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DICHTERSTREIT/007: Um's Wort gerungen, als Flucht mißlungen (SB)


Um's Wort gerungen, als Flucht mißlungen Jetztzeit Seit der großen Schreckenswende Sieht des Dichters ernstes Haupt Sich durch neue Zeitumstände Aller Hoffnung jäh beraubt. Und er harrt in Wartestellung Auf des Horizonts Erhellung. Und er denkt in seinem Sinn: Wo nichts drin ist, ist nichts drin. Zwar beim Nichtbeteiligtbleiben Am gesitteten Verkehr Muß er sich die Zeit vertreiben, Und er tut, wie wenn nichts wär. Feilt sich wöchentlich die Nägel, Nicht aus Lust, doch nach der Regel, Küßt bisweilen Chloës Brust, nach der Regel, nicht aus Lust. Früh beim Kaffee, kaum bekümmert, Liest er, wie das Kapital Negerstaaten niedertrümmert, Mordend ohne Zahl und Wahl, Greise, Kinder, Frauen, Männer, Und er nickt befriedigt, wenn er Feststellt, daß der Zeitungsmann Keinen deutschen Satz mehr kann. Auf der höchsten finanziellen Ebene unangepaßt, Nähert er sich wohl den Quellen Der Natur als Feriengast. Liebt den Sommer, haßt den Winter, Tieferes steckt nicht dahinter. Hin und wieder ein Gedicht Schreibt er noch aus Dichterpflicht. Peter Hacks (sozialistischer Dramaturg und Dichter, 21.3.1928 - 28.8.2003) aus Karl Otto Conrady: Der neue Conrady - Das große deutsche Gedichtbuch, Düsseldorf 2001, Seite 943
Eule
Auch das beste Scheingedicht schützt vor dem Begreifen nicht. Lieber Peter und Genosse, du beschwerst dich und die Welt in der resignierten Posse, die viel spricht, jedoch nichts hält. Ist die Hoffnung deine Mitte und das Warten dein Rezept, und das Kämpfen bleibt für Dritte, Fatalismus als Konzept? Fügst dich ein und flüchtest weiter, wie 's bei dir schon immer war, und natürlich auch gescheiter als die ander'n, das ist klar. Wörterreich und versgeschmiedet offenbarst du doch dein Denken, das den Lug und Trug befriedet, um das eigene zu lenken. Konsument in eig'ner Sache, selbstverliebt, gewissenlos, nur aus bourgeoiser Rache kriechst du in den Westernschoß. Da bist du Gast, da darfst du 's sein, unangepaßt, versorgt, allein, sparst dir die Frage nach dem Sinn, zählst Lust und Tage und Gewinn. Weißt du, daß dein Trauerlied eigentlich für uns bedeutet, daß Genosse Verseschmied sich wie eine Schlange häutet, nur um die Distanz zu halten, nicht zu tun, was jeder kann, in dem Wissen, Raubgewalten greift man nicht mit Hoffnung an? Und auch Warten hilft da nicht oder nörgeln am System oder gar die Dichterpflicht, nur die Einsicht, unbequem, daß die neuen Zeitumstände, die zerstörte, traute Ruh', kam, wie auch die Schreckenswende, weil so viele war'n wie du. H. Barthel aus dem Hinterstübchen

Erstveröffentlichung am 2. Oktober 2003

12. Dezember 2006