Ersten Weltkrieg nahe und wollte mit diesem "Club", vergleichbar mit den exklusiven Gesellschaften ihrer Zeit, gegen Militarismus, Rassen- und Völkerhaß, gegen Resignation und Reaktion neue Zeichen setzen. Unter den 41 Schriftstellern der ersten Stunde war John Galsworthy aus Cornwall, der zum ersten Präsidenten des P.E.N.-Clubs gewählt wurde.

Fünf Jahre nach der Gründung gab es schon 25 Zentren dieses internationalen Dichter- und Schriftstellerverbands, der sich die Pflege freundschaftlicher geistiger Zusammenarbeit von Schriftstellern aller Länder, die Förderung der Meinungsfreiheit (Einsatz für politisch verfolgte Autoren) und die internationale Verständigung auf die Fahnen geschrieben hatte. - Politik sollte allerdings im P.E.N. keinen Platz haben, verlangte Galsworthy: "No politics in the P.E.N. under no circumstances!" hieß es in der von ihm mitformulierten Charta. Tatsächlich versteht sich der Club auch heute noch als über den Parteien und ideologischen Lagern stehend und hält sich von der Tagespolitik fern. "Dennoch ist er in einem allgemeineren Sinn nicht unpolitisch, sofern nämlich seine verbindlichen Leitsätze auch politische Implikationen enthalten", wird im Faltblatt des P.E.N. Zentrums Deutschland zur Vorstellung seiner Grundsätze angeführt, denn "mögen einige ihrer Formulierungen inzwischen auch etwas Patina angesetzt haben, so ist ihr Inhalt [der Charta, Anm. d. Red.] doch nach wie vor höchst aktuell":

Der P.E.N.-Club vertritt die folgenden Grundsätze:

1. Literatur, obgleich national in ihrem Ursprung, kennt keine scheidenden Landesgrenzen und soll auch in Zeiten innerpolitischer oder internationaler Erschütterungen ihre Eigenschaft als eine allen Nationen gemeinsame Währung behalten.

2. Unter allen Umständen, und insbesondere auch im Kriege, sollen Werke der Kunst, der Erbbesitz der gesamten Menschheit, von nationalen und politischen Leidenschaften unangetastet bleiben.

3. Mitglieder des P.E.N. sollen jederzeit ihren ganzen Einfluß für das gute Einvernehmen und die gegenseitige Achtung der Nationen einsetzen. Sie verpflichten sich, für die Bekämpfung von Rassen-, Klassen- und Völkerhaß und für die Hochachtung des Ideals einer in einer einigen Welt in Frieden lebenden Menschheit mit äußerster Kraft zu wirken.

4. Der P.E.N. steht zu dem Grundsatz des ungehinderten Gedankenaustausches innerhalb einer jeden Nation und zwischen allen Nationen, und seine Mitglieder verpflichten sich, jeder Art der Unterdrückung der Äußerungsfreiheit in ihrem Land oder in der Gemeinschaft, in der sie leben, entgegenzutreten. Der P.E.N. erklärt sich für die Freiheit der Presse und verwirft die Zensurwillkür überhaupt, und erst recht in Friedenszeiten. Er ist des Glaubens, daß der notwendige Fortschritt der Welt zu einer höher organisierten politischen und wirtschaftlichen Ordnung hin eine freie Kritik gegenüber den Regierungen, Verwaltungen und Einrichtungen gebieterisch verlangt. Und da Freiheit auch freiwillig geübte Zurückhaltung einschließt, verpflichten sich die Mitglieder, solchen Auswüchsen einer freien Presse, wie wahrheitswidrigen Veröffentlichungen, vorsätzlicher Lügenhaftigkeit und Entstellung von Tatsachen, unternommen zu politischen und persönlichen Zwecken, entgegenzuarbeiten.

Allen qualifizierten Schriftstellern, Herausgebern und Übersetzern, ohne Unterschied der Nationalität, Rasse, Farbe und Religion, die sich zu diesen Zielen unterschriftlich bekennen, steht die Mitgliedschaft zum P.E.N. offen.
(aus dem Faltblatt des P.E.N. Zentrums Deutschland 2000)

Dieselbe Charta, die "keine Politik" verlangt, verpflichtet die Mitglieder jedoch zugleich, nichts anderes als politisch zu wirken. Ein Dilemma, das den P.E.N.-Club nicht unumstritten ließ und so manches Mitglied unzufrieden stimmte. Besonders deutlich wird dieser innere Konflikt an der wechselhaften Geschichte des Deutschen P.E.N. in der Nazi- und Nachkriegszeit, im Kalten Krieg und nach dem Fall der Mauer, der den Konflikt zwischen ost- und westdeutschem P.E.N.-Mitgliedern nicht per se in Luft auflöste. Sein Ansehen hatte so sehr unter der Teilung gelitten, daß sich mancher fragte, wozu man den P.E.N. überhaupt noch brauche. Unverblümt hat Ulrich Greiner in einem ZEIT-Artikel anläßlich des 80. Geburtstags des Internationalen Clubs den kleinsten gemeinsamen inhaltlichen Nenner benannt: "Er ist ein Club kontrovers denkender und schreibender Einzelgänger, die nur das eine eint: dass sie auf die Freiheit, kontrovers denken und schreiben zu können, angewiesen sind." (aus DIE ZEIT 21/2001, "Freiheit des Wortes - Weshalb wir den PEN noch immer benötigen" von Ulrich Greiner).

Mittlerweile besteht der Schwerpunkt der inhaltlichen Arbeit und Aktivitäten des P.E.N. in der Hilfe für verfolgte Schriftsteller. Man kann sagen, daß er heute den Menschenrechtsorganisationen nahesteht. Im Jahre 2000 begann in Deutschland das Programm "Writers in Exile", das verfolgten und exilierten Autoren ermöglicht, in Deutschland eine Zuflucht zu finden. Der deutsche P.E.N. wendet viel Mühe darauf, das Schicksal dieser Autoren öffentlich zu machen und unterstützt damit die Arbeit des "Writers in Prison-Committee", das der Londoner Zentrale des Internationalen P.E.N. angeschlossen ist. 1960 wurde es als Reaktion auf die wachsende Zahl der Länder gegründet, die versuchen, Schriftsteller durch Repressionen mundtod zu machen.

Auch verfolgter Verleger, Redakteure und Journalisten nimmt sich das Committee inzwischen an, jedoch unter einer Prämisse: Gefangene, die wegen Propagierung von Gewalt oder gar ihrer Anwendung verurteilt wurden, und solche, die zum Rassenhaß aufgerufen haben, werden nicht unterstützt. Auf diplomatischen Kanälen oder in öffentlichen Kampagnen machen besonders Beauftragte auf deren Schicksal [das der verfolgten Autoren, Anm. d. Red.] aufmerksam, um die Freilassung der Gefangenen zu erwirken. Sie korrespondieren mit den Angehörigen der Gefangenen, wenn möglich auch mit diesen selbst. Sie schreiben Artikel über ihre Schützlinge und setzen sich dafür ein, daß ihre Arbeiten übersetzt, in öffentlichen Lesungen bekannt gemacht und publiziert werden.
(aus dem Faltblatt des P.E.N. Zentrums Deutschland 2000)

Diesem Engagement entsprechend, das heute das Kernstück der Aktivitäten des Internationalen P.E.N. bildet, ist er beratendes Mitglied der UN-Kommission für Menschenrechte und der UNESCO.

Seine Wirksamkeit wird allerdings gering bleiben. Da seine Mitglieder, wie der Name schon sagt, lediglich über einen Schreiber als Waffe verfügen, nehmen sie logischerweise die Haltung eines Beobachters am heimischen Schreibtisch ein. Sie stehen außerhalb und greifen nicht wirklich in das Geschehen ein. Wenn überhaupt, gelangen sie zu spät an den Ort der Auseinandersetzung. Auf die Frage, ob der P.E.N. tatsächlich Macht besitze, antwortete Edward Said: "Nein, gar keine. Unsere Macht ist die Presse. Wenn sie uns totschweigt, haben wir überhaupt keine Macht." (Said in: Süddeutsche Zeitung vom 24.05.2000, a.a.O.)


Erstveröffentlichung am 31. Januar 2002

5. Januar 2007