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STICH-WORT/004: Sprachgeschichtliche Betrachtungen, "Hut" (SB)


Hut



Die Maßnahmen gegen die Extremwetterverhältnisse der letzten Jahre haben sich bis in unsere täglichen Gewohnheiten geschlichen: Der Hut als Kopfschutz vor Sonne und Niederschlag ist nicht nur ein gesundheitliches "Muß" zum Abschirmen der intensiven UV-Strahlung oder Nässe geworden, er erlebt auch in Anpassung daran eine Rückkehr in die Mode, wo er seit Ende der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts nahezu bedeutungslos vor sich hin dämmerte. Und wohl nicht zufällig mit seinem vermehrt zweckgebundenen Aufkommen wird auch eine weitere - übrigens schon sehr alte - Funktion seiner Existenz wieder wahrgenommen:

Seit etwa 2005 feiert der klassische Herrenhut im Retro-Stil ein Come-Back. Er heißt jetzt "Trilby" und ist ein recht kleines Modell mit schmaler Krempe, der etwas neckisch und höher als gewohnt getragen wird. Popmusiker und Stil-Trendsetter Justin Timberlake begann mit dieser Attitüde, der Jazz-Sänger Roger Cicero und Mehrzad Marashi (DSDS-Superstar 2010) treten sogar grundsätzlich mit Hut auf und machten ihn zu ihrem Markenzeichen. Der traditionsreiche Huthersteller Mayser bot 2010 unter dem Motto "Ein Stil wird Hut. Elegant und cool" sogar einen "Roger-Cicero-Hut" an. Der Trilby wurde wohl zuerst von jungen Männern, dann aber auch von modebewussten jungen Mädchen getragen. [1]

Die heute eher unreflektierte und harmlose Demonstration von Gruppenzugehörigkeit läßt bestenfalls noch erahnen, was alles mit ihm verbunden und unter ihm verborgen sein könnte, dem "Hut", der wortgeschichtlich und als Gegenstand eine lange Reise bis zur heute üblichen Kopfbedeckung hinter sich hat. Vor der ursprünglichen Bedeutung kann man nur den Hut ziehen, die heutige Bedeutung allerdings kann man sich an den Hut stecken; an dem Bedeutungswandel des Wortes läßt sich ein Stück sozialer Entwicklung von der schützenden "Obhut" über Lehns- bzw. Herrschaftsverhältnisse bis zur Demonstration von politischer Übereinstimmung in Machtverhältnissen oder von Widerstands- bzw. Freiheitsbestrebungen ablesen, die sich heute jedoch auf die oben angesprochenen Stilfragen stark reduziert haben.

Im folgenden sollen die vielen Bedeutungen einmal unter einen Hut gebracht werden. In dem Wort steckt sowohl "Vorsorge" und "Obhut", als auch "hüten" und "schützen" sowie "Hütte" im Sinne von '(ver)bergen' bis hin zum "Einvernehmen" bzw. "in Übereinstimmung bringen". In den verschiedenen Wörterbüchern finden sich die Bedeutungen nur lose aneinandergereiht:

hut, m. pileus. ahd. mhd. huot; [...] Die eigentliche bedeutung von hut ist jedenfalls nur die allgemeine decke, schutz, das wort scheint, wie das folgende und das verbum hüten, zurückzuführen auf eine wurzel skad, sanskr. chad [2]
ahd. huota "Vorsorge, Bewachung, Behütung, Obhut" [...] geht auf eine Wurzel *kadh- etwa "schützend bedecken, [be]hüten" zurück. [3]
Dazu das schwache Zeitwort "hüten", [...] ahd. huotan [...] führt auf eine Wurzel *kadh- 'hüten, schützen, bedecken'. [...] Auch mhd. huot m. kann 'Helm' bedeuten. [4]

Solche (Wort)"Brocken" zum Anlaß nehmend, erstellten Jakob und Wilhelm Grimm (1785-1863 / 1786-1859) folgenden Wandel der sozialen Zusammenhänge, den der "Hut" widerspiegelt. Ausgehend von der wohl ursprünglichsten Bedeutung der "schützenden Bedeckung", noch im Sinne von allgemein "umhüllen, behüten" könnte man vermuten, daß es hier um menschliche Zusammenhänge im Sinne des Schutzes eines anderen Menschen oder der Gemeinschaft ging. Die feminine Form im mittelhochdeutschen "huote" hingegen bezog sich eher auf den Schutz im Sinne von Bewachung des Besitzes. Es bedarf wohl keiner weiteren Erläuterung, daß sich das gegen den anderen Menschen richtete:

der ein lehen übertragende reichte seinen hut dem lehenempfänger zum berühren hin (a. a. o. 148. Haltaus 983), zum zeichen, dasz ein theil von jenes rechten auf diesen übergieng. daher der hut symbol der herschaft: [2]

"Der hut ist von alters her zeichen des adels und der freiheit", wird im Wörterbuch der Brüder Grimm beschrieben, "verschiedene hutform und hutfarbe zeigt verschiedene stände an, vergl. doctorhut, fürstenhut, kurhut, jägerhut, jesuitenhut, kardinalshut, pfaffenhut; daher als symbol der betreffenden würde". Entsprechend bekannte man sich durch das "abnehmen des hutes" als ein niederer gegen den höher Stehenden.

Zum Schutz des Besitzes gab es noch eine eigene Bedeutung für die militärische Wache, die Hut, woraus sich die Redensart "auf der Hut sein" entwickelte, auf der sich der Posten zum Schutz gegen einen Überfall befand.

Auch die "Hütte", die auf den gleichen indogermanischen Wortursprung zurückgeführt wird, hat mit der Abgrenzung des Besitzes zu tun, ursprünglich ein "bedeckter Schutzort", "die Zufluchtsstätte", der "Aufbewahrungsort".

Aber nicht nur die Umgrenzung und der Schutz nach außen wird mit dem Wort "Hut" gekennzeichnet, sondern auch das, was man unter dem "Hut" zusammenpackt: "So viele Interessen unter einen Hut zu bringen" [5] heißt nichts anderes, als sich einigen oder in Übereinstimmung bringen zu wollen. Nur noch in oben genannter Demonstration der persönlichen Note des Trägers oder seiner sozialen Zugehörigkeit ist diese Bedeutung des Hutes heute vorhanden. Fast vergessen sind die Hüte, die vom Staat verboten wurden, weil man sie als Zeichen einer freiheitlichen Gesinnung trug, die sich gegen gewaltsame politische Verhältnisse auflehnte. Der "Kalabreser", ein "breitkrempiger Filzhut, in der 1. Hälfte des 19. Jh. von italienischen Freiheitskämpfern aus Kalabrien getragen;" wurde "um 1848 Gesinnungszeichen dt. Revolutionäre" [6], die sich in der Zeit zwischen dem Wiener Kongress (1815) und der Märzrevolution (1848), im sogenannten "Vormärz", gegen das durch die Industrialisierung einsetzende wachsende Massenelend wendeten. Das Tragen des Hutes wurde in vielen Orten Preußens bestraft, weil er als gemeingefährlich galt.

Wie weit entfernt davon ist der Hut doch heute im allgemeinen Verständnis. Daß er ein von jedem getragenes Accessoire oder Bekleidungsstück ist, heißt nicht, daß sich an diesen Verhältnissen irgendetwas geändert hätte. Herrschaftsausübung ist indirekter und weniger faßbar geworden - und wird bestimmt nicht mehr über das Verbot von Hüten geregelt.

Anmerkungen:
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Hut
[2] http://woerterbuchnetz.de/DWB/?lemid=GH13822, Suchbegriff "Hut".
Das "Deutsche Wörterbuch" der Brüder Grimm (erster Band 1854) ist in Kleinschreibung verfaßt (mit Ausnahme von Satzanfang und Eigennamen); Jakob lehnte die "höchst philisterhafte erfindung der großen buchstaben" als Relikt der absolutistischen Feudalzeit kategorisch ab.
[3] Dudenredaktion, Günther Drosdowski, Etymologie, Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache, Mannheim 1989, S. 296
Die Wurzel *kadh- ist indogermanisch.
[4] Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 18. Auflage, Walter de Gruyter & Co., Berlin 1960, S. 322
[5] "Beispiele: unter einen Hut bringen (umgangssprachlich; einigen; in Einklang, Übereinstimmung bringen: es ist schwer, so viele Interessen unter einen Hut zu bringen)",
siehe http://www.duden.de/rechtschreibung/Hut_Kopfbedeckung_Pilz
[6] aus Brockhaus in sechs Bänden, Band 3, Mannheim 2008, S.549

8. Februar 2013