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STICH-WORT/005: Sprachgeschichtliche Betrachtungen, "Mensch Mann!" (SB)


Mensch Mann!



Der "Mensch" ist ein Mann! Wie tief ist dieses Wissen über die Herkunft des Wortes "Mensch" doch heute noch im Bewußtsein von Mann und Frau verankert. Da die Sprache jedoch in ständiger Entwicklung begriffen ist und so die Möglichkeit der Einflußnahme auf eine Bedeutungserweiterung besteht, soll die Geschichte der beiden etymologisch nicht voneinander zu trennenden Wörter "Mensch" und "Mann" hier zur besseren Erschließung und mit der Hoffnung auf einen inhaltlichen Wandel im Wortgebrauch, der sich übrigens schon andeutet, einmal aufgezeigt werden. Vielleicht gibt eine tiefergreifende Kenntnis über das Wort Mensch ja ein wenig mehr Aufschluß über die viel diskutierte Frage, welchen Anteil der Mann an der Menschheit heute wirklich hat.

Daran ist nicht zu rütteln: Die Herkunft des "Menschen" stimmt mit dem Wort "Mann" überein, d.h. die beiden sind in der Wortwurzel identisch, da sind sich die verschiedenen Wörterbücher einig:

Mensch [ahd. mannisco, eigtl. "der Männliche", zu Mann] [Brockhaus 1]
mann, m. vir.
I. Abstammung und form.
1) das gemeingermanische wort, auf die wurzel man bewuszt sein, sich besinnen zurückführend und mit altind. manú mensch identisch, erscheint goth. als manna, in einigen casus mit formen von leicht abweichenden nebenstämmen (vgl. Delbrück in Zachers zeitschr. 2, 406); [Deutsches Wörterbuch, Grimm 2]
mensch, m. homo.
1) mensch ist dasjenige adjectiv zu mann, das als männisch [...] aufgeführt worden. [Deutsches Wörterbuch, Grimm 3]
Der Mann, des -es, plur. die Männer [...] Es ist eines der ältesten Wörter nicht nur der Deutschen sondern aller Europäischen und vieler Asiatischen Sprachen. Es bedeutete,
I. Einen Menschen, ohne Unterschied des Geschlechtes [...] Morhof, Ihre und andere haben weitläufig gezeiget, daß die zweyte Sylbe in den Lat. Homo, (bey den ältern Lateinern Hemon, Homon, Humon,) in humanus, nemo, und immanis, unmenschlich, nichts andres als unser Mann ist. Ho, Hu in Homo ist der alte morgenländische Artikel, welcher in nemo, niemand, dem alten Semo für Semihomo, und immanis, unmenschlich, wieder weggefallen ist. Im Deutschen ist es in dieser Bedeutung veraltet, seit dem das davon abgeleitete Mensch üblicher geworden ist. Indessen sind doch noch das unbestimmte Fürwort man, und die Zusammensetzungen jedermann, niemand, jemand, und vielleicht auch männiglich, Beweise davon. [Adelung, 4]

Um den Menschen und seine Eigenart genauer beschreiben zu können, ergreifen die Sprachforscher Jakob und Wilhelm Grimm in ihrem Wörterbuch die Methode, ihn von seinen Grenzen und Unterscheidungen zu anderen Wesen her zu definieren, zum Beispiel zu Gott und Engeln, zu Tieren - und Frauen (!):

in der stufenleiter der wesen nimmt nach einer philosophischen anschauung, zumal des 18. jahrh., der mensch die mittelstufe zwischen engel und thier ein:
[...]
in der schöpfungsgeschichte wird der erstgeschaffene, den namen mensch führende mann zunächst von seinem weibe unterschieden: und sie waren beide nacket, der mensch und sein weib, und schemeten sich nicht. 1 Mos. 2, 25. [5]

Die naheliegende Schlußfolgerung, daß das "weib" eine andere Wesensart ist als der "mensch", könnte nun je nach Selbstbewußtsein und Stellungnahme der Interpretin für oder gegen weibliche Zwecke aufgegriffen werden. Sollte also die folgende Entwicklung, welche die Brüder Grimm aufzeigen, doch ihren eigenen Weg weiter beschreiten und dem "Weib" eine ganz eigene, unerkannte oder unbekannte Chance einräumen?

[...] da nach der altgermanischen rechtlichen anschauung nur der mann im vollbesitze des menschlichen wesens sich befindet, so liegt von uralter zeit her in dem worte bereits die heutige bedeutung beschlossen, und tritt gelegentlich so scharf wie heute hervor. [6]

Erst später im Mittelalter kommt die Frau auf spezifische Weise im Wort "Mensch" vor:

ebenso ist ahd. mannisko, mennisko in jedem falle nur männlichen geschlechtes, erst mhd. wird daneben, zunächst im allgemeinen sinne, später auf das weib bezogen, das neutr. mensche gebildet [...] in übler bedeutung; [...]
mensch, das dienende weib, die magd: das leichtfertige mensch [...]
mensch, in derber, bäuerlicher rede, die dirne: [...]
mensch, mit verächtlichem nebentone, wie weibsbild, weibsstück [7]

Das Wort "das Mensch" in dieser (Neutrum-)Bedeutung zeugt zwar nicht von Achtung oder Ehrerbietung gegenüber dem "Weib", aber schwingt da nicht doch eine beabsichtigte Ausgrenzung mit, deren Herkunft Respekt oder auch Furcht vor einer "Leichtfertigkeit" sein könnte, die nicht den gesellschaftlichen Regeln unterworfen, d.h. berechenbar ist? Diese Entwicklung ist allerdings eine eigene Untersuchung wert.

Zurück zur etymologischen Entwicklung des "Menschen": Außer daß der "Mensch" ein "Mann" war/ist, also eine einzige Bedeutung hatte, erfuhr das Wort in seiner etymologischen Linie eine Bedeutungserweiterung vom indogermanischen Ausgangsstamm "*men- = hervorragen, aufrecht gehendes Wesen (lat. mons, Berg)" [8] über "der Denkende" bis zur Erweiterung mit dem Bestandteil "Bewußtsein" (siehe oben, Deutsches Wörterbuch, Grimm, "Mann", Anm. 2), was ihm endgültig eine Sonderstellung unter den lebenden Wesen bzw. im Universum einräumt.

Der "Mann" hingegen schränkt sich immer mehr ein:

Mann: Das [...] Wort ahd. man [...] geht mit verwandten Wörten in anderen idg. Sprachen auf *manu- oder *monu- "Mensch, Mann" zurück, vgl. z.B. aind. mánu-h "Mensch, Mann" [...] Welche Vorstellung dieser Benennung des Menschen zugrunde liegt, ist nicht sicher zu klären. Vielleicht handelt es sich bei dem Wort um eine Bildung zu der unter →mahnen dargestellten idg. Verbalwurzel *men- "überlegen, denken". Dann wäre der Mensch als "Denkender" benannt worden (vgl. aind. mánu-h "denkend, klug"). - Im heutigen Sprachgebrauch wird das Wort 'Mann' in der umfassenden Bedeutung "Mensch" hauptsächlich nur noch in bestimmten Formeln verwendet. [...] Diese umfassende Bedeutung bewahrt auch das unbestimmte Pronomen 'man'. [9]

Das Wort "Mann" hat heute also nahezu seine allgemeine Bedeutung 'Mensch' verloren bzw. eine Bedeutungseinschränkung durchlebt, der "Mensch" ist nur noch, wie oben erwähnt, erhalten in so allgemeinen Wendungen wie "jemand", "niemand", "man". Das Menschenbild in unserer Kultur ist davon jedoch wohl eher noch unberührt, die Vorstellung vom "idealen" Menschen ist in unserer Gesellschaft immer noch männlich und stark, woran viele Gegenstimmen und Aufklärungsarbeiten abgeglitten sind. Neue gesellschaftliche Werte und ein neues Menschenbild setzen sich sprachlich, besonders konnotativ, zu allerletzt durch.

Durchgängig bleibt dabei die philosophische Frage: "Was macht den Menschen zum Menschen?" Die kürzeste Antwort darauf und eine treffende Zusammenfassung, die angesichts der kriegerischen Entwicklungen zwischen den Menschen wohl keiner weiteren Erläuterung bedarf und alle inhaltlichen Bestandteile des Wortes ad absurdum führt, ist folgende:

KALENDERBLATT/5601: Kurzweiliges für den 17.06.2012 (SB)
Wolf
Der Mensch ist des Menschen Wolf ... (lateinisches Sprichwort),
... nur bei weitem nicht so gutartig. (HB, 16. Juni 2012)
(Schattenblick, Boulevard/Test&S&paß).

Und dieses Problem haben wohl alle gemeinsam: der immer mehr geschrumpfte Anteil des Menschen im Manne oder die Frau als "das Mensch" oder schließlich Manú (altind.), was "denkend, klug" bedeutete, heute aber wohl niemand mehr erinnert, so daß der Dramatiker Georg Büchner (im 19. Jahrhundert, "Woyzeck") zu dem Schluß kommt: "Jeder Mensch ist ein Abgrund; es schwindelt einem, wenn man hinabsieht."

Um zu guter Letzt ein etymologisches Fazit zu ziehen: Der "Mensch" hat im Laufe der Jahrhunderte eine wenn auch im Sinne einer starken Selbstüberhebung zweifelhafte Bedeutungserweiterung erfahren, der "Mann" eine tendenzielle Bedeutungseinschränkung - was nun wieder auf eine gewisse Bodenständigkeit bzw. ein Überdenken der bisher im Wort enthaltenen Vorrangstellung vor dem "Weibe" hoffen läßt.

Fußnoten:

[1] aus Brockhaus in sechs Bänden, Band 4, Mannheim 2008, Stichwort "Mensch", S. 378

[2] Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Band 12, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1984, Seite 1554, Stichwort: Mann, m. vir.
Das "Deutsche Wörterbuch" der Brüder Grimm (erster Band 1854) ist in Kleinschreibung verfaßt (mit Ausnahme von Satzanfang und Eigennamen); Jakob lehnte die "höchst philisterhafte erfindung der großen buchstaben" als Relikt der absolutistischen Feudalzeit kategorisch ab.

[3] Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Band 12, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1984, Seite 2022, Stichwort: Mensch, m. homo

[4] Adelung, Johann Christoph: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart (1811), Suchbegriff "Mann", Bd. 3, Sp. 53
http://woerterbuchnetz.de/Adelung/?sigle=Adelung&m&ode=Vernetzung&l&emid=DM00290

[5] Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, ebd., Stichwort: Mensch

[6] Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, ebd., Stichwort: Mann

[7] Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, ebd., Stichwort: Mensch

[8] http://www.workpage.de/etym.php
siehe auch "http://de.wiktionary.org/wiki/Mensch":
"Mensch, Bedeutungen:
(1) ein Lebewesen; Spezies, der Klasse der Säugetiere angehörend, das sich durch folgende besondere Eigenschaften auszeichnet: aufrechter Gang, Sprache, Erfindertum, Vorausdenken und Nachahmung" (Quellenangabe: (1) Uni Leipzig: Wortschatz-Lexikon "Mensch")

[9] Dudenredaktion, Günther Drosdowski, Etymologie, Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache, Mannheim 1989, Stichwort "Mann", S. 438

27. Februar 2014