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LITERATURBETRIEB/013: Zeitschriften und Verlage 2 (SB)


Vom Verlag zur Agentur, eine verwirrende Entwicklung ...


"Wie wird man ein erfolgreicher Schriftsteller?" ist eine beliebte Interviewfrage an den neuen "Star" in der Autorenszene. Dahinter steckt die Vorstellung, daß es geheime Tricks für den schriftstellerischen Erfolg gibt, die dem Rest der Welt vorenthalten werden, oder daß der Glückliche die richtigen Verbindungen hatte und weitergereicht wurde. Das jedoch, sollte man meinen, nützt alles nichts, wenn seine Inhalte nichtssagend und noch dazu unprofessionell präsentiert sind. Bleibt also die begehrte Publikumswirksamkeit doch Sache der Fähigkeiten eines Schriftstellers? - Keinesfalls. Heutzutage braucht ein Anfänger, der an sein Werk glaubt, jede Menge Grundwissen über die allgemeine Lage auf dem Buchmarkt und ökonomisches Fingerspitzengefühl, um es an den Leser zu bringen.

Für jene, die vielleicht gerade beschlossen haben, an einem interaktiven Roman im Internet mitzuschreiben oder den nächsten regionalen Literatur- oder Lyrikwettbewerb mitzumachen in der Hoffnung, entdeckt zu werden, erfolgt hier zur Ernüchterung ein kurzer erster Überblick über den Wirtschaftszweig, mit dem es der Autor zu tun bekommt, wenn er veröffentlichen will.

Ob man es gutheißt oder nicht, aus dem Bildungs- und Kulturartikel Buch ist längst eine Konsumware geworden. Der deutsche Buchmarkt verfügt über 100 Millionen mögliche Leser und ist damit der leistungsfähigste der Welt. Entsprechend viele Konzernriesen können sich dort halten wie Bertelsmann, Holtzbrinck und die Econ-Ullstein-List-Gruppe aus dem Hause Springer. Zusätzlich existieren zahlreiche etablierte Verlage wie Suhrkamp, Hanser, Diogenes, Luchterhand oder dtv, abgesehen von vielen kleineren Unternehmen. Doch die Verlage sehen sich zunehmend mit einer wirtschaftlichen Krise konfrontiert, sie sparen und produzieren weniger und entlassen Personal. Der idealtypische Verleger muß sich umorientieren. Ein Teil seiner Arbeit verlagert sich, ganz unschöpferisch, auf das Buchmanagement. Den Bedürfnissen des Lesers immer eine Nasenlänge voraus, muß er den Geschmack mitprägen und ein Programm machen, in dem eine Sammlung risikoträchtiger Titel finanziert wird durch erfolgreiche Massenware. Auch wenn er kompetente Mitarbeiter zu dem alleinigen Zweck beschäftigt, ihn über Absatzmärkte und Zielgruppen auf dem Laufenden zu halten, den Erfolg verdankt er dem eigenen Instinkt für literarische Trends.

In diesem Klima heißlaufender Konkurrenz bei Umgestaltung des Marktes ist die Stunde der sogenannten Literaturagenten gekommen. 1985 gab es eine Handvoll Agenturen, heute sind es 80. Ihre Aufgabe ist inzwischen eine sehr verantwortungsvolle. Sie sind nicht mehr einfach nur Nutznießer überforderter Lektorate, des rasanten Wandels in der Verlagsszene und des Geschäftssinns einer neuen Autorengeneration, sondern haben die Entscheidung über Qualität und Verwaltung in großem Stil. Denn ähnlich wie Verleger nicht mehr nur Schöngeister sind, eigentlich nie waren, sind gute Agenten nicht nur Händler. Sie sind in erster Linie Vermittler und haben mit Fehlentscheidungen einen Ruf zu verlieren, was das wirtschaftliche Aus bedeuten kann. Sie leben von stabilen Kontakten zur Verlagsszene, und ihre Tätigkeit besteht darin, Manuskripte, die sie für druckwürdig halten, herumzuschicken. Das erfordert genaue Kenntnis der Empfänger, ihrer Präferenzen und Programmgestaltung. Ihre Umsätze fallen entgegen allen Vermutungen eher bescheiden aus. So viele deutschsprachige Autoren, für deren Texte sechs- oder gar siebenstellige Vorschüsse gezahlt werden, gibt es nicht.

Für den Laien ist die Branche eine verwirrende Mischung aus Verlegern, Verlagsjuristen, Lektoren, Agenten, Subagenten und Scouts, die mit- und gegeneinander arbeiten. Gewarnt wird vor Agenten, die sich auf frischen literarischen Nachwuchs und dessen Erstlingswerke stürzen nach dem Motto, möglichst viele Talente auch mit nicht immer sauberen Methoden an Land zu ziehen. Für den neuen Autoren ist es wichtig, die Nöte der Beteiligten zu kennen, denn er braucht eine Lobby für seine Bücher, ein Programm mit Werbedruck, und er muß zwangsläufig Akzente gegen den Massenausstoß der großen Publikumsverlage setzen. Nicht selten reagieren die Betroffenen mit Abwehr und fühlen sich angesichts des Strukturwandels im Verlagsgewerbe heimatlos. Sie haben deshalb keine Scheu mehr, sich der Vermittlerdienste von Agenturen zu bedienen. In dem Maße, wie in den großen Häusern der klassische Cheflektor dem marketingorientierten Chefeinkäufer weicht, wächst den Agenten eine inhaltliche Filterfunktion zu.

Die Tendenz der Agenturen weist nach Amerika. Inzwischen kommen 70 Prozent der in Deutschland verlegten Belletristik aus dem Ausland. Anders als beim klassischen europäischen Roman, der eine Realitätseinschätzung des Autors darstellt, geht es in den Romanen des Auslands um Alltagsdramen, nachvollziehbare Konflikte und Naturkatastrophen, dialogreich und damit konsumorientiert. Deutsche Verlage beschäftigen inzwischen insgesamt 14 Scouts in New York, die den amerikanischen Buchmarkt abgrasen.

Ging es früher um intellektuelle Verwandtschaft, zählt heute das Budget des den Scout beauftragenden Verlags. Was bleibt dem Dichter da anderes, als sich auch in seinem Berufsstand den gesellschaftlichen und ökonomischen Erfordernissen und neuen Werten anzupassen, wenn er materiell überleben will. Damit wäre dann eine der letzten gesellschaftlichen Möglichkeiten, Denkfreiräume zu nutzen, erstickt.


Erstveröffentlichung am 13. November 2000

29. Dezember 2006